01|05|2018 – Zion, Nell, Ida und Heidi
01|05|2018 – Zion, Nell, Ida und Heidi

Hundegruppen ticken anders – und nicht selten tickt in der Gruppe auch ein solcher Hund aus, der sonst durch die beste Erziehung glänzt. Ein ehrlicher Blick auf unser Hunderudel.

Ich mache einen gro­ßen Schritt über eine Pfüt­ze auf dem Weg, las­se die vier Schlepp­lei­nen, die an die­sem Mor­gen zu unse­rem Wald­spa­zier­gang gehö­ren, mit einer locke­ren Bewe­gung aus dem Hand­ge­lenk fol­gen, und erspä­he, als ich wie­der auf­bli­cke, eine frem­de Hun­de­schnau­ze, die hin­ter der nächs­ten Bie­gung aus dem noch spär­lich grü­nen Hasel­nuss­di­ckicht lugt. Dahin­ter taucht noch eine Zwei­te auf und – mein Puls, der sich kurz ver­stol­pert hat, beru­higt sich – der dazu­ge­hö­ri­ge Mensch, das Gesicht abge­wandt. Noch bevor einer mei­ner vier Hun­de die Ent­ge­gen­kom­men­den bemerkt – was nicht stimmt, denn alle drei haben sich augen­schein­lich zur Rast auf oder vor einer im Grün ver­steck­ten Wan­der­bank nie­der­ge­las­sen, viel­mehr kom­men also wir ent­ge­gen –, habe ich die Lei­nen gestrafft und um mei­nen Unter­arm gewi­ckelt, und mich men­tal auf das Fol­gen­de ein­ge­stellt. In Men­schen­spra­che über­setzt, lau­tet das in etwa so:

»Has­te den gesehen?«
»Wie schei­ße schaut der denn aus?«
»Hat der mich angeguckt?«
»Was glotzt der denn so blöd?«
»Um was geht’s denn?«
»Ey, du Homo!«
»Der kriegt gleich Haue!«
»Da mach ich mit!«

Das mag man­chem, der – so wie ich – zumeist mit meh­re­ren Hun­den spa­zie­ren geht, bekannt vor­kom­men: für sich genom­men ist jeder Hund sozi­al­ver­träg­lich und ori­en­tiert sich, bei der Begeg­nung mit frem­den Hun­den, aus­schließ­lich an sei­nem Men­schen, des­sen Fokus und Gelas­sen­heit – in der Grup­pe gibt dann aber oft­mals doch ein Wort – oder bes­ser: ein dahin­ge­pö­bel­tes Wau-wau – das nächs­te. War­um? Viel­leicht, weil es Spaß macht? Weil man sich gemein­sam mehr zutraut, als allein? Oder weil es in der Grup­pe schwe­rer fällt, den Schul­di­gen auszumachen?

25|04|2018 – Auf sie mit Gebrüll: Ida, Heidi, Nell und Zion
25|04|2018 – Auf sie mit Gebrüll: Ida, Hei­di, Nell und Zion

»Das gehört sich aber nicht!«

Wenn ich mir unse­re vier Hun­de anschaue, dann fällt mir auf, dass sich jeder in Begeg­nungs­si­tua­tio­nen anders ver­hält, er im Mit­ein­an­der ande­re Schwer­punk­te setzt oder eine ande­re Erwar­tungs­hal­tung zeigt.

Nell bei­spiels­wei­se ach­tet sehr auf die hün­di­sche Eti­ket­te und legt größ­ten Wert dar­auf, dass die Benimm­re­geln von ihrem Gegen­über ein­ge­hal­ten wer­den. Will hei­ßen: wer ihr respekt­voll begeg­net, der bekommt auch Respekt. Im Umkehr­schluss wird jede Unhöf­lich­keit, jedes auf­dring­li­che Fixie­ren abge­straft und Unter­wer­fung ver­langt. Mit Hun­den, die ihr sou­ve­rän begeg­nen – in der Regel sind die­se min­des­tens gleich­alt­rig oder älter als sie – kommt sie des­halb wesent­lich bes­ser aus, als mit jun­gen Hun­den, die sich viel eher durch rüpel­haf­tes Ver­hal­ten aus­zeich­nen und die aus­ge­präg­te Indi­vi­du­al­di­stanz, die Nell sich gesteckt hat, scham­los unter­schrei­ten. Dem­entspre­chend agiert sie auch in der Grup­pe: sie kon­trol­liert und ent­schei­det, wel­che Beob­ach­tun­gen der übri­gen Hun­de ihren Ein­satz oder ihre Auf­merk­sam­keit verdienen.

