Wort gegen Hund: Mensch spricht, Hund hört – und versteht doch ganz anders. Über die Bedeutung (und die Missverständnisse) der täglichen Kommunikation.

Men­schen reden. Hun­de hören zu. Wie gut sie das tun – und wie bei­läu­fig die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Mensch und Hund pas­siert – ist aller­dings den wenigs­ten bewusst. Denn es geht dabei nicht allein um Kom­man­dos, die bewusst gesetzt wer­den. Viel­mehr ent­schei­det sich das Mit­ein­an­der in den klei­nen Momen­ten dazwi­schen: im Ton­fall, im Blick, in einer Ges­te – im uner­war­te­ten Seuf­zen am Frühstückstisch.

Die fol­gen­den Bei­trä­ge beschäf­ti­gen sich mit genau die­sen fei­nen Nuan­cen – und den (ver­meint­lich) gro­ßen Wor­ten, die unser Zusam­men­le­ben bestim­men. Jedes die­ser Wor­te ist mehr als nur ein Befehl. Es ist ein Kapi­tel in der heim­li­chen Gebrauchs­an­wei­sung für das täg­li­che Miss­ver­ständ­nis zwi­schen Zwei- und Vierbeinern.

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Meins!

Hun­de haben ein erstaun­lich gutes Gespür für Besitz­ver­hält­nis­se – zumin­dest, wenn es um ihre eige­nen Din­ge geht. Sie wis­sen genau, wel­ches Spiel­zeug »meins« ist, wel­cher Napf »meins« ist und dass das, was ein ande­rer Hund in sei­nem hat, selbst­ver­ständ­lich auch »meins« sein könn­te, wenn man es nur lan­ge genug anstarrt. Res­sour­cen­ver­tei­di­gung ist ihnen nicht fremd. Im Gegen­teil – sie ist ein zen­tra­les Ele­ment ihrer Sozialstruktur.

Was jedoch voll­kom­men fehlt, ist das Ver­ständ­nis dafür, dass der Mensch eben­falls Din­ge besit­zen könn­te, die nicht geteilt wer­den. Din­ge aus dem Kühl­schrank zum Bei­spiel. Oder vom Tisch. Oder aus der Tasche, die nur kurz auf dem Boden stand.

Wenn der Mensch ein Stück Käse aus dem Kühl­schrank nimmt, ist das aus Sicht des Hun­des auto­ma­tisch: ver­füg­bar. Nicht zuge­teilt, aber immer­hin in Bewe­gung. Und alles, was in Bewe­gung ist, gehört ins offe­ne Bewer­bungs­ver­fah­ren. Dass der Mensch das Wort »Meins« aus­spricht – mög­li­cher­wei­se sogar mit Nach­druck –, wird zwar regis­triert, hat aber kei­ner­lei Kon­se­quenz. Der Hund sieht: Nah­rung. Der Hund sieht: Nähe. Der Hund sieht: einen offe­nen Raum, in dem die Fra­ge »Wer bekommt das?« noch nicht abschlie­ßend geklärt wurde.

Die Idee, dass etwas, das sich in der Hand des Men­schen befin­det, nicht zur Dis­po­si­ti­on steht, ist nicht vor­ge­se­hen. Der Mensch kann das Objekt ger­ne hal­ten. Er kann auch dar­an rie­chen. Aber wenn er es isst, ohne es zu tei­len, ist das ein Ver­trau­ens­bruch. Viel­leicht sogar Verrat.

Hin­zu kommt die sprach­li­che Unklar­heit. »Meins« klingt weich. Irgend­wie dif­fus. Nicht wie ein kla­res Kom­man­do, son­dern wie ein Vor­schlag, über den man reden könn­te. Und Hun­de sind gute Ver­hand­ler. Beson­ders die, die mit den Augen spre­chen. Oder mit der Pfo­te. Oder mit einem lei­sen, resi­gnier­ten Seuf­zen, das an die gro­ßen Tra­gö­di­en der Lite­ra­tur erinnert.

