Wenn Nachwuchs mehr Follower verspricht, Facebook zur Gesundheit berät, Trainer auf TikTok schweißtreibende Tipps geben und der Leihhund zum Tinder-Trumpf wird.

Social Media, so denkt man, macht alles leich­ter. Ins­be­son­de­re, wenn es um Aus­tausch geht. Denn was soll in »sozi­al« schon ande­res drin­ste­cken, als Aus­tausch: über das neue Auto, den letz­ten Urlaub, Pro­ble­me in der Part­ner­schaft – und mit dem Hund natür­lich auch. Wer sich auf Social Media bewegt, merkt schnell: Die Leich­tig­keit ist trü­ge­risch – und beson­ders dort, wo Wis­sen und Mün­dig­keit feh­len, ent­ste­hen die größ­ten Pro­ble­me. Durch Ent­schei­dun­gen, die bequem wir­ken. Und doch fast nie gut sind. Nicht für den Men­schen. Und nicht für den Hund.

Die fol­gen­den zehn Geschich­ten – frei erfun­den, aber inspi­riert von sehr rea­len Bege­ben­hei­ten – wol­len dem nach­spü­ren. Und zum Mit­den­ken anre­gen: über Ver­ant­wor­tung, über Mün­dig­keit – und dar­über, wie viel von bei­dem Hun­de auf Social Media wirk­lich brauchen.

(1) Bettina

Border Collie Rüde

Bet­ti­na hat sich vor­be­rei­tet. Sie hat gele­sen, wor­auf man ach­ten muss: sau­be­re Umge­bung, freund­li­che Hün­din, geimpf­te Wel­pen, kei­ne Zwin­ger­hal­tung. Die Check­lis­te steht in einem Rat­ge­ber mit einem hell­grü­nen Cover. Titel: Der rich­ti­ge Wel­pe für Sie! Es liegt ange­nehm in der Hand. Bet­ti­na hat den Test dar­in gemacht. Ergeb­nis: Bor­der Col­lie oder Gol­den Retrie­ver. Sie ent­schei­det sich für bei­des – und klickt auf das Inse­rat: Gol­den Bor­der, lie­be­voll auf­ge­zo­gen, bes­tens sozialisiert.

Der Hof liegt am Ende eines Weges, der sich selbst auf­ge­ge­ben hat. Kies, Pfüt­zen, knie­ho­hes Gras. Bet­ti­na steigt aus. Sie trägt ein Kleid, weil sie zei­gen will, dass sie ein guter Mensch ist. Gute Men­schen tra­gen Klei­der und kau­fen kei­ne Hun­de im Internet.

Die Tür wird geöff­net von einer Frau, die aus­sieht, als hät­te sie die letz­ten zehn Jah­re in einem Toom-Bau­markt ver­bracht – ohne Aus­gang. »Sie kom­men wegen dem Hund?«, fragt sie. Bet­ti­na nickt. »Die Wel­pen sind hinten.«

Hin­ten ist ein Raum mit einem Lin­ole­um­bo­den, der sich ablöst wie ein Pflas­ter auf eit­ri­ger Haut. Die Wel­pen sit­zen in einem Git­ter­ver­schlag. Es riecht nach nas­sem Kar­ton und Des­in­fek­ti­ons­mit­tel. Eine nack­te Glüh­bir­ne bau­melt von der Decke, als wol­le sie sich das Leben neh­men. Bet­ti­na zögert. »Ist die Mut­ter auch da?« Die Frau nickt in Rich­tung der Wand, an der ein Pos­ter mit heu­len­den Wöl­fen hängt. »Die ist im ande­ren Raum«, sagt sie. »Darf ich sie sehen?« Die Frau schüt­telt den Kopf. »Die schläft.« Bet­ti­na nickt. »Ach so.« Eine Pau­se, die sich anfühlt wie ein Schlag.

