21|03|2017 – Spielen, Säugen und Erziehen: Neues aus dem Welpenzimmer
21|03|2017 – Spie­len, Säu­gen und Erzie­hen: Neu­es aus dem Welpenzimmer

Viereinhalb Wochen sind Nells letzte Welpen alt, noch einmal vier Wochen und sie werden bereit für den Auszug sein: warum sich unter das Glück, einen Wurf aufzuziehen, bisweilen Wehmut mischt.

Liebes Tagebuch,

als ers­tes fällt mir auf, dass ich Haa­re gelas­sen habe. Wenn ich mich im Schlaf­zim­mer schräg vor den Spie­gel stel­le, habe ich das gut im Blick. Was vor vier Wochen noch üppig und glän­zend war, scheint sich nun immer mehr aus­zu­dün­nen und – gera­de dort, wo die Wel­pen­pfo­ten beim Trin­ken anset­zen – bereits so weit aus­ge­fal­len zu sein, dass die nack­te Haut durch­scheint. Schlank, könn­te man sagen – und schlan­ker gewor­den bin ich dann wohl auch. Nicht, dass das nötig gewe­sen wäre. Aber man kann ein­fach kei­nen Wurf durch­füt­tern und den­ken, dass das spur­los an einem vor­über geht. Zumin­dest dann nicht, wenn man es rich­tig machen will. Es mag Hün­din­nen geben, denen das nicht gelingt – sol­che, die sich beim Säu­gen lang­wei­len und kaum fünf Minu­ten in der Wurf­kis­te aus­hal­ten, oder sol­che, die nichts lie­ber tun wür­den, als das Put­zen Put­zen sein zu las­sen und spie­len zu gehen – und ganz sicher ist nicht jede Hün­din dazu bestimmt, Mut­ter zu sein. Ich schon. Ohne Wenn und Aber.

Als zwei­tes sind es die grau­en Haa­re, die mir auf­fal­len, die immer deut­li­cher das schwar­ze Fell um mei­ne Augen durch­set­zen, mich einer­seits reif und wei­se wir­ken las­sen, mir ande­rer­seits zu ver­ste­hen geben, dass nicht nur die Wel­pen, son­dern auch die Zeit nicht spur­los an mir vor­über gegan­gen ist. Mei­ne Men­schen sagen, es sei an der Zeit für mich in Ren­te zu gehen, in Zucht­ren­te, mei­nen sie, und mich nach drei Wür­fen, denen ich (ganz so wie mei­ne Mut­ter und deren Mut­ter davor) eine ganz über­ra­gen­de Mut­ter gewe­sen bin, zu erho­len und damit abzu­fin­den, dass dies mei­ne letz­ten Wel­pen sind. Dass mir das Rent­ner­le­ben nicht gefal­len wird, glau­be ich kaum. Dass ich es ver­mis­sen wer­de, mich zu küm­mern – mei­ne Wel­pen nicht bloß groß und stark zu füt­tern, son­dern ihnen auch das Rüst­zeug mit­zu­ge­ben, das sie brau­chen, um in der Welt, die auf sie war­tet, zu bestehen – umso mehr. Acht­zehn Wel­pen habe ich gebo­ren – kei­ner krank, kei­nen habe ich ver­lo­ren – und wenn ich nach dem Glück derer gehen darf, die mei­ne Wel­pen mit sich genom­men und groß gezo­gen haben, ist viel­leicht jedes graue Haar auch ein Grund stolz auf mich zu sein.

PS: Ich bekom­me noch immer viel zu wenig zu essen.

Deine Nell

Die fünf­te Lebens­wo­che mar­kiert bei jedem Wurf einen Wen­de­punkt – nicht nur, weil die Wel­pen in der fünf­ten Woche vom klei­nen in das gro­ße Wel­pen­zim­mer umzie­hen, son­dern auch, weil man schlag­ar­tig begreift, dass es an der Zeit ist, rück­wärts zu zäh­len: Halb­zeit. Die­ses Begrei­fen geht für uns bei jedem Wurf mit ein wenig Weh­mut ein­her, bei die­sem – Nells letz­tem Wurf – viel­leicht sogar mit noch ein wenig mehr.

© Johannes Willwacher