Sau­re Gur­ken-Zeit: Träch­tig – oder nicht?

»Nudel­sa­lat«, denkst du, nimmst mit der einen Hand das halb­vol­le Glas Gewürz­gur­ken vom obe­ren Regal, greifst mit der ande­ren nach dem Ring Fleisch­wurst, der, am einen Ende ange­schnit­ten, gleich dane­ben liegt, und schiebst die Kühl­schrank­tür mit einer schwung­vol­len Bewe­gung aus der Schul­ter zu. Das fast im glei­chen Augen­blick ein Hund neben dir steht und gespannt beäugt, was sich im Griff dei­ner Hän­de befin­det, mag durch das lei­se Klir­ren der Glä­ser bedingt sein, die im Kühl­schrank anein­an­der schla­gen, und das für besag­ten Hund dem Ver­spre­chen auf eine zusätz­li­che Mahl­zeit gleich­kommt. »Essen gu-uuut«, gurrst du im Gehen und stellst die Zuta­ten auf dem Küchen­t­re­sen gegen­über ab. Kurz über­legst du zu erklä­ren, wor­in der Unter­schied zwi­schen Men­schen- und Hun­de­es­sen besteht, und dass Gewürz­tes, streng genom­men, nicht für den Hun­de­ma­gen taugt, kommst aber gleich wie­der davon ab. Für besag­ten Hund, das weißt du genau, gilt ohne­hin nur das Gesetz der Fleisch­the­ke: Darf’s ein biss­chen mehr sein?

Zum Ende der zwei­ten Träch­tig­keits­wo­che sind die Bla­sen­kei­me (Blas­to­zys­ten), die sich aus den befruch­te­ten Eizel­len gebil­det haben, kaum mehr als einen Mil­li­me­ter groß. Wäh­rend die­se bereits zu Beginn der zwei­ten Träch­tig­keits­wo­che die Gebär­mut­ter erreicht haben und dort frei und unre­gel­mä­ßig ver­teilt ver­wei­len, berei­tet sich der Kör­per der Hün­din durch eine erhöh­te Pro­ges­te­ronaus­schüt­tung auf die Ein­nis­tung der Embryo­nen in den Gebär­mut­ter­hör­nern vor. Inner­halb der Bla­sen­kei­me haben sich bereits zu die­sem Zeit­punkt drei Keim­schich­ten gebil­det, aus denen sich im wei­te­ren die Anla­gen des Wel­pen ent­wi­ckeln: Das Ner­ven­sys­tem und die Sin­nes­or­ga­ne aus der äuße­ren, das Herz und das Ske­lett aus der mitt­le­ren sowie Atmungs- und Ver­dau­ungs­or­ga­ne aus der inne­ren Schicht. Ein Mil­li­me­ter Leben.

»Gewürz­gur­ke?«, fragst du den Hund, der zu dei­nen Füßen alles auf­bie­tet, was er an Kunst­stück­chen kennt. »Ernst­haft?« Ver­blüfft lässt du eine ange­bis­se­ne Gur­ke fal­len, die der Vier­bei­ner sogleich mit Hoch­ge­nuss ver­speist. Dass die­se nicht ger­ne allei­ne blei­ben möch­te, glaubst du dem Hund aufs Wort, greifst also noch ein­mal in das Glas und lässt zwei wei­te­re Gur­ken fol­gen. Wäh­rend du dir die Fleisch­wurst vor­nimmst und dich fragst, ob Hun­de­müt­ter womög­lich die glei­chen Gelüs­te ver­spü­ren, wie ihr mensch­li­ches Gegen­stück, schiebt sich der besag­te Hund auf den Hin­ter­läu­fen vor­sich­tig an dir vor­bei und ver­sucht, das halb­vol­le Gur­ken­glas vom Tre­sen zu fischen. »Viel­leicht schwan­ger«, sagst du, und schraubst lachend den Deckel auf. »Bis zum Ultra­schall aber viel­leicht auch nur verfressen«.

© Johannes Willwacher