Die Frau beugt sich zu einem der Wel­pen und hebt ihn hoch wie einen Sack Kar­tof­feln. »Das ist der letz­te Rüde. Ein ganz Lie­ber.« Bet­ti­na lächelt. Ein Reflex. Wie bei Fami­li­en­fei­ern, wenn der Onkel wie­der zu sin­gen anfängt. Sie will gehen. Sie weiß, sie soll­te gehen. Doch dann sagt die Frau »Wenn Sie den heu­te neh­men, geb ich Ihnen das Fut­ter dazu. Und eine Lei­ne.« Bet­ti­na zögert …

(2) Cordula

Border Collie Hündin

Cor­du­la ruft an, weil ihre The­ra­peu­tin gesagt hat, ein Hund kön­ne hel­fen. Gegen das Allein­sein. Gegen die Angst. Gegen die­ses Gefühl, dass alles irgend­wie zu spät ist, aber man trotz­dem wei­ter­funk­tio­nie­ren muss. Cor­du­la glaubt, sie hät­te es ver­dient, dass etwas sie bedin­gungs­los liebt. Am bes­ten mit Knopfaugen.

Die Num­mer steht auf einer Home­page mit vie­len Aus­ru­fe­zei­chen. Fami­li­en­zucht. Mit Herz. Auf dem Land. Die Wel­pen hei­ßen Amy, Aus­tin und Abby. Sie sehen aus wie geba­cke­ne Glücks­ver­spre­chen. Cor­du­la zögert nicht. Was kann schon schiefgehen?

»Ja?« sagt eine Frau mit einer Stim­me wie Kräu­ter­tee. »Hal­lo«, sagt Cor­du­la, »ich inter­es­sie­re mich für einen Wel­pen.« Am ande­ren Ende raschelt es. »Aha.«

Sie reden. Cor­du­la erzählt, dass sie eine Alt­bau­woh­nung mit Die­len­bo­den hat. Dass der Park gleich um die Ecke ist. Dass sie im Home­of­fice arbei­tet. Manch­mal. Unre­gel­mä­ßig. Und dass die Nach­ba­rin sich freut. Also: Sie hat genickt, als Cor­du­la davon erzählt hat. »Wie viel Zeit haben Sie denn für einen Wel­pen?« fragt die Frau. Cor­du­la lacht. »Genug.« Was gelo­gen ist. Aber was ist schon wahr in einer Welt, in der man etwas nur laut genug sagen muss, damit ande­re es glauben?

»Wir geben nicht an Erst­hun­de­be­sit­zer ab«, sagt die Stim­me am ande­ren Ende. Cor­du­la ver­steht nicht. »Wie­so das denn?« Die Kräu­ter­tee­stim­me seufzt. »Weil wir Ver­ant­wor­tung tragen.«

Das Gespräch endet. Cor­du­la legt auf. Sie hat kei­ne Lust mehr auf Herz­chen. Sie will einen Hund. Jetzt. Also goo­gelt sie »Wel­pen sofort abzu­ge­ben«. Fin­det ein Inse­rat mit Han­dy­fo­tos. »Noch 3 da!« steht da …

(3) Steffi

Border Collie Hündin

Stef­fi hat eine Hün­din. Sie heißt Nova und sieht aus wie ein Kuschel­tier, das zu oft gewa­schen wur­de. Nova hat vie­le Fol­lower. Stef­fi weni­ger. Das ist unge­recht, fin­det sie.

Sie hat Nova gekauft, weil eine Freun­din, die heu­te kei­ne mehr ist, ihr gesagt hat: »Du brauchst was fürs Herz.« Der Züch­ter hat­te eine Face­book­sei­te mit fünf Ster­nen und einen Gar­ten mit Kunst­ra­sen. Die Wel­pen durf­ten ins Haus. »Das sind ganz beson­de­re Lini­en«, hat­te der Züch­ter gesagt. »Kannst spä­ter mal züch­ten.« Stef­fi hat­te genickt, obwohl sie nicht wuss­te, was das bedeu­te­te. Zucht klang erwach­sen. Und sinn­voll. Und irgend­wie nach Insta­gram-Con­tent. Das hat­te bei Stef­fi irgend­et­was aus­ge­löst. So wie Pin­te­rest oder Früh­lings­ge­füh­le. Oder das Geräusch von Bubble Tea beim ers­ten Schluck.

