Gemalter Border Collie Welpe
27|07|2025 – Unser K-Wurf fei­ert sei­nen 1. Geburtstag

Unser K-Wurf feiert seinen 1. Geburtstag: Zeit, um zurückzublicken. Und vielleicht auch Zeit für eine kleine Bestandsaufnahme – mit Mr. Tidwell am Apparat.

Mr. Tid­well erwach­te, wie er es immer tat, exakt drei Minu­ten bevor der Wecker klin­gel­te. Dar­an gab es nichts zu rüt­teln. Die­se drei Minu­ten gehör­ten ihm. Ihm ganz allein, und wie an jedem Mor­gen nutz­te er sie, um Zwie­spra­che mit dem Uni­ver­sum zu hal­ten. Weil das Uni­ver­sum aber auch an die­sem Mor­gen Bes­se­res zu tun hat­te, als auf die Bit­ten eines ein­fa­chen Ange­stell­ten ein­zu­ge­hen – der zwar, wohl­ge­merkt, immer pünkt­lich sei­ne Steu­ern zahl­te, und sich nach Kräf­ten bemüh­te, nicht nur den eige­nen Geh­weg, son­dern auch den der Nach­barn sau­ber zu hal­ten –, schrill­te nach exakt drei Minu­ten der Wecker und Mr. Tid­well wur­de in die Rea­li­tät zurückgerufen.

Er schlüpf­te in sei­ne Haus­schu­he – gefäl­li­ges Beige, weich gepols­tert, die tex­ti­le Ent­spre­chung von »Es ist, wie es ist« – und schlurf­te in die Küche des ver­klin­ker­ten Rei­hen­end­hau­ses, das er in Big­gin Hill bewohn­te, den fast ohren­be­täu­ben­den Lärm der angren­zen­den Start- und Lan­de­bahn im Miet­preis inbe­grif­fen. Auch dort erwar­te­ten ihn kei­ne Über­ra­schun­gen: eine Tas­se Tee, des­sen Geschmack sich am ehes­ten als »braun« beschrei­ben ließ, zwei exakt gerös­te­te Toast­schei­ben, die – nicht zu dick, nicht zu dünn – mit But­ter und Oran­gen­mar­me­la­de bestri­chen wur­den, und eine Bana­ne, die sich noch nicht ent­schie­den hat­te, ob sie grün oder gelb sein wollte.

Nach einer Dusche, die exakt sechs Minu­ten dau­er­te, schlüpf­te er in sei­ne Fir­men­uni­form. Dass der ein­ge­stick­te Name auf dem maus­grau­en Hemd kaum zu erken­nen war, stör­te ihn nicht wei­ter. In den über zwan­zig Jah­ren, die er nun für die Canis­Tech tätig war, kann­te ihn ohne­hin kaum einer der Kol­le­gen beim Namen. Er war ganz ein­fach »Der Typ aus der Kun­den­be­treu­ung«. Grau­es Hemd, Sei­ten­schei­tel. Unauf­fäl­lig, aber immer da.

Als er sein Fahr­rad vor dem sechs­stö­cki­gen Gebäu­de abstell­te, das der Fir­men­grün­der einst genau­so gedan­ken­los auf die grü­ne Wie­se gestellt hat­te, fiel ihm zuerst die neue Wer­be­ta­fel auf, die man über dem ver­glas­ten Ein­gangs­por­tal ange­bracht hat­te. »Hun­de von Canis­Tech – Weil Per­fek­ti­on plan­bar ist!«, stand in seri­fen­lo­ser Schrift unter dem Bild eines fins­ter drein bli­cken­den Spa­ni­els. Mr. Tid­well war sich nicht sicher, ob Spa­ni­el tat­säch­lich in der Lage waren, fins­ter drein zu bli­cken, beschloss aber, dem bei Gele­gen­heit auf den Grund zu gehen. Er trat durch die Dreh­tür, nick­te bei­läu­fig der Emp­fangs­da­me zu und reih­te sich in der Schlan­ge vor den Auf­zü­gen ein.