Und so leben wir und unse­re haa­ri­gen Mit­be­woh­ner in einer WG der Miss­ver­ständ­nis­se: Wir glau­ben an Eigen­tum. Sie glau­ben an Mög­lich­kei­ten. Wir sagen »Meins«. Sie sagen: »Noch nicht.«

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Gleich!

Das Wort »Gleich« gehört zu den schil­lernds­ten, aber auch gefähr­lichs­ten Begrif­fen im Reper­toire der Mensch-Hund-Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wäh­rend der Mensch es in einer Mischung aus Zweck­op­ti­mis­mus und Selbst­be­trug ver­wen­det, löst es beim Hund eine Reak­ti­on aus, die irgend­wo zwi­schen pani­scher Erwar­tung, tie­fer Ver­un­si­che­rung und stil­ler Resi­gna­ti­on liegt. 

Was der Mensch mit »Gleich« meint, ist nicht klar defi­niert. Es kann fünf Minu­ten bedeu­ten. Oder fünf­zehn. Oder: irgend­wann zwi­schen »Ich muss nur noch kurz was erle­di­gen« und »Mist, jetzt ist es doch schon ganz schön spät«. Aus Sicht des Hun­des ist »Gleich« jedoch ein Wort mit abso­lu­tem Cha­rak­ter. Es mar­kiert eine Schwel­le, einen Punkt auf der inne­ren Kar­te, nach dem nichts mehr so sein wird wie zuvor. Der Kör­per spannt sich. Die Ohren zucken. Die Pfo­ten zit­tern leicht. Und dann: pas­siert nichts. Über Minu­ten. Stun­den. Tage. Viel­leicht Jah­re. Zumin­dest aus hundli­cher Perspektive.

Ephra­im Kishon schrieb ein­mal, ein Hund hal­te den Men­schen für einen Gott – ein­fach, weil die­ser ihn füt­tert und umsorgt. Wer also »Gleich« sagt, soll­te wis­sen: Für einen Moment glaubt der Hund. An dich. An dei­nen Plan. An dein Timing. Und dann pas­siert: nichts. Denn »Gleich« ist kein Ver­spre­chen, son­dern eine Zumu­tung. Es steht für all das, was hät­te pas­sie­ren sol­len, aber nie pas­siert ist. Und wer das Wort ein­mal zu oft ver­wen­det, ver­liert nicht nur die Glaub­wür­dig­keit, son­dern viel­leicht auch das Vertrauen.

Natür­lich könn­te man statt­des­sen »Jetzt« sagen – aber das ver­pflich­tet. Oder »Ich weiß es nicht« – das wäre ehr­lich, könn­te aber als Inkom­pe­tenz inter­pre­tiert wer­den. Man könn­te auch gar nichts sagen. Schwei­gen wird oft als Zustim­mung ver­stan­den, was zwar falsch, aber irgend­wie doch effi­zi­ent ist.

Und so sagen wir wei­ter­hin »Gleich« – obwohl wir wis­sen, dass es nicht stimmt. Und obwohl sie es wis­sen. Und viel­leicht liegt genau dar­in das Unzer­stör­ba­re. Nicht in der Wahr­heit. Son­dern im Glau­ben dar­an. Dass wir es ernst mei­nen. Irgend­wann. Ganz bestimmt. Gleich.

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Hier!

Der Begriff »Hier« bezeich­net im mensch­li­chen Sprach­ge­brauch einen Orts­be­zug im nähe­ren Umfeld des Spre­chers, meist ver­bun­den mit der impli­zi­ten Erwar­tung, dass sich das Gegen­über in eben jenes Umfeld bewegt. Kurz, prä­gnant, auf dem Papier ein­deu­tig. Im Kon­text der Mensch-Hund-Kom­mu­ni­ka­ti­on wird »Hier« ger­ne als Abruf­kom­man­do ver­wen­det – also in der Annah­me, der Hund möge sich nach sei­nem Aus­flug durchs Gelän­de wie­der zuver­läs­sig in Rich­tung des Spre­chen­den begeben.