Jetzt ist Nova zwei. Und läu­fig. Und das Inter­net voll mit Wel­pen­fo­tos. Alles riecht nach Mög­lich­kei­ten. Stef­fi denkt: War­um eigent­lich nicht? Sie hat Zeit. Sie hat Decken. Sie hat eine Fut­ter­mar­ke mit hoher Rück­lauf­ra­te. Was sie nicht hat: einen Deckrüden.

Also schreibt sie eine Anzei­ge. In eine der Grup­pen, wo jeden Tag jemand Hun­de sucht, Hun­de ver­schenkt oder Hun­de ver­kauft, weil »sich die Lebens­um­stän­de geän­dert haben«. Stef­fi tippt: »Suche Deck­rü­den für mei­ne süße Maus. Bit­te alles anbie­ten! Kei­ne Papie­re nötig. Haupt­sa­che lieb <3« Dazu ein Bild von Nova mit Blüm­chen­fil­ter. Und ein Hash­tag. Lovemydog.

Sie legt das Han­dy bei­sei­te. Geht in die Küche. Denkt an klei­ne Novas. Mit Schleif­chen. Für Ins­ta. Und dar­an, wie süß das wäre, wenn einer von ihnen bei ihrer bes­ten Freun­din wohnt. Sie sieht sich schon, wie sie sagt: »Die Mut­ter? Die ist auf Insta­gram berühmt.« Sie gießt Hafer­milch in einen Becher, dann geht sie zurück ins Wohn­zim­mer. Nova liegt auf dem Sofa. Das Han­dy neben ihr. Und dann …

(4) Monika

Border Collie Hündin

Moni­ka ist erschöpft. Ihr Hund frisst nicht. Seit ges­tern. Viel­leicht seit vor­ges­tern. Sie weiß es nicht genau, weil in letz­ter Zeit alles ver­schwimmt: Arbeit, Wet­ter, die Fra­ge, ob man heu­te schon gespro­chen hat.

Der Hund heißt Mil­ka. Weil er als Wel­pe so süß war, wie Scho­ko­la­de. Das hat die Nach­ba­rin gesagt. Die mit dem Fri­seur in der Gara­ge. Damals, als Moni­ka mit dem namen­lo­sen Wel­pen aus dem Auto stieg. Jetzt liegt Boun­ty auf sei­ner Decke. Ohne Appe­tit, ohne Inter­es­se. Ohne Benachrichtigungston.

Moni­ka will nicht goo­geln. Sie weiß, wohin das führt. Inner­halb von drei Klicks steht man am Grab – mit einer Dia­gno­se in Groß­buch­sta­ben und einer Lis­te aus Din­gen, die man nie getan hat. Der Tier­arzt hat heu­te kei­ne Sprech­stun­de. Und der kos­tet. Selbst wenn gar nichts Schlim­mes ist. Also fragt sie bei Face­book. In einer Grup­pe, die »Hun­de­men­schen hel­fen Hun­de­men­schen« heißt. 1.402 Mit­glie­der. Fixier­ter Bei­trag: Jede Mei­nung zählt! Bit­te bleibt freundlich.

Moni­ka schreibt: »Mein Hund frisst nix mehr. Will nicht gleich mit Che­mie kom­men. Hat jemand Erfah­rung mit Haus­mit­teln? Oder weiß einen Grund?« Kei­ne zwei Minu­ten spä­ter liest sie sich durch die ers­ten Kom­men­ta­re. »Zäh­ne kon­trol­lie­ren!!!« – »Rin­der­brü­he hilft immer!« – »Könn­te der Mond sein. Ist bei mei­ner auch immer so.« Moni­ka liest alles. Sie nickt inner­lich. Sie fühlt sich gese­hen. End­lich nicht allein. Und dann …

(5) Beate

Unsere Border Collies

Bea­te hat einen Wel­pen. Sie nennt ihn Max, weil das auf dem Fut­ter­sack stand, den sie zuerst gekauft hat. Bea­te hat kei­nen Insta­gram-Account, aber einen Fami­li­en­ka­len­der mit Hun­de­mo­ti­ven. Und einen Ord­ner mit wich­ti­gen Unter­la­gen – dar­in auch die Quit­tung vom Züchter.