An sei­nem Arbeits­platz ange­kom­men, betrat er das schall­si­che­re Tele­fon­ka­bi­nett – ein trost­lo­ser Kunst­stoff­wür­fel, der das sinn­li­che Erleb­nis eines Tup­per­ware-Behäl­ters bot – und kop­pel­te sich ein. Der ers­te Kun­den­nach­fas­s­an­ruf blink­te auf. Er seufz­te, zog das pas­sen­de Daten­blatt aus dem Regis­ter und drück­te auf Wäh­len. 

»Hier ist Mari­on Tate.« Die Stim­me am ande­ren Ende klang gequält, sodass Mr. Tid­well mut­maß­te, die zuge­hö­ri­ge Dame habe sich in der Eile das Knie gesto­ßen – am Tele­fon­tisch­chen, viel­leicht. Er räus­per­te sich. »Guten Tag, hier spricht Mr. Tid­well von der Canis­Tech Kun­den­be­treu­ung. Ich rufe an, um mich nach Ihrer Zufrie­den­heit mit unse­rem Pro­dukt zu erkun­di­gen. Wie ich unse­ren Unter­la­gen ent­neh­men kann, ist ihr Bor­der Col­lie gera­de ein Jahr alt gewor­den. Wie läuft es denn?« Ein lang gezo­ge­nes Seuf­zen. »Ich bin am Ende«, sag­te Mrs. Tate. Mr. Tid­well nick­te – das war ein Satz, den er kann­te. Ein Satz, der mit der glei­chen Wahr­schein­lich­keit fal­len wür­de, mit der eine gebut­ter­te Schei­be Toast auf die bestri­che­ne Sei­te fällt – dar­über war bereits im ers­ten Lehr­gang für ange­hen­de Kun­den­be­treu­er, Schwer­punkt Dees­ka­la­ti­on, berich­tet worden.

»Am Ende wovon genau, Mrs. Tate?«, erwi­der­te er schließ­lich. »Am Ende mit den Ner­ven! Ich glau­be, der Hund ist kaputt!«, gab Mrs. Tate jam­mernd zurück. Mr. Tid­well nahm einen Stift zur Hand und notier­te pflicht­be­wusst auf sei­nem For­mu­lar: Kun­de ver­mu­tet Defekt an der Ware. »Könn­ten Sie den Feh­ler bit­te etwas genau­er beschreiben?«

»Der Ärger begann schon, als uns der Post­bo­te das Päck­chen über­reich­te«, sag­te Mrs. Tate. »Selbst­ver­ständ­lich mit den vor­ge­schrie­be­nen Luft­lö­chern ver­se­hen?«, erkun­dig­te sich Mr. Tid­well, was die Kun­din bejah­te. »Vier­zehn Luft­lö­cher«, kom­men­tier­te er, wäh­rend der Kugel­schrei­ber über das Papier kratz­te. »Dar­an kann es nicht gele­gen haben. Oder ist das ihrer Mei­nung nach eine plau­si­ble Erklä­rung, war­um die­ser Hund noch immer aus­läuft? Er hat mei­nen Per­ser­tep­pich rui­niert. Mei­nen Per­ser­tep­pich, Mr. Tid­well! Ich bin nachts mit ihm raus, ich habe ihn gelobt, ich habe ihn geschimpft, ich habe auf allen Vie­ren hin­ter ihm her gewischt – und wis­sen Sie, was er dann tut? Mich anschau­en. Mit die­sem Blick.« Sie schnief­te. »Als wäre ich die­je­ni­ge, die es nicht begreift! Es scheint, als habe die­ses Tier von Anfang an kein Inter­es­se an mir gehabt. Egal, was ich ihm vor die Nase hal­te, es schaut mich nur an, als wäre ich ein beson­ders unin­ter­es­san­ter Fleck auf der Tape­te.« Sie schluchz­te. »Mr. Tid­well, wir haben uns so sehr einen Hund gewünscht, der ger­ne lernt und ger­ne Zeit mit sei­nen Men­schen ver­bringt. Aber die­ser hier, er mag sich noch nicht ein­mal strei­cheln las­sen! Manch­mal möch­te ich am liebs­ten den gan­zen Tag nur weinen!«

