05|11|2012 – Wun­der­schön und ziem­lich gut abgehangen

7. November | 57. Trächtigkeitstag

Die Nacht war ruhig, aber rast­los. Von weich nach hart, vom Kopf­kis­sen zum Fußen­de – wie man sich bet­tet, liegt man nicht lan­ge. Die letz­ten Tage haben den Bauch zwar nur wenig wei­ter wach­sen las­sen, 74 Zen­ti­me­ter machen aber nicht nur das Fin­den der ver­meint­lich bes­ten Schlaf­po­si­ti­on zur Tour de Force. Jeder Spa­zier­gang for­dert Über­re­dungs­kunst und wird, kaum hat man fünf Minu­ten Weg zurück­ge­legt, gleich wie­der für been­det erklärt. Sechs Tage noch, vielleicht.

08|11|2012 – Big girls are beautiful

8. November | 58. Trächtigkeitstag

Mei­nen vor­letz­ten Arbeits­tag hat­te ich mit einer unmiss­ver­ständ­li­chen Arbeits­an­wei­sung an den Daheim­ge­blie­be­nen begon­nen. Einer Arbeits­an­wei­sung, die zum einen besag­te, was noch zu besor­gen (Sagro­tan und Vase­li­ne), zum ande­ren, wann die Tem­pe­ra­tur zu mes­sen sei. Die Bedie­nung eines Ther­mo­me­ters scheint auch bei nähe­rer Betrach­tung kei­ne all­zu gro­ße Her­aus­for­de­rung dar­zu­stel­len – ein­mal »Piep« rein­ste­cken, zwei­mal »Piep« raus­zie­hen – dass man­cher mit der Fra­ge, wie tief ein Fie­ber­mes­ser ein­zu­füh­ren ist bis­wei­len über­for­dert sein kann, hat ein Anruf am frü­hen Nach­mit­tag bewiesen.

»36,8 Grad«, erwi­der­te der Anru­fer auf die Fra­ge, wie das Befin­den der Schwan­ge­ren sei. Bin­nen Sekun­den hat­te ich den Magen im Kopf, das Herz in der Hose und fast einen Fuß in der Tür. »Bist du dir sicher, dass du rich­tig gemes­sen hast«, frag­te ich stot­ternd, »also so rich­tig, rich­tig?« Dem Nicht­wis­sen­den sei gesagt, dass die Kör­per­tem­pe­ra­tur eines Hun­des etwas ober­halb der mensch­li­chen liegt, im Durch­schnitt bei etwa 38 Grad. Bei einer träch­ti­gen Hün­din sackt die­ser Wert kurz vor der Geburt auf unter 37 Grad ab. »Miss bit­te in einer hal­ben Stun­de noch ein­mal«, mein­te ich, »und ach­te dar­auf, dass du das Ther­mo­me­ter nicht nur auf gut Glück ins Fell bohrst«. Kur­zes Auf­stöh­nen am ande­ren Ende. »Aber es war im Popo!«

»37,3 Grad«, lau­te­te eine hal­be Stun­de spä­ter das Mess­ergeb­nis. »Hat vor­hin viel­leicht an der Vase­li­ne gele­gen, die war ziem­lich kalt«. Was soll man dazu noch sagen?

Bei­na­he fünf Kilo­gramm mehr trägt Nell mit sich her­um, der Bauch, schon deut­lich abge­sackt, misst 77 Zen­ti­me­ter. Die bei­den klei­nen Spa­zier­gän­ge heu­te hat sie, in sehr gemäch­li­chem Schritt, bei­na­he genos­sen. Das Auf­ste­hen fällt ihr immer schwe­rer und auch das Put­zen will nicht mehr so leicht gelin­gen. Ich tip­pe auf Sonn­tag, wer bie­tet mehr?

10|11|2012 – Wir war­ten weiter

10. November | 60. Trächtigkeitstag

Nells Flan­ken sind deut­lich ein­ge­fal­len, die Wel­pen­be­we­gun­gen sind von außen gut sicht­bar – unge­zähl­te Pfo­ten, die pras­selnd zu ver­ste­hen geben, dass sie bereit sind das Licht der Welt zu erbli­cken. Die Suche nach einem geeig­ne­ten Ver­steck für ihre Wel­pen ist zwar, bis auf ein halb­her­zig aus­ge­ho­be­nes Erd­loch in der Gar­ten­he­cke, ergeb­nis­los ver­lau­fen, die wer­den­de Mut­ter scheint trotz­dem ver­stan­den zu haben, dass nicht mehr viel Zeit bleibt: Sie weicht mir kei­nen Schritt von der Seite!

