Alle reden über Qualzucht? Weit gefehlt. Die breite Öffentlichkeit bleibt uninformiert. Ein Versuch über Grundlagen, Konsequenzen und Initiativen.
Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die selbst keinen Hund besitzen, fällt mir immer wieder auf, wie wenig das, was viele Hundemenschen derzeit vorrangig umtreibt, öffentlich diskutiert wird. Den Begriff »Qualzucht« mögen viele zwar schon einmal gehört haben, und einigen wenigen ist auch bekannt, dass damit Rassehunde gemeint sind, die durch Übertypisierung oder genetische Defekte so stark eingeschränkt sind, dass das tägliche Leben zur Qual wird – kaum jemand weiß aber, dass sich die Konsequenzen, die mit der Novellierung der Tierschutz-Hundeverordnung einhergehen, die zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, auch auf die Zucht aller übrigen Rassehunde auswirken.
Aber deine Hunde sind doch gesund!
»Aber deine Hunde sind doch gesund«, hat jemand in der vergangenen Woche zu mir gesagt, »du unternimmst doch dein Möglichstes, um Erbkrankheiten auszuschließen, oder nicht?« Dass die klinischen Untersuchungen, die ich bei meinen Zuchthunden durchführen lasse, zum Teil weit über die Vorgaben des Zuchtvereins hinausgehen, interessiert den Gesetzgeber genauso wenig, wie es die Veterinärämter interessiert, die mit der Umsetzung der Verordnung beauftragt worden sind. Ganz im Gegenteil, wird hier ganz im Sinne einschlägig bekannter Tierrechtsorganisationen die Auffassung geteilt: »Jeder Rassehund ist krank!«
Das Ausstellungsverbot: eine Chronologie in Zitaten (1/3)
Für die Züchter*innen bedeutet das, dass sich jeder Hund zusätzlichen Untersuchungen unterziehen muss, die nach der Willkür der verantwortlichen Veterinärämter festgelegt werden – ganz gleich, ob er an einer Hundeausstellung teilnehmen oder auf einem Sportturnier starten soll. »Also musst du einen gesunden Hund in Narkose legen lassen, nur weil jemand annimmt, dass diese oder jene Disposition in der Rasse häufiger auftritt?«, lautete eine andere Frage, die mir gestellt worden ist. »Alle für meine Rasse relevanten Untersuchungen lasse ich ohnehin vornehmen, wenn der Hund für die Zucht vorgesehen ist«, war meine Antwort darauf, »beim Border Collie wird aber zum Beispiel noch viel grundsätzlicher in Frage gestellt, ob ein Ausstellungsverbot auch Hunde betrifft, die Zahnfehler haben oder Anlageträger sind«.
Anlageträger und Erbkrankheiten
Als Anlageträger wird ein Hund bezeichnet, der Erbanlagen für ein bestimmtes Merkmal aufweist, ohne dieses selbst zu zeigen. Die Anlagen für viele Erbkrankheiten werden auf diese Weise verdeckt vererbt, und kommen erst dann zum Tragen, wenn zwei Anlageträger miteinander verpaart werden – fachlich spricht man hier von einem autosomal rezessiven Erbgang. Für die Hundezucht ist es deshalb unerlässlich, den genetischen Status der Zuchthunde möglichst umfassend zu kennen, und nur Hunde miteinander zu verpaaren, bei denen genetisch nachgewiesen worden ist, dass kein gesundheitliches Risiko für die Nachzucht besteht. Als Beispiele für solche Erbkrankheiten lassen sich beim Border Collie die Collie Eye Anomaly (CEA) oder das Trapped Neutrophil Syndrom (TNS) anführen, die durch Gentests nachgewiesen werden können.