In der Rea­li­tät jedoch ist »Hier« weni­ger ein Befehl als viel­mehr ein Alarm­zei­chen. Es wird mit Nach­druck und leicht erho­be­ner Stim­me gespro­chen, oft in Kom­bi­na­ti­on mit ner­vö­ser Kör­per­hal­tung und hek­ti­schen Hand­be­we­gun­gen. Kein Wun­der also, dass der Hund in die­sem Moment nicht etwa gehorcht, son­dern – völ­lig zu Recht – einen Not­fall vermutet.

Denn: War­um ruft der Mensch? Ein­fach so? Wohl kaum. Wenn »Hier« ertönt, muss ein Grund vor­lie­gen. Ein guter Grund. Ein Grund, sich umzu­se­hen. Drin­gend. Sofort. Viel­leicht ist ein Reh in Sicht. Viel­leicht ein Rad­fah­rer. Viel­leicht ein Reh auf einem Fahr­rad.  Wer kann das schon wis­sen? Die typi­sche Reak­ti­on auf das Kom­man­do »Hier« ist des­halb kei­ne Bewe­gung auf den Men­schen zu, son­dern ein suchen­des Umschau­en: »Wo? Was? Wer? War­um?« – gefolgt von einem vor­sich­ti­gen Vor­rü­cken in die ent­ge­gen­ge­setz­te Richtung.

In der Bewer­tung die­ses Ver­hal­tens muss man dem Hund zugu­te­hal­ten: Er tut, was der Mensch ihn gelehrt hat. »Hier« bedeu­tet Auf­re­gung. Und Auf­re­gung bedeu­tet: Gefahr. Die ein­zi­ge Gefahr, die der Mensch meint, ist aller­dings oft nur das nächs­te Abendessen.

Was den Hund betrifft: Er war­tet lie­ber noch kurz. Nur zur Sicherheit.

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Fein!

»Fein« ist eigent­lich ein Lob. Warm, freund­lich, aner­ken­nend. Eine laut­li­che Umar­mung. Ein aner­ken­nen­des Nicken in Wort­form. Für den Men­schen. Für den Hund ist es jedoch: eine seman­ti­sche Fal­le mit Anlauf.

Denn »Fein« steht häu­fig am Ende eines Kom­man­dos. Nach dem »Sitz«, dem »Platz« oder dem »Bleib«. Und dort – in die­ser schein­bar unschul­di­gen Über­gangs­zo­ne – ent­fal­tet »Fein« sei­ne destruk­ti­ve Kraft.

Der Mensch meint: »Fein! Du machst das gut. Bleib so.« Der Hund hört: »Fein! Du darfst jetzt auf­ste­hen, durch­star­ten, schnüf­feln oder nach­schau­en, ob das Licht im Kühl­schrank auch bei geschlos­se­ner Tür noch brennt.«

Zwi­schen Lob und Auf­lö­sung liegt eine Lücke. Und die­se Lücke füllt sich mit Miss­ver­ständ­nis­sen. Mit gut gemein­ten Ent­täu­schun­gen. Mit dem flüch­ti­gen Moment, in dem der Hund los­springt – und der Mensch ruft: »Nein! Fein heißt nicht, dass du darfst!«

Was »Fein« eigent­lich meint, ist so unklar wie sei­ne Anwen­dung. Ist es ein Mar­ker? Ein Lob? Ein End­punkt? Ein Über­gang? Die Ant­wort lau­tet, wie so oft in der Mensch-Hund-Kom­mu­ni­ka­ti­on: Ja. Und weil das so ist, reagie­ren vie­le Hun­de irgend­wann gar nicht mehr auf »Fein«. Oder zu früh. Oder zu spät. Sie hören das Wort, ana­ly­sie­ren das Gesicht, scan­nen die Kör­per­spra­che – und ent­schei­den dann, ob gera­de ein »Fein«-Fein gemeint war oder nur ein »Fein«-Vielleicht.