»Nun, Mrs. Tate, Bor­der Col­lies benö­ti­gen beson­ders eine kla­re Füh­rung. Lecker­chen allein …« Die noch immer schluch­zen­de Dame fiel ihm ins Wort. »Füh­rung! Ha! Wis­sen Sie, was er macht, wenn ich ihn rufe?« Mr. Tid­well zöger­te. »Er kommt nicht!« schrie Mrs. Tate empört. »Er ver­zieht kei­ne Mie­ne! Ich könn­te genau­so gut mei­ne Tee­kan­ne rufen. Nein, wis­sen Sie was? Die Tee­kan­ne wür­de wahr­schein­lich wenigs­tens ein wenig damp­fen!« Mr. Tid­well notier­te sach­lich: Rück­ruf unzu­rei­chend, uner­schüt­ter­li­che stoi­sche Haltung.

»Und dann erst die Spa­zier­gän­ge«, fuhr Mrs. Tate atem­los fort. »Ein Alb­traum, Mr. Tid­well! Ich brau­che bei­de Hän­de, um ihn über­haupt zu hal­ten, aber egal, was ich mache – er zieht! Immer zieht er! Erst nach vorn, dann zur Sei­te, dann wie­der nach vorn, als wür­den wir ein Ten­nis­match aus­tra­gen! Und wenn ich ste­hen blei­be? Dann beginnt er zu kläf­fen, springt an mir hoch oder –« Sie brach kurz ab, als schäm­te sie sich für das, was nun folg­te. »Oder er zwickt mich, Mr. Tid­well! In die Fes­seln! Wie ein … ein … blö­des Schaf!« Mr. Tid­well notier­te: Lei­nen­füh­rig­keit sub­op­ti­mal. Hund scheint unter­ent­wi­ckel­te Mei­nung zur Füh­rungs­qua­li­tä­ten der Besit­ze­rin zu haben. »Und dann, Mr. Tid­well, dann wäre da noch die Sache mit mei­nem Wohn­zim­mer.« Ihre Stim­me beb­te. »Oder soll­te ich sagen: mit dem, was davon übrig ist!« 

»Zer­stö­rungs­wut?«, frag­te Mr. Tid­well rou­ti­niert. »Zer­stö­rungs­wut? Nein, nein, das klingt ja, als hät­te er Spaß dar­an! Er war gera­de ein­mal fünf Mona­te alt, als ich nach einem Fri­sör­be­such nach Hau­se kam. Die Haa­re stan­den mir zu Ber­ge! Die Tape­ten in Fet­zen, die Vor­hän­ge halb abge­ris­sen und – das Sofa, Mr. Tid­well! Unser schö­nes Sofa! Er hat­te sich bis auf das Holz­ge­stell durch­ge­ar­bei­tet!« Mr. Tid­well notier­te: Häus­li­che Umge­bung nicht zufrie­den­stel­lend, Belas­tungs­pro­be nicht bestanden.

»Und das ist noch nicht das Schlimms­te!«, fuhr Mrs. Tate fort. »Haben Sie eine Ahnung, wie es ist, wenn man mit­ten in der Nacht auf­wacht, weil der Hund ver­sucht, die Kat­ze in die Küche zu trei­ben?« Mr. Tid­well kratz­te sich mit dem Kugel­schrei­ber am Kopf. »Ich neh­me an, die Kat­ze war wenig begeis­tert.« Sie lach­te krei­schend. »Wären Sie begeis­tert, Mr. Tid­well, wenn man sie mit die­sem unheim­li­chen Blick fixie­ren wür­de? Sie wis­sen schon, die­ser Blick, mit dem Bor­der Col­lies auch jeden ent­ge­gen­kom­men­den Rad­fah­rer in Panik ver­set­zen. Die Kat­ze immer­hin hat sich inzwi­schen selbst als Schaf akzep­tiert, glau­be ich, nur um Ärger zu ver­mei­den.« Mr. Tid­well seufz­te lei­se und notier­te: Aus­ge­präg­ter Hüte­trieb. Kat­ze steckt womög­lich in Iden­ti­täts­kri­se fest.