Das Ausstellungsverbot: eine Chronologie in Zitaten (2/3)
Das Hauptaugenmerk der Kritiker liegt aber viel mehr auf den Fellfarben der Rasse, die bei unverständiger Verpaarung mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen vergesellschaftet sein können. Zu nennen ist hier allen voran die Fellfarbe Merle, die bei fast allen britischen Hütehunden seit Jahrhunderten bekannt ist, die bei der Verpaarung zweier Anlageträger zu Fehlbildungen des Innenohrs und der Augen führen kann. Während die kontrollierte Rassehundezucht in Deutschland zwar nach diesem Wissen agiert und die Zucht von sogenannten Double-Merles schon seit Jahrzehnten verboten ist, wird von den Kritikern hier ein »Ja, aber!« vorgeschoben: »Ja, aber, was ist denn, wenn jemand ohne dieses Wissen mit einem Anlageträger weiter züchtet?«
Möglichst viel Profit
Als Züchter könnte ich diese Frage sehr einfach beantworten: »Indem ich meine Welpenkäufer umfassend informiere und gezielt auf das Vorhandensein etwaiger rezessiv vererbter Erkrankungen hinweise«. Die Polemik – auch hier sind sich die Tierrechtsorganisationen und das von der Tierärztekammer Berlin initiierte Qualzucht Evidenz Netzwerk (QUEN), das sich selbst als Ratgeber für die ausführenden Veterinärbehörden versteht, einig – zieht es vor, ein anderes Bild zu zeichnen: den Züchter*innen fehlen »entsprechende Aus- und Fortbildung[en] […] und die Bereitwilligkeit diese auch in Anspruch nehmen zu wollen«¹, ihnen »geht es nicht um das Wohl der Tiere, sondern darum, möglichst viel Profit mit ihnen zu machen«². Sind es denn aber tatsächlich die Züchter*innen, die den großen Zuchtverbänden angehören, auf die sich die überwiegende Zahl schwerer Defektzuchten zurückführen lässt?
Das Ausstellungsverbot: eine Chronologie in Zitaten (3/3)
Bloß 18% aller Rassehunde in Deutschland stammen aus kontrollierter Zucht. Alle Übrigen werden ohne Vereinszugehörigkeit vermehrt oder sind durch illegale Welpenimporte nach Deutschland verbracht worden. Insbesondere in den vergangenen beiden Jahren haben nicht nur die Neuanmeldungen von Rassehunden deutlich zugenommen, sondern sind auch die Zahlen von beschlagnahmten Tieren aus illegalen Importen drastisch angestiegen. Auffallend sind hier vor allen Dingen die Zahlen bei Modehunderassen wie der Französischen Bulldogge: während die Welpenstatistik innerhalb des VDH für die Rasse seit Jahren eher rückläufig ist und kaum mehr als 300 bis 500 Welpen fallen, werden in den Neuanmeldungen fast 20.000 Tiere verzeichnet. Das ist ein Problem – und ein guter Grund, den Schulterschluss mit anderen Züchter*innen anzustreben, die sich der kontrollierten Rassehundezucht verschrieben haben: »Ohne uns wird alles schwarz!«
Mein gesunder Rassehund
Der Club für britische Hütehunde ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat die Initiative »Kontrollierte Rassehundezucht ist keine Qualzucht« ins Leben gerufen, die durch den Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) unterstützt wird, und der sich bereits zahlreiche weitere Rassehundezuchtvereine angeschlossen haben. Die Ziele sind vielfältig. Neben der Information der breiten Öffentlichkeit – sowohl im Hinblick auf die aktuelle Qualzuchtdiskussion, als auch auf die Maßnahmen, die von den Zuchtvereinen selbst schon umgesetzt worden sind –, ist ein besonderes Anliegen der Initiative, sich bei Medienvetreter*innen und politischen Entscheidungsträger*innen Gehör zu verschaffen. Weil: mehr Tierwohl nur »mit uns« erreicht werden kann.
Was Sie selbst tun können? Am einfachsten, indem Sie diesen Beitrag teilen. Indem Sie ihre Kontakte – insbesondere Tierärztinnen und Tierärzte – nutzen, um auf die Thematik hinzuweisen. Oder indem Sie ganz gezielt mit Politiker*innen und Medienvertreter*innen vor Ort sprechen.
Mehr Informationen zur Initiative:
www.meingesunderrassehund.de
© Johannes Willwacher