Aquarell eines Border Collie Welpen
26|06|2025 – Unser B-Wurf fei­ert sei­nen 12. Geburtstag

Älterwerden – das heißt irgendwann auch: der eigenen Endlichkeit ins Gesicht zu schauen. Und sie verschmitzt weg zu lächeln. Unserem B-Wurf zum 12. Geburtstag.

Frei nach einem Comic
von Char­lie Higson

Der Tod war sich ziem­lich sicher, dass er an der rich­ti­gen Adres­se war. Nun, so sicher, wie man sich eben sein konn­te, wenn man eine Jahr­tau­sen­de alte Exis­tenz­form war, die man­gels eines funk­tio­nie­ren­den Gehirns auf einen akri­bisch geführ­ten Ter­min­ka­len­der ange­wie­sen war. Immer­hin war Ord­nung wich­tig. Man konn­te ja nicht ein­fach Leu­te nach Lust und Lau­ne holen – nun, tech­nisch gese­hen war das zwar nicht aus­ge­schlos­sen, aber dann gäbe es Beschwer­den. Er stand also vor der Tür und über­prüf­te sei­ne Lis­te. Mrs. Edna Brad­shaw, 82 Jah­re alt, kei­ne All­er­gien. Ein leich­ter Hüft­scha­den und nicht mehr im Besitz ihrer natür­li­chen Zäh­ne – wel­cher Mensch in die­sem Alter war das schon –, aber im Besitz einer außer­ge­wöhn­li­chen Men­ge an Rab­bat­cou­pons. Ein anstän­di­ger Fall, eigent­lich. Routine.

Er hob die blei­che Hand, um anzu­klop­fen. Bevor er dazu kam, ging die Tür aber schon auf. »Ach, Dickie, mein Jun­ge! So früh schon?«, sag­te die alte Dame, die ihm gegen­über stand. »Ich hat­te dich noch gar nicht erwar­tet! Komm doch rein, mein Jun­ge, da drau­ßen wirst du dir ja noch den Tod holen!« Der Tod über­leg­te kurz, das Miss­ver­ständ­nis auf­zu­klä­ren – er war sich ziem­lich sicher, dass er kein Dickie war –, ent­schied sich aber schließ­lich ach­sel­zu­ckend dage­gen. Dafür war auch spä­ter noch Zeit. 

Er wur­de in ein Wohn­zim­mer gescho­ben, das mit alten Fotos, bestick­ten Deck­chen und einer schier unfass­ba­ren Zahl an Samt­kis­sen aus­ge­stat­tet war. Die alte Dame ver­schwand in der Küche. »Setz dich, mein Jun­ge, ich mache uns Tee«, hör­te er sie rufen. Der Tod ent­schied sich für das Sofa. Es war ein sehr wei­ches Sofa, wie er fand. Ein aus­ge­spro­chen gemüt­li­ches Sofa. Ein Sofa, das den unbän­di­gen Drang aus­lös­te, ein gutes Buch zu lesen und dabei ein paar But­ter­kek­se zu ver­zeh­ren. Das hat­te er zwar noch nie getan – man­gels eines funk­tio­nie­ren­den Magens ver­spür­te er kei­nen Hun­ger –, aber er war ja auch noch nie in den Genuß gekom­men, eine Groß­mutter zu haben. Geholt hat­te er vie­le – die meis­ten, eigent­lich –, aber mit die­ser hier schien es sich anders zu verhalten.

Die Küchen­tür schwang auf und die alte Dame kehr­te mit einem Tablett zurück, das sie mit zitt­ri­gen Hän­den auf dem Tisch abstell­te. »So, und jetzt sei ein lie­ber Jun­ge und lies mir mei­ne Geburts­tags­post vor«, sag­te sie, wäh­rend sie ver­son­nen Zucker in ihre Tas­se löf­fel­te. Der Tod sah über das Tablett hin­weg und zwei Kar­ten auf dem Tisch lie­gen. Die eine, schloss er, muss­te von ihrem Zahn­arzt stam­men, denn dar­auf waren zwei Kin­der zu sehen, die einen über­le­bens­gro­ßen Backen­zahn mit mit noch grö­ße­ren Boh­rern bear­bei­te­ten. »Den­ken Sie an ihren nächs­ten Ter­min!«, stand in Groß­buch­sta­ben dar­un­ter. Die zwei­te Kar­te – und offen­kun­dig die Ein­zi­ge, die Glück­wün­sche ent­hielt – stamm­te von Dickie:

»Lie­be Omi, es tut mir leid, dass ich es nicht zu dei­nem Geburts­tag schaf­fe. Ich hof­fe, du hast einen wun­der­schö­nen Tag. Alles Lie­be, dein Enkel Dickie.«

Der Tod öff­ne­te den Mund. Zöger­te. »Die Kar­te ist von dei­ner Cou­si­ne Mar­gret«, log er. »Sie ent­schul­digt sich, dass sie nicht kom­men kann.« Das fühl­te sich für ihn bes­ser an, auch wenn er man­gels eines funk­tio­nie­ren­den Her­zens streng genom­men nicht dazu in der Lage war, etwas zu füh­len. Die alte Dame nick­te bedäch­tig, dann lächel­te sie. »Nun, das macht nichts«, sag­te sie. »Nächs­tes Jahr, viel­leicht.« 

Der Tod stutz­te. Das war äußerst irri­tie­rend. »Nicht, wenn es nach mei­ner Lis­te geht«, woll­te er sagen. Er soll­te es sagen! Er soll­te es hin­ter sich brin­gen. Sie stand auf sei­ner Lis­te, es gab Regeln. Aber er sag­te es nicht. Dafür sprach sie nun wie­der, bedank­te sich für sei­nen Besuch und bedeu­te­te ihm, sich vom Sofa zu erhe­ben. »Du weißt, in mei­nem Alter tut ein Mit­tags­schläf­chen gut«, lach­te sie, wäh­rend sie ihn vor sich her und auf die Tür zu schob. »Ich …«, hob der Tod an, doch ehe er sich ver­sah, stand er schon wie­der drau­ßen. »Nächs­tes Jahr dann«, sag­te Mrs. Brad­shaw und tät­schel­te ihm die Hand, was sich in etwa so anfühl­te, als hät­te eine sehr freund­li­che, aber ent­schlos­se­ne Schild­krö­te beschlos­sen, ihm Trost zu spen­den. 

»Nächs­tes Jahr dann«, erwi­der­te er, als sich die Tür hin­ter ihm schloss. Er war sich sicher, dahin­ter ein lei­ses, zufrie­de­nes Kichern zu hören.

Zwölf Jah­re – ein­mal blin­zeln, und schon ist ein gan­zes Hun­de­le­ben ver­gan­gen. Ihr seid älter gewor­den, grau­er, manch­mal auch stör­ri­scher. Die Kno­chen kna­cken, die Zäh­ne sind nicht mehr, was sie mal waren, und doch reicht ein Blick aus die­sen alten, klu­gen Augen, und alles ist wie frü­her: Das Leben ein Spiel, der Tag ein Abenteuer.

Auf dass ihr der End­lich­keit eben­so ver­schmitzt ins Gesicht lächeln könnt, wie Mrs. Brad­shaw. Und wenn irgend­wann jemand anklopft und auf sei­ner Lis­te nach­schaut, dann lasst ihn doch noch ein biss­chen war­ten. Sagt ein­fach: »Nächs­tes Jahr dann.« Auf euch, alte Freun­de: Twix, Iska, Bud­dy und Pep­per. Und auf die, die vor­aus­ge­gan­gen sind: Joey und Beau.

© Johannes Willwacher