Zu beob­ach­ten und mög­li­che Gefah­ren laut­stark in die Grup­pe zu mel­den, gehört zwei­fels­oh­ne zu Idas selbst­ge­wähl­ten Auf­ga­ben – ich wür­de sogar so weit gehen, zu behaup­ten, dass sie ihren Sta­tus in der Grup­pe, der Nell nach­ge­ord­net ist, stark über die­se Auf­ga­be defi­niert, wenn nicht sogar auf­zu­wer­ten ver­sucht. Ganz ein­deu­tig ist das aller­dings nicht, denn bei Hun­de­be­geg­nun­gen kommt bei ihr noch ein wei­te­res Merk­mal zum tra­gen, das sich zwar ähn­lich laut­stark äußert, grund­sätz­lich aber anders gela­gert ist: »Du kommst hier nicht rein!« Ida ist näm­lich immer dar­auf bedacht, die von ihr bean­spruch­ten Res­sour­cen mög­lichst exklu­siv zu hal­ten – ganz gleich, ob es sich dabei um Fut­ter, Spiel­zeug, ihren Men­schen oder eben die jewei­li­ge Grup­pe han­delt, in der sie sich gera­de befin­det –, folg­lich tritt sie bei der Begeg­nung mit frem­den Hun­den ger­ne als Tür­ste­her auf. Bei­des zusam­men macht es nicht nur schwer ihr bei­zu­kom­men, son­dern auch, ein Alter­na­tiv­ver­hal­ten zu etablieren.

18|04|2018 – Zion und Heidi
18|04|2018 – Zion und Heidi

»Fräulein, hat dieser Fremde dort sie belästigt?«

Zion ist für mich am schwers­ten ein­zu­schät­zen – viel­leicht, weil sich bei ihm wenig »fes­te« Ver­hal­tens­wei­sen able­sen las­sen und sein Reper­toire, je nach Tages­form, zwi­schen schüch­ter­ner Zurück­hal­tung und muti­gem Nach-vor­ne-Pre­schen chan­giert. Fest steht bei ihm allein, dass er unter dem Pan­tof­fel steht, und nur im Auf­trag agiert – die Ent­schei­dun­gen wer­den immer von den Hün­din­nen getrof­fen. Er ist der edle wei­ße Rit­ter – ich glau­be, dass er sich am ehes­ten so begreift –, der dem Fräu­lein in Nöten zur Hil­fe eilt. Frem­de Rüden sind des­halb nicht son­der­lich gut gelit­ten – es sei denn, es han­delt sich bei die­sen um Cor­gies, Shel­ties, Dackel oder ande­re kurz­bei­ni­ge Ras­sen, bei denen Zion ger­ne ver­gisst, wel­chem Geschlecht er ange­hört, und mit lie­bes­tol­lem Gego­ckel (»Hey Süßer, heu­te Abend schon was vor?«) zu flir­ten beginnt.

Hei­di mag erst ein­mal jeden Hund – und bei­na­he jeder Hund mag sie. In der Grup­pe gel­ten aber auch für sie ande­re Regeln – oder viel mehr: wer­den die Regeln, die das hün­di­sche Mit­ein­an­der ansons­ten orga­ni­sie­ren, zuguns­ten des »gei­len« Gemein­schafts­ge­fühls ger­ne ver­ges­sen. Ich glau­be, dass Hei­di bei min­des­tens fünf­zig Pro­zent der Hun­de­be­geg­nun­gen, die mit lau­tem Gebell ein­her­ge­hen, gar nicht weiß, um was es geht, und bloß mit­macht, weil Bel­len, Knur­ren und sich Auf­bäu­men einen kurz­fris­ti­gen Adre­na­lin­kick ver­spre­chen – und das bedeu­tet Spaß.

18|04|2018 – Zion, Heidi, Nell und Ida
18|04|2018 – Zion, Hei­di, Nell und Ida

»Du kommst hier nicht rein!«

Ich ste­he also mit den vier Hun­den auf besag­tem Wald­weg, habe – weil noch kei­ner der Vier die ande­ren bemerkt hat – einen gewis­sen Wis­sens­vor­sprung, und ent­schei­de bin­nen Sekun­den, das vor uns lie­gen­de Hin­der­nis im Bogen zu umlau­fen. Mehr Distanz wird Nell gerecht – die somit, hof­fe ich, schon ein­mal die Klap­pe hal­ten wird –, bei den drei übri­gen Hun­den – das gefällt mir nicht, lässt sich aber nicht ändern – muss der Zufall ent­schei­den. Der Zufall will, dass es sich bei den bei­den frem­den Hun­den um Hün­din­nen han­delt, so dass Zion, der die Nase neu­gie­rig in die Luft gereckt hält, sich damit begnügt, hübsch aus­zu­se­hen. Blei­ben Hei­di und Ida. Bei der einen genügt ein schar­fes Nein, bei der ande­ren schei­tern wie erwar­tet sämt­li­che Ver­su­che, sie vom Bel­len abzu­brin­gen, und wird wie­der und wie­der die wenig freund­li­che Tür­ste­her­weis­heit vor­ge­tra­gen: »Du kommst hier nicht rein!« Dass die bei­den ande­ren Hün­din­nen, die ange­leint zu Füßen ihres Men­schen lie­gen, gar nicht rein wol­len, ist egal – Ida spult in End­los­schlei­fe ein Wau-wau nach dem ande­ren ab, und über­tönt damit auch das Gespräch, das sich zwi­schen mir und dem Besit­zer der bei­den lie­gen­den Hün­din­nen ent­spon­nen hat. Nell, Zion und Hei­di inter­es­siert das längst nicht mehr – alle drei haben begon­nen zu grasen.

»Lecker, lecker, lecker!«
»Fri­sches Grün schmeckt mir am Besten!«
»Fimp-iff-auch!«
»Du kommst hier nicht rein!«

Einer muss ja immer das letz­te Wort haben.

Frühlingsfrisch: neue Lieblingsfotos von unseren Vieren!

© Johannes Willwacher