Hun­de­trai­nings­rat­ge­ber emp­feh­len übri­gens, Auf­lö­se­si­gna­le kla­rer zu gestal­ten. Mit eige­nen Begrif­fen wie »Okay«, »Lauf« oder »Ende«. Was im All­tag lei­der oft schei­tert – an Träg­heit, Gewohn­heit oder der unaus­ge­spro­che­nen Hoff­nung, dass der Hund es schon irgend­wie rich­tig deu­ten wird. Tut er aber nicht. Er hört nur: »Fein.« Und denkt: »Aha. Unklar. Ich improvisiere.«

So bleibt das »Fein« ein Laut mit vie­len Gesich­tern. Und einem fes­ten Platz im Wör­ter­buch der Verständigungskatastrophen.

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Nein!

»Nein« ist ein kur­zes Wort. Hart. Klar. Unver­rück­bar. In der Theo­rie. In der Pra­xis hin­ge­gen: ein schil­lern­der Begriff mit mul­ti­plen Bedeu­tungs­fa­cet­ten – je nach Ton­fall, Tages­form und Hor­mon­la­ge des Absenders.

Für den Men­schen bedeu­tet »Nein«: Unter­lass das bit­te. Sofort. Und voll­stän­dig. Für den Hund bedeu­tet »Nein« oft: Eine Form von akus­ti­scher Beglei­tung zur aktu­el­len Tätig­keit. Eine Art Kom­men­tar aus dem Off. Viel­leicht sogar: ein Dialogangebot.

In sei­ner ursprüng­li­chen Funk­ti­on als Abbruch­si­gnal gedacht, ist »Nein« mitt­ler­wei­le zu einem Signal mit unkla­rem Aus­gang ver­kom­men. Denn wer »Nein« sagt, aber dabei auf dem Sofa sit­zen bleibt, sagt in Hund: »Nicht ide­al, aber wenn du dich dabei wohl­fühlst, mach ruhig weiter.«

Die seman­ti­sche Unschär­fe des »Nein« ergibt sich dabei nicht allein aus man­geln­der Kon­se­quenz. Son­dern auch aus sei­ner infla­tio­nä­ren Ver­wen­dung. Wer »Nein« beim Auf­ste­hen sagt, beim Gas­si­ge­hen, beim Türen­öff­nen und beim Ansprin­gen, hat am Ende ein Wort geschaf­fen, das alles und nichts bedeu­tet. Ein akus­ti­sches Schulterzucken.

Der Hund, als auf­merk­sa­mer Beob­ach­ter der mensch­li­chen Wider­sprü­che, lernt schnell: »Nein« ist kein Ver­bot, son­dern ein Wet­ter­be­richt. Eine Ton­la­ge. Ein Hin­weis auf mög­li­che Miss­bil­li­gung – die aber kei­ne Fol­gen hat. Oder wie es in der hun­de­phi­lo­so­phi­schen Lite­ra­tur heißt: »Ein Nein ohne Hand­lung ist wie ein Rie­gel ohne Schloss: deko­ra­tiv, aber weit­ge­hend nutzlos.«

Natür­lich lie­ße sich das behe­ben. Man könn­te »Nein« nur sagen, wenn man es auch wirk­lich meint. Und es dann durch­setzt. Aber das wür­de ein Maß an Kon­se­quenz erfor­dern, das dem west­li­chen Haus­hund im Jahr 2025 schlicht nicht mehr zumut­bar ist. Und dem Men­schen auch nicht. So bleibt das »Nein« ein Wort mit Poten­ti­al. Ein Vor­schlag. Eine Denk­rich­tung. Und manch­mal – mit viel Glück – sogar ein Signal.