11|11|2012 – Kurz nach sie­ben: Die Tem­pe­ra­tur ist nicht gesunken

11. November | 61. Trächtigkeitstag

Geduld heißt die Tugend der Stun­de. Die Sonn­tags­kin­der, die nun doch kei­ne wer­den, fah­ren unter mei­ner Hand mun­ter Karus­sell – die Schwan­ge­re selbst hat die Ruhe weg und genießt es gestrei­chelt zu wer­den. Dass ich denen, die eif­rig mit uns auf die Geburt ihres Wel­pen war­ten, ger­ne Bes­se­res berich­tet hät­te, lässt sie – auch wenn wir uns bereits durch die eine oder ande­re Senk­we­he gehe­chelt haben – wei­ter unbe­ein­druckt. War­ten wir also ab, was der Tag bringt.

11|11|2012 – Gemüt­lich geht immer

12. November | 62. Trächtigkeitstag

Acht­hun­dert Meter in der Abend­däm­me­rung – die Stra­ße hin­auf, die Stra­ße hin­un­ter – und kaum auf dem Geh­steig arg­wöhnt man, der Weg sei zu weit und das in Aus­sicht gestell­te Abend­essen schme­cke ganz sicher auch ohne den Spa­zier­gang in Anfüh­rungs­zei­chen. Sämt­li­che Über­re­dungs­küns­te las­sen sie schließ­lich ein Gän­se­füß­chen vor das ande­re set­zen – die letz­ten Son­nen­strah­len glän­zen gol­den über den Dächern – und mit Ach und Krach schaf­fen wir es, die ansons­ten eher kurz­wei­li­ge Run­de bei Ein­bruch der Dun­kel­heit zu been­den. Das Abend­essen lässt man sich durch­aus noch schme­cken, danach wird aus hei­te­rem Him­mel ein hei­se­rer Gesang ange­stimmt und Unru­he bricht aus. Bauch an Rücken hecheln wir uns durch eine wei­te­re Senk­we­he, die zwar nur zöger­lich abebbt, aber vor­erst fol­gen­los bleibt: Bei 37,9 Grad und im Bewusst­sein, dass für Bauch und Babies kein Grund zur Sor­ge besteht, geht es brav zu Bett.

Der Mor­gen beginnt mit 37,1 Grad – der bis­he­ri­ge Tiefst­wert – bleibt abzu­war­ten, ob er in den kom­men­den Stun­den noch wei­ter sinkt.

Kurz vor neun ist die Tem­pe­ra­tur auf 36,8 Grad gesun­ken – unse­re Wel­pen machen sich heu­te auf den Weg. Nell ist noch ent­spannt, kein Hecheln, kei­ne Unru­he – das Früh­stück hat sie zwar bereits ver­schmäht, bis zum Mit­tag ist die Tem­pe­ra­tur aber wei­ter gesun­ken bis auf 36,6 Grad. Am Nach­mit­tag hat leich­tes Hecheln ein­ge­setzt und Nell sich ins Schlaf­zim­mer ver­kro­chen. Gegen Abend ist die Tem­pe­ra­tur schließ­lich, nach­dem sie vor­erst wie­der ange­stie­gen war, auf 36,5 Grad gesun­ken – der Tief­punkt, in den nächs­ten vier­und­zwan­zig Stun­den soll­ten unse­re Wel­pen zur Welt kom­men. Wir war­ten ab und wer­den die Nacht wohl mit Hecheln verbringen.

12|11|2012 – Unse­re Wel­pen machen sich auf den Weg

13. November | 63. Trächtigkeitstag

Es ist kurz nach fünf. Die Wurf­kis­te wur­de wäh­rend der Nacht­stun­den immer wie­der auf links gedreht, Nell jam­mert und hechelt und fin­det kei­ne Ruhe: Von der Wurf­kis­te zum Gäs­te­bett, dann heult man sich wei­ter zur Tür – drei Schrit­te im Vor­gar­ten, zwei Trop­fen, kaum mehr, ein unent­schlos­se­ner Blick, dann zurück in die Laken. Die Tem­pe­ra­tur ist leicht über 37 Grad gestie­gen, die Eröff­nungs­pha­se zieht sich, wir war­ten weiter.

Um Sicher­heit zu haben, dass mit Mut­ter und Kin­dern alles in Ord­nung ist, sind wir, den Kof­fer­raum mit Decken aus­ge­klei­det, gegen halb elf kurz­ent­schlos­sen zu unse­rem Tier­arzt gefah­ren. Kur­zes Abtas­ten, ein Blick auf den Mut­ter­mund, schließ­lich ein Ultra­schall: Den Wel­pen geht es gut, die Her­zen schla­gen schnell und kräf­tig, die Mut­ter der­weil scheint noch Zeit zu brauchen.

Wie­der wird es Abend, es ist halb sie­ben. Nell sitzt in der Wurf­kis­te und hechelt ange­strengt, lie­gen mag sie nicht mehr. Der Tier­arzt steht uns tele­fo­nisch zur Sei­te, meint, kei­ne Press­we­hen – nichts im Geburts­ka­nal – kein Grund zur Sor­ge, auch wenn das War­ten zermürbt.

© Johannes Willwacher