The Road Not Taken

Two roads diver­ged in a yel­low wood …

Wenn ich mor­gens mit den Hun­den durch den Wald und über die Fel­der lau­fe, die Hun­de sich schnup­pernd am Weges­rand ver­gnü­gen, nach Tan­nen­zap­fen, fri­schem Gras und ande­rem spü­ren, das die feuch­te Nase kit­zelt, bin ich ganz bei mir. Sel­ten kreu­zen ande­re Spa­zier­gän­ger mei­nen Weg. Es riecht nach Herbst – nach nas­sem Laub, Holz und Erde – die Luft ist klar, die Gedan­ken sind es auch. Wäh­rend ich den Hun­den zuse­he wie sie um halb zer­bis­se­ne Tan­nen­zap­fen strei­ten, schwei­fen die Gedan­ken ab, hef­ten sich an Stamm­bäu­me, Mög­li­ches und Unmög­li­ches – an Zukunfts­mu­sik. Ganz still fin­det ein Gedan­ke zum ande­ren, wer­den Plä­ne ent­wor­fen und Plä­ne kor­ri­giert – ein beträcht­li­cher Teil der Arbeit eines Züch­ters dürf­te eine sol­che »stil­le« Arbeit sein. Mit einem schmat­zen­den Geräusch lan­det ein Tan­nen­zap­fen vor mei­nen Füßen, vier Augen schau­en mich auf­for­dernd an. Still?

And sor­ry I could not tra­vel both …

Nicht immer sind es die Hun­de, die mich dar­an erin­nern müs­sen, nicht allei­ne auf der Welt zu sein. An man­chem Mor­gen wim­melt es im Wald vor Men­schen – Hun­de­men­schen, die – wie ich – in schwe­ren Stie­feln und All­wet­ter­ja­cken ihren gro­ßen oder klei­nen Hun­den vor­aus oder (im schlech­te­ren Fall) hin­ter­her eilen. Ist der ver­lo­ren gegan­ge­ne Hund ein­mal wie­der­ge­fun­den und bleibt man eine Wei­le bei­ein­an­der ste­hen, wer­den, wäh­rend sich die Hun­de olfak­to­risch mit­ein­an­der bekannt machen, Wor­te gewech­selt und Mei­nun­gen aus­ge­tauscht. Für den Außen­ste­hen­den mag eine sol­che Unter­hal­tung befremd­lich wir­ken – allein, an einem sol­chen Mor­gen trifft man nie­man­den, der in Hun­de­krei­sen außen steht – sind die Gesprä­che, die unter Hun­de­men­schen geführt wer­den, doch zumeist von haa­ri­ger Aus­schließ­lich­keit geprägt. Will hei­ßen: Statt der Welt­po­li­tik wird die letz­te Wurm­kur bespro­chen, statt des Wet­ters (das man ohne­hin so hin­nimmt, wie es ist) das Wohl und Wehe von Nass- oder Tro­cken­fut­ter. Wer­fe ich in einer sol­chen Run­de ein, selbst Züch­ter zu sein – VDH-Züch­ter, wohl­ge­merkt – sind auf den Gesich­tern mei­ner Gegen­über oft selt­sa­me Bewe­gun­gen zu bemer­ken. Die Lip­pen kräu­seln sich, der Blick wan­dert mit­lei­dig zu den bei­den Hun­den, die neben mir ver­gnügt im Laub schar­ren, und mit einem Nase­rümp­fen wird nach­drück­lich quit­tiert, was jeder­mann zu wis­sen scheint: Ein VDH-Züch­ter lebt auf Kos­ten sei­ner Hun­de – ein VDH-Züch­ter ist kein guter Mensch.

I shall be tel­ling this with a sigh …

Zwei­fels­oh­ne: In der brei­ten Öffent­lich­keit hängt das Bild des Ver­eins­züch­ters ordent­lich schief. Von Qual­zucht ist die Rede, von Ver­eins­meie­rei, Dop­pel­mo­ral und tier­schutz­wid­ri­gen Hal­tungs­be­din­gun­gen, von Selbst­pro­fi­lie­rung und Selbst­be­rei­che­rung. Die Bericht­erstat­tung der Medi­en tut ihr Übri­ges, um aus den quo­ten­träch­tig zusam­men­ge­klaub­ten Ver­satz­stü­cken eine ein­hel­li­ge Mei­nung zu stri­cken: Wer über­legt einen Wel­pen zu kau­fen ist bes­ser bedient, wenn er sein Erspar­tes zu der net­ten Fami­lie trägt, die doch nur ein­mal Wel­pen haben will. Frie­de den Hüt­ten, Krieg den Paläs­ten! Alles Schlech­te, das man über den Ver­eins­züch­ter sagt, ist wahr – und ist es nicht.