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Ach!

»Ach« ist kein Kom­man­do. Es ist ein Lebens­ge­fühl. Ein resi­gnier­tes Schul­ter­zu­cken in Laut­form. Ein Zei­chen dafür, dass der Mensch sei­nen Prin­zi­pi­en gera­de beim Ver­re­cken zusieht – und nichts dage­gen unter­nimmt. »Ach« wird meist dann ver­wen­det, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll­te, aber man nicht die Kraft hat, die Kon­se­quenz zu zie­hen. Ein audi­tives Hand­tuch, das in den Ring gewor­fen wird.

Typi­scher Ablauf: Der Hund springt aufs Sofa. Der Mensch sagt »Run­ter!« – Der Hund bleibt sit­zen. Der Mensch sagt »Nein!« – Der Hund gähnt. Der Mensch sagt »Ach …« – Der Hund streckt sich, rollt sich zusam­men und schläft ein. Was der Mensch als Seuf­zer meint, inter­pre­tiert der Hund als Erlaub­nis. Und: Er hat recht.

»Ach« ist die gespro­che­ne Ver­si­on von »Ist jetzt auch egal«. Es steht am Ende der Kon­se­quenz­ket­te – dort, wo man kei­ne Lust mehr hat, Din­ge durch­zu­set­zen. Wo man kapi­tu­liert. Und das Sofa nicht mehr ver­tei­digt. Der Mensch ver­liert mit »Ach« nicht nur die Dis­kus­si­on, son­dern auch die Hoheit über den eige­nen Anspruch. Denn wer ein­mal »Ach« sagt, wird es wie­der tun. Und der Hund weiß das.

In der hun­de­phi­lo­so­phi­schen Fach­li­te­ra­tur gilt »Ach« als soge­nann­te pas­si­ve Frei­ga­be­for­mel. Es been­det kei­ne Hand­lung, son­dern legi­ti­miert sie im Nach­hin­ein. Ein Rück­grat­weich­ma­cher. Eine Kapi­tu­la­ti­ons­flos­kel. Und gleich­zei­tig ein Schlüs­sel­be­griff in der Bezie­hung zwi­schen Mensch und Hund – beson­ders dann, wenn die Bezie­hung eher auf Gewöh­nung als auf Gehor­sam beruht.

Man­che Trai­ner emp­feh­len, »Ach« aus dem Wort­schatz zu strei­chen. Das wäre kon­se­quent. Aber unrea­lis­tisch. Denn »Ach« hat eine psy­cho­lo­gi­sche Funk­ti­on: Es schützt den Men­schen vor sich selbst. Vor zu hohen Ansprü­chen. Vor zu gro­ßer Stren­ge. Und manch­mal auch vor dem pein­li­chen Ein­ge­ständ­nis, dass man sich gera­de von 18 Kilo­gramm hün­di­schem Trotz hat über­stim­men lassen.

Am Ende bleibt »Ach« das, was es ist: Kein Signal. Kein Befehl. Kein Lob. Son­dern ein kur­zer, wei­cher Laut, der sagt: Ich weiß, ich soll­te. Aber ich kann grad nicht. Mach halt. Ich lie­be dich trotzdem.

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So!

»So« ist kein Kom­man­do, son­dern ein Zustand. Ein Klam­mer­aus­druck des All­tags. Ein Geräusch, mit dem der Mensch die Sze­ne wech­selt. Und genau dar­in liegt das Problem.

»So« kann alles bedeu­ten. Anfang. Ende. Pau­se. Fort­set­zung. Es hängt davon ab, wann, wie und mit wel­cher Ton­la­ge es gesagt wird. Es gibt »So!« mit Aus­ru­fe­zei­chen – ener­gisch, moti­vie­rend, vor einer Hand­lung. Und es gibt »Sooo …« mit meh­re­ren Punk­ten – gedehnt, resi­gna­tiv, nach einer Hand­lung. Für den Hund klingt bei­des gleich. Und meint bei­des oft: nichts.