Sie hat gele­sen, dass Hun­de­schu­len wich­tig sind. In einem Buch mit Spi­ral­bin­dung: Hun­de­er­zie­hung – Klar, kor­rekt und kon­se­quent. Da stand, man sol­le sich früh küm­mern. Also goo­gelt sie. Die ers­te Emp­feh­lung kommt aus einem Forum, in dem man sich freund­lich aus­tauscht. Man stellt Fra­gen. Bekommt Ant­wor­ten. Und im Gegen­satz zu Face­book klin­gen nur ganz weni­ge davon unver­schämt. »Die Petra macht das gut. Die ist schon ewig im Geschäft«, liest Bea­te. Also ruft sie an. Petra klingt, als hät­te sie nie etwas ande­res gemacht. »Nicht so viel Tam­tam, die müs­sen wis­sen, wer das Sagen hat.« Bea­te nickt. Das klingt vernünftig.

Am Sams­tag steht sie auf einer ein­ge­zäun­ten Wie­se. Petra trägt Jeans, eine rote Wind­ja­cke, und einen Hus­ten, der bellt. Max bellt auch. Der Hund neben ihm bellt zurück. Dann wird geschnappt. Petra ruft: »Die klä­ren das schon! Da müsst ihr durch!« Bea­te run­zelt die Stirn. Aber sie war noch nie in einer Hun­de­schu­le. Viel­leicht muss das so sein. »Frei­spiel«, ruft Petra schließ­lich. Und über­all hört Bea­te die Kara­bi­ner kli­cken. Weil sie nicht weiß, was Frei­spiel heißt, tut sie es den ande­ren gleich. Max rennt. Und dann …

(6) Tanja

Border Collie Rüde

Tan­ja woll­te einen Hund, der was her­macht. Einen, der zu ihr passt. Zu ihrem SUV. Ihrem Kaf­fee­voll­au­to­ma­ten. Ihrem Leben, das ordent­lich aus­sieht, aber innen knirscht. Sie ent­schei­det sich für einen Rid­ge­back. Weil die so stolz gucken. Und kaum haaren.

Paco ist groß. Stark. Schnell gereizt. Er knurrt, wenn es klin­gelt. Er bellt, wenn man ihn schief anschaut. Er beißt nicht. Noch nicht. Aber sein Blick hat Zähne.

Tan­ja hat Angst es zuzu­ge­ben. Also gibt sie bei Tik­Tok »Hun­de­trai­ning Rid­ge­back« ein. Der Algo­rith­mus schickt ihr Dan. Dan heißt eigent­lich Dani­el, aber alle nen­nen ihn nur @alpha.mindset.k9. Er trägt einen Hoo­die. Ein Cap. Eine graue Sweat­pant, die auch sie bei jedem Schritt zum Schwit­zen bringt. Er sagt Din­ge wie: »Ener­gy doesn’t lie.« Oder: »Don’t nego­tia­te with your dog. You’re the lea­der. Peri­od.« Und Tan­ja denkt: Ja. Genau. End­lich einer, der’s versteht.

Dan hat Ober­ar­me wie Pake­te mit Sperr­gut­auf­kle­ber. Und ein Lächeln, das in jedem Licht funk­tio­niert. Er erklärt, wie man sich »men­tal claimt« was einem gehört. Tan­ja hört ihm zu, als sei er Jesus mit WLAN. Sie igno­riert Pacos Knur­ren. Weil Dan sagt: »Das ist just inse­cu­ri­ty, don’t feed it.«

Ein­mal beißt Paco in ihren Ärmel. Sie bleibt ruhig. Ein­mal in ihre Hand. Sie pos­tet ein Video und schreibt in die Cap­ti­on: »Pain is just part of the pro­cess.« Dar­un­ter ein Hash­tag: #pack­lea­der­jour­ney.

