Border Collie Zucht
Zuchttechniken – Chancen und Risiken
Wissenswertes über die Zucht von Border Collies – und Rassehunden im Allgemeinen –, die Chancen und Risiken verschiedener Zuchttechniken, und was einen Züchter ausmacht.
Zu theoretisch? Informationen zu unserer Welpenaufzucht finden Sie hier.
Möchte man es sich einfach machen, dann bedeutet Hundezucht vielleicht bloß, einen Rüden mit einer Hündin zu verpaaren. Irgendeinen Rüden mit irgendeiner Hündin. Wer bloß Welpen haben möchte, dem mag das genügen. Zum Züchter macht ihn das – strenggenommen – aber nicht, denn Züchten bedeutet – das dürfen Sie sich gedanklich gerne unterstreichen – die Paarungspartner im Hinblick auf ein bestimmtes Zuchtziel auszuwählen, das die rassetypischen Merkmale – dazu können beim Border Collie neben dem äußeren Erscheinungsbild auch die Arbeitseigenschaften der Rasse zählen – verbessert oder festigt. Um das besagte Zuchtziel zu erreichen bieten sich unterschiedliche Methoden an, die im Folgenden erklärt werden sollen, und die – weil Hundezucht eben doch viel mehr bedeutet, als bloß einen Rüden mit einer Hündin zu verpaaren – mit großen Vor- und Nachteilen behaftet sind. Wenn Sie dabei nun an Begriffe wie Inzucht denken, liegen Sie gar nicht so falsch. Und vielleicht fangen wir am besten genau damit an.
Inzucht und Linienzucht
Die Überschrift gefällt Ihnen nicht? Das dachte ich mir. Wenn von Inzucht die Rede ist, fallen die Reaktionen – ganz gleich ob unter Hundebesitzern oder Züchtern – zumeist sehr ähnlich aus: weil man Inzucht oder Linienzucht – die zwar unterschiedliche Namen tragen, letztendlich aber das gleiche meinen – oft und gerne für das gehäufte Auftreten von Erbkrankheiten verantwortlich macht, finden sich vorwiegend kritische Stimmen und mehrheitlich wird betont, dass allein durch Fremdzucht – darauf komme ich später noch zu sprechen – gesunde Nachzuchten zu erzeugen sind. Auch die Übertypisierung – die durch züchterische Selektion bedingte Übertreibung bestimmter Rassemerkmale – wird nicht selten mit den Begriffen Inzucht und Linienzucht in Verbindung gebracht. Aber ist dem wirklich so? Und was genau bedeutet Inzucht denn nun?
Unter Inzucht wird die Verpaarung zweier Tiere verstanden, die miteinander näher verwandt sind als der Durchschnitt der Rasse. Sie zielt neben einer deutlicheren Ausprägung eines oder mehrerer Rassemerkmale immer auch auf die Reinerbigkeit (Homozygotie) wünschenswerter Merkmale ab. Konkret bedeutet das, dass die Gene von Vater und Mutter auf einen oder mehrere gemeinsame Ahnen zurückgehen und sich mischerbige Merkmale vermindern. Unter den Nachkommen wird so ein einheitlicherer Typ erreicht, der sich deutlich stärker vererbt – stabiler ist –, als ein nicht ingezüchteter.
Die Reinerbigkeit bringt allerdings nicht bloß die besagten Vorteile mit sich, sie kann – wichtig: sie kann, sie muss jedoch nicht – auch einen entschiedenen Nachteil haben: da die genetische Vielfalt der Rasse eingeschränkt wird, und sich neben den erwünschten Genen auch solche festigen können, die rezessiv – das heißt: verdeckt und phänotypisch nicht in Erscheinung tretend – vererbt werden, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Anomalien (u. a. die Vitalität, Fruchtbarkeit oder Widerstandsfähigkeit der Nachzuchten betreffend) und erblichen Defekten (u. a. Autoimmunerkrankungen) deutlich größer, als bei Fremdverpaarungen. Ist Inzucht also unverantwortlich? Dazu finden sich sehr unterschiedliche Meinungen. Fakt ist, dass Inzucht bereits im Bestand vorhandene, rezessiv vererbte Erbgutschäden innerhalb weniger Generationen aufdecken kann. Während es bei Fremdzucht sehr wahrscheinlich ist, dass eine ungewollte rezessive Eigenschaft eine ganze Rasse unterläuft, bevor sie zum ersten Mal zufällig zu Tage tritt, können mittels Inzucht Probleme in den Zuchtlinien zuverlässig identifiziert und risikoreiche Vererber von der Zucht ausgeschlossen werden, bevor sie Auswirkungen auf die Gesamtpopulation haben. Für einen Züchter, der seine Zuchtlinien gut kennt und in der Lage ist, etwaige Risiken auszuschließen oder möglichst gering zu halten, kann Inzucht also im doppelten Sinne eine Chance sein.