»So« vor einer Übung heißt: »Jetzt geht’s los.« »So« nach einer Übung heißt: »Jetzt ist’s vor­bei.« Und mit­ten­drin heißt es: »Ich bin unsi­cher, aber sage was, damit es nicht so auf­fällt.« Der Hund aber kennt kei­ne Zwi­schen­tö­ne. Er hört »So« – und fragt sich: Geht’s jetzt los? Ist es vor­bei? Muss ich auf­pas­sen? Oder darf ich gehen?

Die dop­pel­te Ver­wend­bar­keit von »So« macht es zu einem beson­ders tücki­schen Begriff in der Mensch-Hund-Kom­mu­ni­ka­ti­on. Denn er steht nie für sich. Son­dern immer im Kon­text. Nur kennt der Hund die­sen Kon­text nicht. Er weiß nicht, ob das Trai­ning beginnt oder endet. Ob das Spiel los­geht oder auf­hört. Er sieht nur den Men­schen, der sagt: »So.« Und wartet.

In der semio­ti­schen Ana­ly­se gilt »So« als Über­gangs­si­gnal mit unkla­rer Lauf­rich­tung. Ein akus­ti­sches Dreh­kreuz ohne Plan. Es bie­tet Ori­en­tie­rung durch Ver­wir­rung. Und genau des­halb ist es so beliebt. Denn »So« ist ein Gefühl. Kein Befehl. Kein Lob. Kei­ne Frei­ga­be. Son­dern eine Atmo­sphä­re. Eine Ges­te der Handlungslosigkeit.

Der Hund neigt des­halb dazu, »So« grund­sätz­lich zu sei­nen Guns­ten zu inter­pre­tie­ren und ent­spre­chen­de Hand­lun­gen fol­gen zu las­sen. Der Mensch erhebt sich vom Sofa und sagt »So« – also geht’s jetzt los! Los in den Gar­ten! Los ins Aben­teu­er! Los ins Leben! Der Hund springt also auf, vol­ler Vor­freu­de. Nur um fest­zu­stel­len: Der Mensch woll­te sich bloß einen Joghurt holen. Für sich.

»So«, denkt der Hund. Und legt sich wie­der hin. Bis es wie­der »So« macht. Viel­leicht meint es ja dann wirk­lich ihn.

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Schluss!

»Schluss« ist ein Wort mit Auto­ri­täts­an­spruch. Kurz, ent­schie­den, final. Es klingt wie ein Punkt am Ende eines Sat­zes – mit Aus­ru­fe­zei­chen. Für den Men­schen ist »Schluss« das rhe­to­ri­sche Pen­dant zum Türen­schla­gen: ein deut­li­ches Ende. Ein akus­ti­scher Schluss­strich. Ein Signal, dass jetzt wirk­lich mal gut ist. Aber was meint »Schluss« eigent­lich? Und was ver­steht der Hund?

In der All­tags­pra­xis begeg­net man »Schluss« meist in Stress­si­tua­tio­nen. Zwei Hun­de knur­ren sich an. Der Mensch sagt: »Schluss!« Ein Wel­pe kaut auf dem Tisch­bein. Der Mensch ruft: »Schluss!« Jemand bellt. Jemand stän­kert. Jemand trägt den Gar­ten­schlauch ins Wohn­zim­mer. »Schluss!« Es ist ein Wort der Eska­la­ti­on, nicht der Prä­ven­ti­on. Es soll been­den, was nie hät­te begin­nen dür­fen. Und genau des­halb funk­tio­niert es selten.