Dan lik­ed das Video. Kom­men­tiert: »You’re get­ting the­re. I see you.« Tan­ja weint kurz. Und dann …

(7) Claus

Border Collie Hündin

Claus hat kei­nen Zucht­rü­den. Er hat einen guten Hund. So einen, der nie krank ist. Mit Fell, das nicht haart. Einem Cha­rak­ter, wie man ihn sich nicht bes­ser backen könn­te. Der ein­fach läuft. Sagt Claus. Und: »So einen fin­dest du kein zwei­tes Mal.« Das fin­det er scha­de. Des­halb pos­tet er. In Grup­pen. Mit Bild. Und Satz­zei­chen. Und dem Wunsch: »Ich möch­te nicht, dass es bei ihm endet.« Nur eine deck­be­rei­te Hün­din fehlt noch zum Glück.

Dar­un­ter Kom­men­ta­re. Ein paar inter­es­siert. Die meis­ten: kri­tisch. Fra­gen nach Gene­tik, Unter­su­chun­gen, Ver­ant­wor­tung. Einer schreibt: »Geh doch ein­fach in einen Ver­ein.« Claus wird ner­vös. Dann wütend. Dann schreibt er, was er immer schreibt: Dass er kein Züch­ter sei. Dass das hier nicht ums Geld gehe. Son­dern um was Ehr­li­ches. Um Natur. Um Wei­ter­ga­be. Dass es scha­de wäre, wenn so ein tol­ler Hund nicht mal ran dürf­te. Wört­lich steht das nicht da. Aber es hängt über allem. Und weil er sich gera­de ein biss­chen in Rage geschrie­ben hat, darf dann wirk­lich alles raus. Über Züch­ter. Über Papie­re. Über Geld­ma­che­rei. Über den »Stock im Aller­wer­tes­ten«. Über Men­schen, die ihre Hun­de wie Autos behan­deln – »Check­heft gepflegt«. Und dass sein Hund ein­fach zur Fami­lie gehört. Claus will kei­nen Streit. Er will nur ein paar wil­li­ge Eizel­len. Und mög­lichst kei­ne Gegenargumente.

Claus schließt mit einem Satz, der nach Auf­bruch klingt: »Ich wer­de dar­auf nicht mehr ant­wor­ten.« Das war vor­ges­tern. Er ist mitt­ler­wei­le aus drei Grup­pen raus­ge­flo­gen. Eine vier­te hat ihn stumm geschal­tet. Heu­te pos­tet er wie­der. Glei­cher Text. Neu­es Bild. Dies­mal in einer ande­ren Grup­pe. »Ich habe einen tol­len Rüden. Und ich fin­de, es soll­te nicht bei ihm enden …«

(8) Ramona

Border Collie Hündin

Ramo­na ist frisch geschie­den. Nach drei­zehn Jah­ren Ehe, drei Paar­be­ra­tun­gen und einem Dop­pel­na­men, den sie nie gemocht hat. Sie löscht die Mail­adres­se, die auf »@web.de« endet, und instal­liert Tin­der. Weil ihre Kol­le­gin sagt: »Du brauchst Ablen­kung.« Und weil der Mann von frü­her ges­tern ange­ru­fen hat, um nach dem Soda­stream zu fragen.

Ramo­na lädt vier Fotos hoch. Zwei davon mit Son­nen­bril­le, eines mit Sekt­glas. Und eines mit einem Bichon Fri­sé, den sie mal für eine Freun­din gehal­ten hat. Er heißt, absurd aber wahr, Mandy.

Ramo­na mag Hun­de nicht beson­ders. Sie fin­det, sie rie­chen komisch. Und ihre Zun­gen sind zu frei­heits­lie­bend. Aber auf dem Foto sieht sie gut aus. Lächelnd. Natür­lich. Und Man­dy guckt in die Kame­ra, als sei sie Teil einer hoch­wer­ti­gen Tagescreme-Kampagne.