Merkmalszucht und Outcross
Ein Züchter, dem die Linienzucht mit zu hohen Risiken verbunden ist, der aber dennoch Wert auf eine Verbesserung der Rasse legt – sich perfekte Winkel, einen typvollen Kopf oder herausragende Arbeitseigenschaften wünscht –, wird sich früher oder später mit den Möglichkeiten der Merkmalszucht auseinandersetzen müssen. Darunter versteht man die Verpaarung von nicht oder nur kaum miteinander verwandten Tieren gleicher Rasse.
Der Grundgedanke der Merkmalszucht, Gleiches mit Gleichem zu verpaaren, oder die Negativ-Merkmale des einen Zuchtpartners durch die Positiv-Merkmale des anderen auszugleichen, ist leicht nachvollziehbar, hat aber einen entscheidenden Nachteil: er fußt allein auf dem Phänotyp – dem äußeren Erscheinungsbild des Hundes –, und kann deshalb nur mutmaßen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die gewünschten Merkmale tatsächlich vererben. Für den Züchter bedeutet dies zwar, dass er die Mischerbigkeit – und damit eine angenommene, höhere Vitalität – der Rasse erhalten kann, er im Gegenzug aber nur sehr geringe Zuchtfortschritte machen wird. Wo wünschenswerte Merkmale keine Erbüberlegenheit haben, gehen diese womöglich verloren, und statt sich den eigenen Vorstellungen weiter anzunähern, muss der Züchter sich oftmals damit abfinden, einen Rückschritt gemacht zu haben: »Der Wurf hat leider nicht so funktioniert!«
Anders sieht es beim Outcross aus, der irrtümlich gerne mit der Merkmalszucht gleichgesetzt wird. Ein Fehler! Eine Outcross-Verpaarung hat nämlich nicht nur andere Voraussetzungen als die Merkmalszucht, sondern verfolgt auch gänzlich andere Ziele: während bei der Merkmalszucht der Inzuchtgrad des einzelnen Tieres keinerlei Rolle spielt, werden bei einer Outcross-Verpaarung Tiere miteinander verpaart, die einander zwar genetisch fremd, selbst aber bereits liniengezüchtet sind – und deren Nachkommen als Rückkreuzung in die Ursprungslinien zurückgeführt. Warum? Weil solche Auskreuzungspaarungen aufgrund des Heterosiseffekts (als Heterosis bezeichnet man in der Biologie eine Erscheinung, bei der sich die erste Nachkommengeneration einer Auskreuzungspaarung durch eine gesteigerte Vitalität und Widerstandskraft auszeichnet – dieser Effekt ist nur in der ersten Nachkommengeneration maximal ausgeprägt und nimmt in den Folgegenerationen deutlich ab) nicht selten besonders schöne und gesunde Nachkommen bringen, und sich damit besonders gut eignen, neue Impulse für die eigene Zucht zu setzen und die eigenen Linien gezielt aufzufrischen. Der Outcross ist somit also nicht als eigenständige Zuchttechnik, sondern viel eher als Instrument der Linienzucht zu verstehen.
Inzucht- und Ahnenverlustkoeffizient
Wer sich mit der Hundezucht beschäftigt, wird früher oder später auf zwei Begriffe stoßen, die zur mathematischen Vorhersage der Reinerbigkeit einer Verpaarung breite Anwendung finden: den Inzuchtkoeffizienten einerseits und den Ahnenverlustkoeffizienten andererseits. Während der Inzuchtkoeffizient die exakte Zahl der Vorfahren beziffert, die bei einer geplanten oder bereits durchgeführten Verpaarung sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits vertreten sind, wird mit dem Ahnenverlustkoeffizienten berechnet, auf wie vielen Ahnen eine Verpaarung tatsächlich fußt. Das versteht doch niemand, meinen Sie? Dann wollen wir mal mit einigen angewandten Beispielen versuchen, Licht ins genetische Dunkel zu bringen.
Der Stammbaum eines Hundes umfasst in den ersten fünf Elterngenerationen sechzig mögliche Individuen. Taucht ein Individuum zweifach auf, verringert sich die Zahl der Ahnen auf neunundfünfzig. Bei einem Hund, der einer – in Deutschland zwar nicht zugelassenen, zumindest aber denkbaren – Verpaarung von Vollgeschwistern entstammt, bedeutet das schon in der zweiten Elterngeneration einen entscheidenden Ahnenverlust, da das Tier nicht vier, sondern nur zwei Großeltern besitzt und sich die folgenden Vorelterngenerationen entsprechend doppeln. Der Ahnenverlustkoeffizient ist hier also als Quotient zu verstehen, der sich aus der vorhandenen und der maximal möglichen Zahl von Ahnen über eine definierte Anzahl von Generationen berechnet. Der Wert des Ahnenverlustkoeffizienten ist für die Hundezucht aber grundsätzlich als eher gering einzuschätzen, da sich keine Aussagen zu den tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnissen treffen lassen: ob die Ahnen den beiden Zuchtpartnern gemein sind oder diese nur im Stammbaum von einem der beiden Zuchtpartner auftauchen, findet keine Berücksichtigung.