Für den Hund bedeu­tet »Schluss« näm­lich vor allem: Jetzt ist irgend­was los. Eine Stim­me wird laut, eine Bewe­gung abrupt, ein Blick streng. Das Kom­man­do kommt nicht aus der Ruhe, son­dern aus der Erre­gung – und ist damit weni­ger Ori­en­tie­rung als Echo. Der Hund reagiert auf das »Schluss!« mit Unsi­cher­heit, mit Anspan­nung – oder mit der Fra­ge: »Was genau war denn jetzt das Problem?«

»Schluss« ist ein Ver­such, Sou­ve­rä­ni­tät durch Laut­stär­ke zu erset­zen. Und das mer­ken Hun­de. Sie hören nicht nur das Wort. Sie hören die Stim­mung. Und wenn »Schluss« nicht in der Lage ist, eine Kon­se­quenz zu mar­kie­ren – wenn also weder eine Hand­lung noch eine Ver­än­de­rung folgt – dann wird »Schluss« selbst zur Far­ce. Ein Lärm ohne Wir­kung. Ein gro­ßes akus­ti­sches Nichts.

Vie­le Hun­de reagie­ren dar­auf mit Rück­zug. Ande­re mit Über­sprung. Und man­che mit einer stil­len Bemer­kung an die Wand­ver­klei­dung. Aber kaum einer hört auf. Nicht wirk­lich. Denn der Mensch sagt zwar »Schluss!«, aber er meint: »Ich bin über­for­dert. Bit­te mach von selbst, was ich gera­de nicht hin­krie­ge. Danke.«

Was »Schluss« in Wirk­lich­keit aus­löst, ist sel­ten Gehor­sam – son­dern Pro­test. Und zwar auf einer exis­ten­zi­el­len Ebe­ne. In etwa so wie: »Du bist nicht mei­ne ech­te Mama. Du hast mir gar nichts zu sagen.«

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Ja!

»Ja« ist kein Kom­man­do. Es ist eine Ange­wohn­heit. Und damit brand­ge­fähr­lich. Denn »Ja« klingt nach Zustim­mung, wird oft als Bestä­ti­gung benutzt – meint aber so ziem­lich alles, je nach­dem, mit wel­chem Satz es ver­knüpft ist.

Der Mensch sagt »Ja, fein!«, »Ja, komm mal her«, »Ja, nicht so schnell«, »Ja, was machst du denn da?« – und jedes Mal bedeu­tet das »Ja« etwas ande­res. Für den Hund ent­steht dar­aus ein seman­ti­sches Rät­sel mit wech­seln­der Lösung. »Ja« ist wie ein Puz­zle­stück, das nie ganz passt, aber trotz­dem immer benutzt wird.

In der Mensch-Hund-Kom­mu­ni­ka­ti­on ist »Ja« das Cha­mä­le­on unter den Begrif­fen. Es ist kein kla­res Signal, son­dern ein Laut mit posi­ti­ver Grund­stim­mung – manch­mal als Lob, manch­mal als Ein­stieg, manch­mal als belang­lo­ses Echo. Der Hund lernt schnell: »Ja« heißt irgend­was Gutes. Oder irgend­was mit mir. Oder irgend­was mit allem.

Das Pro­blem: Weil »Ja« nie allei­ne steht, son­dern immer etwas nach sich zieht oder ein­lei­tet, ist es für den Hund kein Befehl, son­dern ein akus­ti­sches Fra­ge­zei­chen. Es weckt Erwar­tun­gen. Es akti­viert. Es schärft die Sin­ne. Und wenn dann nichts pas­siert, bleibt beim Hund eine Mischung aus Ent­täu­schung und grund­lo­ser Eupho­rie zurück.

