Die zweite Lebenswoche unserer Welpen: Von Augen, die sich öffnen, vom ersten Licht, das sie sehen – und von dem, was Menschen darin zu erkennen meinen.

Ihre Gesprä­che dreh­ten sich oft um das, was ande­re sagen wür­den. Sie hat­ten ihre Lie­be in der Gesell­schaft abge­legt, im dich­ten Netz der Erwar­tun­gen, in den Augen der ande­ren. Was war Lie­be, wenn sie nicht von der Gemein­schaft geteilt und gese­hen wurde?

Er merk­te es zuerst, als sie in der Schlan­ge vor dem Club stan­den. Die Art, wie sich Bli­cke auf sie leg­ten – neu­gie­rig, prü­fend, manch­mal abschät­zend. Die Art, wie ein Mann neben ihnen zu sei­nem Freund flüs­ter­te, bevor bei­de lach­ten. Er tat, als hör­te er es nicht, aber sein Kör­per spann­te sich unmerk­lich an. Sie ließ sei­ne Hand los, nur für einen Moment.

Es war nicht nur, dass man ihr anmerk­te, dass sie nicht als Frau gebo­ren wor­den war. Es war auch, dass ihre Stim­me, wenn sie auf­ge­regt war, in einen Akzent glitt, der sie noch frem­der erschei­nen ließ. Er hat­te nie dar­über nach­ge­dacht – bis er merk­te, dass ande­re es taten. Dass sie den Kopf dreh­ten, wenn sie lach­te. Für ihn war es immer nur ihr Lachen gewe­sen – für ande­re ein Etikett.

»Die Lie­be ist über­all«, sag­te sie spä­ter, als sie neben­ein­an­der auf dem Bett lagen, ihre Hän­de auf der Matrat­ze weit genug aus­ein­an­der, dass sie sich nicht berühr­ten. Er nick­te, aber es fühl­te sich nicht so an. Manch­mal frag­te er sich, ob sie das, was sie hat­ten, nur dann zei­gen konn­ten, wenn nie­mand hin­sah. Ob es Lie­be war, wenn sie sich im Dun­keln fan­den, aber im Hel­len los­las­sen mussten.

Border Collie Welpe in der 2. Lebenswoche

Auch für die Wel­pen beginnt Iden­ti­tät mit einem Blick. Oder genau­er: mit einem Gefühl, das dem Blick vor­aus­geht. In der zwei­ten Lebens­wo­che öff­nen sie die Augen – und ent­de­cken, dass die Welt nicht nur aus Wär­me, Geruch und Herz­schlag besteht. Was sie sehen, ist zunächst unscharf, kaum mehr als Licht und Schat­ten, viel­leicht ein mil­chi­ges Grau. Aber das, was wich­tig ist, ken­nen sie längst. Erst nach und nach wird sich ihr Blick schär­fen, wird das, was sie seit der Geburt umge­ben hat, Form anneh­men. 

Bald wer­den sie fest­stel­len, dass die Welt grö­ßer ist, als sie dach­ten. Dass es neben der Mut­ter und den Geschwis­tern auch noch die­se merk­wür­di­gen Zwei­bei­ner gibt, die wild ent­schlos­sen sind, ihre Welt mit­zu­ge­stal­ten. Die sie auf den Rücken dre­hen, sanft ihre Pfo­ten berüh­ren, mit ihnen spre­chen, obwohl sie noch gar nicht ant­wor­ten kön­nen. Viel­leicht ist es das, was Iden­ti­tät am Anfang aus­macht: nicht zu wis­sen, wie man gese­hen wird – nur zu spü­ren, dass man gemeint ist. So, wie man ist. Nicht so, wie man sein soll.

Schon jetzt zei­gen sich Unter­schie­de, wenn man sie hoch nimmt. Der eine liegt still und schwer in der Hand, der ande­re win­det sich, als müs­se er sofort wie­der zurück. Man­che suchen die Wär­me und pres­sen sich an die Fin­ger, ande­re öff­nen das Maul und pro­tes­tie­ren laut­stark, als woll­ten sie die gan­ze Welt auf ihre Lage auf­merk­sam machen. Es sind nur Sekun­den – und doch erzäh­len sie Geschich­ten, die sich mit jeder Woche wei­ter ent­fal­ten werden.

Für den Züch­ter beginnt hier die eigent­li­che Arbeit: Denn am Ende ist es die­se frü­he, lei­se Kennt­nis, die ent­schei­det, in wel­che Hän­de ein Wel­pe kommt – und ob er dort fin­det, was er schon jetzt sucht.

Das 2. Fotoshooting

Die 2. Lebenswoche

What is Love?

Lie­be – ein Gefühl, das jeder kennt und doch nie­mand ganz erklä­ren kann. Ist sie Che­mie oder Schick­sal? Berech­nung oder Rät­sel? Ein Impuls oder eine Ent­schei­dung? In unse­rem Wurf­ta­ge­buch erkun­den wir die Lie­be in all ihren Facet­ten – von der ers­ten Nach­richt in einer Dating-App bis zum letz­ten Ver­spre­chen eines gemein­sa­men Lebens. Viel­leicht fin­dest du dich wie­der. Viel­leicht ent­deckst du eine neue Art, über Lie­be nach­zu­den­ken. Viel­leicht zeigt sich die Wahr­heit irgend­wo zwi­schen den Zeilen.

© Johannes Willwacher