Mrs. Tate schnief­te ins Tele­fon. »Außer­dem kann er Türen öff­nen, Mr. Tid­well. Türen! Ges­tern habe ich ihn aus dem Wohn­zim­mer aus­ge­sperrt, um wenigs­tens ein­mal in Ruhe eine Tas­se Tee trin­ken zu kön­nen. Wis­sen Sie, was pas­siert ist?« Mr. Tid­well über­leg­te. »Er hat an der Tür gekratzt?« Schal­len­des Geläch­ter. »Er hat die Tür­klin­ke run­ter­ge­drückt und ist ein­fach her­ein­ge­schlen­dert, als käme er von der Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft, um die Mie­te ein­zu­kas­sie­ren! Und als ich schließ­lich mit mei­nem Tee ins Bad gegan­gen bin – raten Sie mal! Auch die­se Tür hat­te der Hund im Hand­um­dre­hen ent­rie­gelt!« Mr. Tid­well schüt­tel­te den Kopf. »Mrs. Tate, wenn Sie das Pro­dukt umtau­schen möch­ten, wei­se ich sie ger­ne auf unse­re Rabatt­ak­ti­on bei Deut­schen Schä­fer­hun­den hin …« Ein ent­setz­ter Schrei unter­brach ihn.

»Oh mein Gott, er kann auch die Haus­tür!« Es folg­te ein lau­tes Knal­len, das Geräusch has­ti­ger Schrit­te und das sich ent­fer­nen­de Bel­len eines Hun­des, der kei­ne Lei­ne mehr nötig hat­te. Mr. Tid­well hör­te noch, wie die Haus­tür mit vol­ler Wucht ins Schloss fiel. Dann war es still. Er war­te­te einen Moment. Räus­per­te sich. Ver­such­te es mit einem vor­sich­ti­gen: »Mrs. Tate?« Nichts.

Mit einem resi­gnier­ten Seuf­zen leg­te er den Kugel­schrei­ber bei­sei­te, drück­te zwei Knöp­fe auf dem Schalt­pult, das sich vor ihm befand, und rück­te sein Lächeln zurecht. »Canis­Tech Kun­den­be­treu­ung, Sie spre­chen mit Mr. Tid­well.« Am ande­ren Ende der Lei­tung erklang eine ange­spann­te Frau­en­stim­me: »Hier ist Sus­an Jenk­ins. Es geht um unse­ren Bor­der Col­lie … ich glau­be, der ist kaputt.« Einen Augen­blick lang war nur das ruhi­ge Atmen eines ein­fa­chen Ange­stell­ten zu hören. »Wie vie­le Luft­lö­cher?«, frag­te er.

Ob die­ser Anruf auch bei einer der Fami­li­en hät­te lan­den kön­nen, die einen der sechs Wel­pen unse­res K-Wurfs bestellt – Ver­zei­hung – mit nach Hau­se genom­men haben? Nun – ganz aus­zu­schlie­ßen ist es nicht. Denn auch bei ihnen ist ver­mut­lich nicht immer alles rei­bungs­los ver­lau­fen. Viel­leicht nicht exakt so, wie in der Geschich­te von Mr. Tid­well und Mrs. Tate. Aber viel­leicht doch so ähnlich.

Denn ein Jahr mit einem Bor­der Col­lie kann – wie soll man es höf­lich sagen? – eini­ges in Bewe­gung brin­gen. Das Herz zum Bei­spiel. Die Gar­di­nen­stan­ge. Die eige­ne Selbst­wahr­neh­mung. 

Wir wis­sen, dass der Weg durch das ers­te Lebens­jahr nicht immer line­ar ver­läuft. Dass Ler­nen Geduld braucht. Und dass es Tage gibt, an denen man sich fragt, wer hier eigent­lich wen trai­niert. Aber wir hof­fen, dass es trotz der »Neins!«, »Run­ter-das!« und »Wie-kann-man-nurs!« allen gelun­gen ist zu sehen, was uns an die­sem Wurf so begeis­tert hat: die Klar­heit, die Sen­si­bi­li­tät, der fei­ne Humor, der manch­mal nur in einem ein­zi­gen Blick liegt. Und das Poten­zi­al, das noch lan­ge nicht aus­ge­schöpft ist.

Herz­li­chen Glück­wunsch, ihr sechs K-Kin­der. Ihr seid jetzt eins. Und was für eins!

© Johannes Willwacher