Für Amy, die gestern ganz unerwartet beschlossen hat, dass es mit zehn Jahren an der Zeit ist, die letzte Reise anzutreten.

Man denkt ger­ne, dass man Zeit hat, sich auf die­sen Tag vor­zu­be­rei­ten. Dass man abse­hen kann, wenn der Abschied naht. Viel­leicht, um die letz­ten Wochen, Tage und Stun­den mit noch mehr Lie­be und Für­sor­ge aus­zu­klei­den, viel­leicht, um die letz­ten Din­ge noch ein­mal ganz bewusst zu tun – auf einer Bank zu sit­zen, die Hän­de im ver­trau­ten, war­men Fell zu ver­gra­ben, einen Ball zu wer­fen – viel­leicht, um sich nicht vor­wer­fen zu müs­sen, etwas ver­säumt zu haben. Man denkt ger­ne, dass man Zeit hat. Aber man irrt sich.

Als ich ges­tern Abend nach Hau­se kom­me, hat Amy sich bereits auf den Weg gemacht. Nell steht mit hän­gen­den Ohren am Trep­pen­ab­satz, so als wüss­te sie, was sich zuge­tra­gen hat – als wür­de sie ahnen, dass die Fra­ge, die ihr schon immer das schöns­te Lächeln ent­lockt hat, nie wie­der gestellt wer­den wird: »Sol­len wir zu Amy fah­ren?« Lang­sam setzt sie einen Fuß vor den ande­ren, dann ver­gräbt sie ihren Kopf in mei­nem Schoß. »Trau­er ist Lie­be, die hei­mat­los gewor­den ist«, habe ich irgend­wo ein­mal gele­sen. Und für Nell – für Neo, Ida, für das gan­ze Rudel – war Amy vor allen Din­gen das: Zuhause.

Wie­der war es Krebs – die Leber von Tumo­ren zer­setzt –, wie­der waren es bloß Stun­den, die für den Abschied blie­ben. Und wie­der denkt man sich: hät­te man doch nur mehr Zeit gehabt. Hätte.

Mach’s gut, Amy!

Amy †13|11|2017
Amy †13|11|2017

© Johannes Willwacher