Wichtiger für die Hundezucht ist deshalb der Inzuchtkoeffizient, der es nicht nur ermöglicht, das tatsächliche Verwandtschaftsverhältnis zweier Hunde wiederzugeben, sondern es auch erlaubt, die Wahrscheinlichkeit der Herkunftsgleichheit bestimmter Gene zu berechnen. Je näher nämlich zwei Zuchttiere miteinander verwandt sind – auf die konkreten Zahlen komme ich später noch zu sprechen –, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass beide Allele eines Gens von dem gemeinsamen Vorfahren stammen und in der Folgegeneration reinerbig vorliegen.
Die Berechnung des Inzuchtkoeffizienten ist nicht ganz einfach – und oftmals weichen auch die Ergebnisse qualitativ stark voneinander ab, da es keine feste Regel gibt, wie viele Generationen bei der Berechnung berücksichtigt werden müssen. Traditionell liegen der Berechnung bloß fünf Generationen zu Grunde, was zu durchschnittlich niedrigeren Werten führt, als die Berechnung über zehn oder zwölf Generationen, die in modernen Computerprogrammen üblich ist und eine höhere Zahl gemeinsamer Vorfahren beinhaltet. Grundlage für beide ist aber die gleiche Rechenformel: IK = 0,5 (n1 + n2 +1) x (1 + FAi). Haben Sie einen Taschenrechner zur Hand? Dann könnten wir es einmal mit einem angewandten Rechenbeispiel versuchen.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass es sich bei der Verpaarung, die wir berechnen wollen, um Halbgeschwister handelt, die sich zwar die Mutter teilen, auf Seiten des Vaters jedoch in den ersten fünf Generationen keine gemeinsamen Vorfahren haben. Der Wert n1 beschreibt hier die Generation, in der sich der gemeinsame Vorfahr väterlicherseits befindet, die Seite der Mutter wird durch den Wert n2 angegeben. Bei beiden Werten setzen wir nun also 1 für die erste Elterngeneration ein, und erhalten somit einen groben Richtwert (0,53 = 0,125 = 12,5 %), der durch den noch zu berechnenden Inzuchtkoeffizienten des fraglichen Vorfahren (FAi) ergänzt und weiter präzisiert werden muss. Tauchen in einem Stammbaum mehrere gemeinsame Vorfahren auf, müssen folglich mehrere Berechnungen durchgeführt und die Ergebnisse addiert werden. Das erklärt auch das Zustandekommen von Werten, die deutlich über dem eigentlich höchsten möglichen Wert von 25% (Inzestzucht: Verpaarung von Vollgeschwistern, Verpaarung von Mutter und Sohn oder Vater und Tochter) liegen: sind die Zuchttiere selbst schon einfach oder mehrfach ingezüchtet, erhöhen sich auch die Werte.
Chancen und Risiken
Zurück zum Anfang: Hundezucht bedeutet mehr, als nur einen Rüden mit einer Hündin zu verpaaren. Hundezucht bedeutet, planvoll vorzugehen. Sich ein möglichst genaues Bild von den Ahnen der zu verpaarenden Hunde zu machen, sich über Krankheiten zu informieren, die in den fraglichen Linien aufgetreten sind, sich zu entscheiden, mit welcher Vorgehensweise das eigene Ziel – will heißen: einen gesunden, wesensfesten, arbeitsfreudigen und in möglichst vielen Punkten dem Rassestandard entsprechenden Hund zu züchten – am ehesten zu erreichen ist, sich bewusst zu machen, dass die eigenen Entscheidungen langfristig angelegt sein sollten: Zucht heißt vor allem, in Generationen zu denken. Ein guter Züchter denkt nie nur von Wurf zu Wurf, sondern verfolgt in der Regel einen über Jahre angelegten Plan, um sich seinem Zuchtziel immer weiter anzunähern. Das gelingt nicht mit einem Wurf, nicht nur mit einer Hündin, nicht nur mit Wurfwiederholungen, die einmal gut funktioniert oder sich zweimal gut verkauft haben. Das gelingt nur, wenn Chancen erkannt und Risiken – durch Wissen und gezielte Nachforschungen – niedrig gehalten werden. Und nicht zuletzt: wenn nicht die Angst, die finanziellen Mittel oder die Bequemlichkeit die Wegrichtung bestimmen.