In der lin­gu­is­ti­schen Betrach­tung ist »Ja« ein soge­nann­tes kon­text­ab­hän­gi­ges Ver­stär­kungs­si­gnal – ein Wort, das sei­ne Bedeu­tung nur aus dem Satz­um­feld bezieht. Beim Men­schen funk­tio­niert das gut. Beim Hund führt es zu Ver­wir­rung, Miss­ver­ständ­nis­sen und über­mo­ti­vier­ten Reak­tio­nen. Denn der Hund hört »Ja« – und denkt: Jetzt pas­siert was! Jetzt geht’s los! Jetzt darf ich mit­den­ken! Und dann kommt: nichts. Oder schlim­mer noch: der Einkaufszettel.

Trotz­dem bleibt »Ja« ein belieb­ter All­tags­laut. Es signa­li­siert Nähe, Freund­lich­keit, Kon­takt. Und in sei­ner gan­zen Unschär­fe ist es viel­leicht genau des­halb so erfolg­reich: Weil es alles hei­ßen kann – und nichts. Und weil der Hund dar­aus macht, was gera­de passt. Im Zwei­fel: Freude.

Oder, wie der Hund denkt: »Ich habe kei­ne Ahnung, was du meinst. Aber du klingst nett. Ich bin dabei.«

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Danke!

»Dan­ke« ist ein Wort der Höf­lich­keit. Der Kul­tur. Der mensch­li­chen Zivi­li­sa­ti­on. Es mar­kiert den Moment, in dem der Mensch sei­ne Dank­bar­keit ver­ba­li­siert – kurz, knapp, auf­rich­tig. Oder auch nicht. Denn in der Inter­ak­ti­on mit dem Hund ist »Dan­ke« ein selt­sa­mes Phä­no­men: häu­fig benutzt, sel­ten ver­stan­den, völ­lig über­flüs­sig – und trotz­dem irgend­wie wichtig.

Der Mensch sagt »Dan­ke«, wenn der Hund ihm den Ball bringt. Oder das Bröt­chen­pa­pier. Oder das Kanin­chen. Leben­dig. Der Mensch sagt »Dan­ke«, wenn der Hund sich brav hin­setzt, obwohl man das Kom­man­do gar nicht aus­ge­spro­chen hat. Oder wenn er nach zwan­zig Minu­ten Bel­len ein­fach mal still ist. Und der Hund? Der guckt nur. Und fragt sich: »Wofür genau?«

In der hun­de­prak­ti­schen Lin­gu­is­tik gilt »Dan­ke« als sozia­les Selbst­ge­spräch. Ein Wort, das weni­ger den Hund adres­siert als die eige­ne Rol­le im Rudel­ge­sche­hen bestä­tigt. Es ist ein Ver­such, zivi­li­sier­te For­men in eine Bezie­hung ein­zu­füh­ren, die vor allem auf Kör­per­spra­che, Blick­kon­takt und emo­tio­na­lem Abgleich beruht. »Dan­ke« ist wie das Hän­de­schüt­teln beim Hund: gut gemeint, aber kul­tu­rell kom­plett daneben.

Und doch hat »Dan­ke« eine Funk­ti­on. Es beru­higt den Men­schen. Es signa­li­siert: Ich habe gese­hen, was du getan hast. Ich bin nicht blind. Ich bin nicht hart­her­zig. Ich bin ein reflek­tier­tes Wesen mit Tisch­ma­nie­ren. Der Hund wie­der­um nimmt das zur Kennt­nis. Oder auch nicht. In jedem Fall bleibt er höf­lich. Und schweigt.

Inter­es­san­ter­wei­se wird »Dan­ke« oft genau dann gesagt, wenn nichts mehr zu ret­ten ist. Wenn der Hund zwar gekom­men ist, aber dabei noch kurz in die Pfüt­ze gesprun­gen ist. Oder wenn der Rück­ruf klappt, aber nur, weil das Reh schon längst weg war. »Dan­ke« ist dann kei­ne Beloh­nung. Son­dern ein ver­ba­les Schul­ter­klop­fen in die Lee­re. Eine Art Notiz ans Uni­ver­sum: Ich hab’s versucht.

© Johannes Willwacher