Die siebte Trächtigkeitswoche: Über Enge und Nähe, über das erste Zucken unter der Haut – und warum Halten für den Moment noch wichtiger ist als Loslassen.

Sie wuss­te immer, wann er gehen woll­te. Es war ein win­zi­ges Zögern in sei­ner Stim­me, ein kaum merk­li­ches Nach­las­sen der Berüh­rung, ein Atem­zug zu viel, bevor er ant­wor­te­te. Ihre Mut­ter hat­te ihr ein­mal gesagt: »Men­schen ver­las­sen einen lan­ge, bevor sie tat­säch­lich gehen.« Sie glaub­te das nicht. Oder woll­te es nicht glauben.

Die ers­ten Male frag­te sie ihn: »Liebst du mich?« Er lach­te, küss­te sie, sag­te: »Natür­lich.« Die Ant­wort wur­de mit der Zeit lei­ser, als wür­de er jedes Mal ein Wort weni­ger sagen. Natür­lich. Klar. Ja. Irgend­wann sag­te er nichts mehr.

Sie wuss­te nicht, war­um sie ihn hielt. Viel­leicht, weil sie ihn nicht ver­lie­ren woll­te. Viel­leicht, weil das Gefühl des Ver­lusts ver­trau­ter war als das Gefühl der Sicher­heit. Ihr The­ra­peut wür­de spä­ter sagen, dass es etwas mit frü­hen Bin­dungs­er­fah­run­gen zu tun hat­te. Dass sie gelernt hat­te, Lie­be an das Fest­hal­ten zu knüp­fen. Dass sie das Unver­füg­ba­re begehr­te, weil es sich wie Zuhau­se anfühlte.

»War­um lässt du mich nicht ein­fach gehen?« frag­te er einmal.

Sie dach­te dar­über nach. Viel­leicht hät­te sie ihn los­las­sen kön­nen. Viel­leicht war das die Ant­wort. Aber dann wäre da nur noch sie selbst gewe­sen, und sie wuss­te nicht, ob das genügte.

Manch­mal ist Lie­be ein Wort, das noch nicht aus­ge­spro­chen wur­de. Ein Herz­schlag, so lei­se, dass er kaum wahr­ge­nom­men wird. Ein Blick, der sich abwen­det, weil er noch nicht sicher ist, ob er blei­ben darf. In die­sem frü­hen Sta­di­um ist das Leben noch ein Geheim­nis, eine Ahnung, die nur in Frag­men­ten exis­tiert. Aber selbst die lei­ses­ten Ver­spre­chen for­men die Welt, noch bevor sie gehört wer­den. Der Beginn einer Liebesgeschichte.

Man­che Bin­dun­gen hal­ten, weil sie müs­sen. Ande­re, weil nie­mand bereit ist, los­zu­las­sen. Die Hün­din, deren Bauch­um­fang in der sieb­ten Träch­tig­keits­wo­che ganz beacht­lich gewach­sen ist, hät­te aber viel­leicht nichts dage­gen: In der Gebär­mut­ter wird der Platz lang­sam knapp. Noch ist alles fest ver­wo­ben, noch gibt es kein Außen, nur das Innen.

Doch wäh­rend sich die Wel­pen dre­hen, sich ord­nen, sich neu sor­tie­ren, scheint auch die Mut­ter ganz lei­se zu begrei­fen, dass sie nicht mehr allein ist. Eine Erkennt­nis, die mit einem skep­ti­schen Blick auf ihren Bauch beginnt – und mit der vor­sich­ti­gen Ver­wun­de­rung, ob sich da gera­de wirk­lich etwas bewegt hat, oder ob das Früh­stück bloß ein biss­chen zu üppig war.

Tat­säch­lich las­sen sich unter ihrer Bauch­de­cke nun bereits die ers­ten zag­haf­ten Bewe­gun­gen erspü­ren. Klei­ne Trit­te, kaum stär­ker als ein Flat­tern. Ein lei­ses, tast­ba­res Zei­chen für das Leben, das sich bald sei­nen Weg bah­nen wird. Aber noch nicht. Noch ist Hal­ten wich­ti­ger als Los­las­sen. Noch zählt jeder Tag, an dem alles bleibt, wie es ist – und wächst.

What is Love?

Lie­be – ein Gefühl, das jeder kennt und doch nie­mand ganz erklä­ren kann. Ist sie Che­mie oder Schick­sal? Berech­nung oder Rät­sel? Ein Impuls oder eine Ent­schei­dung? In unse­rem Wurf­ta­ge­buch erkun­den wir die Lie­be in all ihren Facet­ten – von der ers­ten Nach­richt in einer Dating-App bis zum letz­ten Ver­spre­chen eines gemein­sa­men Lebens. Viel­leicht fin­dest du dich wie­der. Viel­leicht ent­deckst du eine neue Art, über Lie­be nach­zu­den­ken. Viel­leicht zeigt sich die Wahr­heit irgend­wo zwi­schen den Zeilen.


© Johannes Willwacher