Das Match kommt drei Stun­den spä­ter. Nils, 43, Archi­tekt, Hun­de­pa­pa von Her­mes, schreibt: »Wow – wie süß seid ihr bei­de denn, bit­te?« Dahin­ter ein Emo­ji mit Herz­chen im Blick. Ramo­na zögert. Dann schreibt sie: »Sie ist mein Herz. Ein biss­chen ver­rückt, aber ich lie­be sie.«

Es folgt ein Gespräch. Erst Small­talk. Beruf und Frei­zeit. »Was machst du so?« Dann ein Kom­pli­ment. Dann noch eins. Dann ein Emo­ji mit Zun­ge. Und ehe sie es merkt, geht es nicht mehr um Kaf­fee. Son­dern um das Geräusch, das sie beim Küs­sen macht. Und was sie tra­gen wür­de, wenn er sie besu­chen käme. Ramo­na spielt mit. Es ist auf­re­gend. Und warm. Und ein biss­chen schmut­zig. Aber so, dass man sich dafür noch nicht has­sen muss.

Dann: Funk­stil­le. Zwei Tage lang. Ramo­na löscht fast den Chat. Dann kommt eine Nach­richt. »Sor­ry, Her­mes war krank. Ging alles drun­ter und drü­ber.« Sie tippt: »Ohje. Geht’s ihm bes­ser?« Er ant­wor­tet: »Schon. Aber erzähl mir doch lie­ber was von dir. Oder von Mandy.«

Ramo­na erfin­det Geschich­ten. Man­dy mag kei­ne Post­bo­ten. Man­dy schläft im Bett. Man­dy liebt Käse. Sie lächelt dabei. Weil es leicht ist. Und weil Nils gut aus­sieht. Dann schlägt Nils ein Tref­fen vor. Spa­zier­gang zu viert: Er, sie, Man­dy, Her­mes. Er schreibt: »Ich glau­be, die bei­den wür­den sich super ver­ste­hen.« Ramo­na starrt auf ihr Handy.

Man­dy gibt es nicht. Also – nicht für sie. Sie ruft die Freun­din an. Fragt: »Sag mal, könn­te ich mir Man­dy mal aus­lei­hen? Für ein Tref­fen. Es … ist kom­pli­ziert.« Am ande­ren Ende Stil­le. Und dann …

(9) Sandra

Border Collie Hündin

San­dra hat Kin­der. Zwei. Einen Mann. Und einen Hund. Der Hund kam in der Pan­de­mie. »Damit die Kin­der was zum Kuscheln haben«, hat­te ihr Mann gesagt. Und San­dra hat­te genickt. Weil alle es so mach­ten. Weil es sich gut anfühl­te. Wie Bana­nen­brot oder Applaus vom Balkon.

Jetzt ist der Hund zwei Jah­re alt. Er heißt Balu. Er haart. Er bellt. Er knurrt, wenn Besuch kommt. Er war nie ein­fach. Aber man hat ja Ver­ant­wor­tung. Dach­te sie. Bis zu dem Kin­der­ge­burts­tag im letz­ten Som­mer. Zehn Kin­der im Gar­ten. Kuchen, Luft­bal­lons, Sei­fen­bla­sen. Und Balu. Ein Jun­ge ist ihm zu nah gekom­men. Nicht schlimm, hat die Mut­ter gesagt. »Nur ein klei­ner Schreck.« Aber San­dra hat gese­hen, wie der Jun­ge geweint hat. Und wie die ande­ren Eltern guck­ten. Jetzt soll Balu weg. Aber man darf das nicht so sagen. Also schreibt San­dra eine Anzeige.