Some­whe­re ages and ages hence …

So lan­ge ich den­ken kann haben Hun­de mein Leben beglei­tet. Misch­lings­hun­de, Ras­se­hun­de, sol­che mit Papie­ren und sol­che ohne. Jeder davon war auf sei­ne Art beson­ders, jeder war auf sei­ne Art der Bes­te, den es jemals gab – also Grund genug, auch für ihn nur das Bes­te zu wol­len. Der Gedan­ke, die best­mög­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ein lan­ges, gesun­des und glück­li­ches Leben zu schaf­fen ist aber nicht nur für den, der einem Hund ein Zuhau­se schenkt selbst­ver­ständ­lich, son­dern soll­te es auch für den Züch­ter sein. Obschon mir bewusst war, dass kaum ein Ver­ein von sich behaup­ten konn­te kei­ne schwar­zen Scha­fe in sei­nen Rei­hen und immer ein waches Auge auf sei­ne Züch­ter zu haben, ließ der Gedan­ke an die best­mög­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für mich kei­ne ande­re Ent­schei­dung zu, als mich einem Ver­ein anzu­schlie­ßen: Das Gute, das der VDH mir für mei­ne Zucht bot, wog schwe­rer als die Vorbehalte.

Two roads diver­ged in a wood, and I …

Man mag von Vor­schrif­ten und Auf­la­gen hal­ten, was man will – sich in der eige­nen Frei­heit beschnit­ten füh­len, Kos­ten und Nut­zen hin­ter­fra­gen, den büro­kra­ti­schen Appa­rat kri­ti­sie­ren – ihr Sinn und Zweck, das zu schüt­zen, was geschützt wer­den muss, bleibt unzwei­deu­tig. Auch mein Ziel, einen gesun­den, aus­ge­gli­che­nen und gut arbei­ten­den Hund zu züch­ten, den Stan­dard zu bewah­ren und Unvoll­kom­me­nes zu ver­bes­sern, ist an Vor­aus­set­zun­gen gebun­den – Vor­aus­set­zun­gen, die Kos­ten ver­ur­sa­chen und auf den ers­ten Blick ver­zicht­bar schei­nen mögen. So ist der viel­fach in Abre­de gestell­te Stamm­baum bei­spiels­wei­se nicht weni­ger als die Grund­la­ge für eine ver­ant­wort­li­che Zucht: Erb­krank­hei­ten, die über Gene­ra­tio­nen ver­steckt in den Genen einer Hun­de­ras­se schlum­mern, kön­nen nur bekämpft, kön­nen nur aus­ge­schlos­sen wer­den, wenn ich das Wis­sen, das mir ein Stamm­baum offen­bart, nut­ze und danach hand­le – die Gesund­heit ist obers­tes Gut. Das Gesund­heit mehr meint, als bloß den all­ge­mei­nen Zustand eines Hun­des, ober­fläch­lich von einem Tier­arz­tes beur­teilt, und mich die Vor­schrif­ten des Ver­eins zu Unter­su­chun­gen ver­pflich­ten, die ein­mal oder immer wie­der mit Kos­ten ver­bun­den sind, neh­me ich des­halb bil­li­gend in Kauf – weiß ich doch, dass nicht nur mei­ne Hun­de, son­dern auch die, die nach mei­nem Wil­len gebo­ren wer­den, nicht weni­ger als die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen ver­dient haben. Letz­te­re mögen durch die Zucht­be­stim­mun­gen nicht immer ein­deu­tig gere­gelt sein und mir als Züch­ter nahe­le­gen, den gesun­den Mit­tel­weg zu fin­den: Wie vie­le Wür­fe mute ich einer Hün­din zu? Wie viel Zeit kann ich auf­wen­den – wie kann ich sicher stel­len, dass die Auf­zucht der Wel­pen wohl gelingt? Und: Ist es mir mög­lich ein­zu­schät­zen, ob sich für die­sen oder jenen Wurf genü­gend Inter­es­sen­ten fin­den, oder pla­ne ich nur um des Pla­nens Wil­len – ins Blaue hinein?

I took the one less tra­ve­led by …

Hun­de zu züch­ten heißt in ers­ter Linie, sich der eige­nen Ver­ant­wor­tung bewusst zu wer­den. Der Ver­ant­wor­tung für den Hund – nicht nur dem eige­nen gegen­über,  des­sen phy­si­scher und psy­chi­scher Gesund­heit, son­dern auch im Hin­blick auf die Wei­ter­ent­wick­lung der Ras­se, deren Wert und Wohl­erge­hen. Der Ver­ant­wor­tung für die Gemein­schaft – die Ein­sicht, dass das eige­ne Han­deln nie nur für sich, son­dern immer im Zusam­men­hang steht und sowohl Licht als auch Schat­ten auf das Han­deln ande­rer wirft. Der Ver­ant­wor­tung für den Wel­pen­käu­fer – nicht nur sorg­fäl­tig aus­zu­wäh­len, son­dern auch die Bereit­schaft, jeder­zeit bera­tend zur Sei­te zu ste­hen. Und schließ­lich: Der Ver­ant­wor­tung, den eige­nen Zie­len treu zu bleiben.

Wenn ich mor­gens mit den Hun­den durch den Wald und über die Fel­der lau­fe, gibt es nur uns und den Weg, der vor uns liegt. Kei­ne Prei­se und Poka­le, kein Pro­fit – nichts, dass wich­tig ist. Nur dann und wann einen Blick zurück und ein kur­zes Schwanz­we­deln, vielleicht.

And that has made all the difference.
– Robert Frost »The Road Not Taken« (1915)

© Johannes Willwacher