»Wir suchen schwe­ren Her­zens ein neu­es Zuhau­se für unse­ren treu­en Beglei­ter.« Das klingt bes­ser als: Er passt nicht in unser Leben. Oder wir nicht in seins. »Er braucht hun­de­er­fah­re­ne Men­schen mit Geduld.« Heißt: Er ist unsi­cher. Und manch­mal wehrt er sich. »Er liebt kla­re Struk­tu­ren.« Heißt: Er kommt mit All­tag klar. Mit Fei­ern nicht.

San­dra über­legt, ob sie das mit dem Maul­korb dazu­schreibt. Tut es nicht. Sie löscht den Halb­satz mit den Kin­dern. Setzt ein Herz­chen-Emo­ji. Und ein Bild, auf dem Balu ruhig auf der Ter­ras­se liegt. Sie schreibt: »Nur in lie­be­vol­le Hän­de mit Gar­ten.« Und dann …

(10) Larissa

Zwei Border Collie Hündinnen

Laris­sa macht schon lan­ge Insta­gram. Nicht beruf­lich, aber mit Sys­tem. Sie weiß, wann man pos­ten soll. Und was. Emo­tio­nen, aber nicht zu viel. Ehr­lich­keit, aber nicht die ech­te. Das, was bleibt, wenn man den Tag durch einen Fil­ter drückt. Sie weiß, wie Wir­kung funk­tio­niert. Sie kennt das rich­ti­ge Licht. Die rich­ti­ge Musik. Den rich­ti­gen Abstand zwi­schen Cap­ti­on und Hashtag.

@daisy.delight war ihr Durch­bruch. Ein Hund, der aus­sah wie Zucker­wat­te auf vier Bei­nen. Und sich fast so gut foto­gra­fie­ren ließ. Es lief. Über Jah­re. Süße Reels, Pro­duk­te, Ver­lo­sun­gen. Ein­mal sogar eine Koope­ra­ti­ons­an­fra­ge aus Süd­ko­rea. Alles auf Dai­sy zugeschnitten.

Dann änder­te sich etwas. Der Algo­rith­mus, sagen die einen. Die Ziel­grup­pe, sagen ande­re. Laris­sa sagt nichts. Aber sie merkt es. Die Likes sin­ken. Die Reich­wei­te auch. Ein­mal schreibt jemand: »Immer die glei­che Pose.« Laris­sa löscht den Kom­men­tar. Und dann das Bild.

Laris­sa zwei­felt. Ver­sucht es mit ande­ren Moti­ven. Dai­sy auf dem Sofa, Dai­sy mit Erd­bee­re, Dai­sy auf Sylt mit Sand unter den Pfo­ten. Sie tes­tet alles. Schnei­det schnel­ler. Pos­tet mon­tags statt sams­tags. Aber trotz­dem ver­än­dert sich nichts. Die Welt hat beschlos­sen, wei­ter­zu­scrol­len. Nur ihr und Dai­sy hat nie­mand etwas davon gesagt.

Dann hat Laris­sa eine Idee. Sie räumt das Wohn­zim­mer um. Stellt ein Ring­licht auf. Wählt ein Shirt, das gera­de genug nach All­tag aus­sieht. Und übt vor dem Spie­gel, beim Wei­nen noch hübsch aus­zu­se­hen. Dann nimmt sie das Video auf. Sagt, Dai­sy sei ver­schwun­den. Sagt, das Gar­ten­tor sei offen gewe­sen. Sagt, dass sie einen wei­ßen Lie­fer­wa­gen habe weg­fah­ren sehen. Sagt, sie habe sol­che Angst.

Sie lädt das Video hoch. Setzt Hash­tags dar­un­ter, betont die Dring­lich­keit, schreibt in die Cap­ti­on: »Ich bin am Boden. Bit­te helft mir doch!« Das Video geht durch die Decke. Men­schen tei­len es, schrei­ben Nach­rich­ten. Eine Influen­ce­rin kom­men­tiert mit Herz. Über­all bie­ten Frem­de ihre Hil­fe an. Laris­sa liest alles. Ant­wor­tet nichts. Und denkt: Jetzt sehen sie mich wie­der. Und dann …


© Johannes Willwacher