Wenn Nachwuchs mehr Follower verspricht, Facebook zur Gesundheit berät, Trainer auf TikTok schweißtreibende Tipps geben und der Leihhund zum Tinder-Trumpf wird.
Social Media, so denkt man, macht alles leichter. Insbesondere, wenn es um Austausch geht. Denn was soll in »sozial« schon anderes drinstecken, als Austausch: über das neue Auto, den letzten Urlaub, Probleme in der Partnerschaft – und mit dem Hund natürlich auch. Wer sich auf Social Media bewegt, merkt schnell: Die Leichtigkeit ist trügerisch – und besonders dort, wo Wissen und Mündigkeit fehlen, entstehen die größten Probleme. Durch Entscheidungen, die bequem wirken. Und doch fast nie gut sind. Nicht für den Menschen. Und nicht für den Hund.
Die folgenden zehn Geschichten – frei erfunden, aber inspiriert von sehr realen Begebenheiten – wollen dem nachspüren. Und zum Mitdenken anregen: über Verantwortung, über Mündigkeit – und darüber, wie viel von beidem Hunde auf Social Media wirklich brauchen.
(1) Bettina

Bettina hat sich vorbereitet. Sie hat gelesen, worauf man achten muss: saubere Umgebung, freundliche Hündin, geimpfte Welpen, keine Zwingerhaltung. Die Checkliste steht in einem Ratgeber mit einem hellgrünen Cover. Titel: Der richtige Welpe für Sie! Es liegt angenehm in der Hand. Bettina hat den Test darin gemacht. Ergebnis: Border Collie oder Golden Retriever. Sie entscheidet sich für beides – und klickt auf das Inserat: Golden Border, liebevoll aufgezogen, bestens sozialisiert.
Der Hof liegt am Ende eines Weges, der sich selbst aufgegeben hat. Kies, Pfützen, kniehohes Gras. Bettina steigt aus. Sie trägt ein Kleid, weil sie zeigen will, dass sie ein guter Mensch ist. Gute Menschen tragen Kleider und kaufen keine Hunde im Internet.
Die Tür wird geöffnet von einer Frau, die aussieht, als hätte sie die letzten zehn Jahre in einem Toom-Baumarkt verbracht – ohne Ausgang. »Sie kommen wegen dem Hund?«, fragt sie. Bettina nickt. »Die Welpen sind hinten.«
Hinten ist ein Raum mit einem Linoleumboden, der sich ablöst wie ein Pflaster auf eitriger Haut. Die Welpen sitzen in einem Gitterverschlag. Es riecht nach nassem Karton und Desinfektionsmittel. Eine nackte Glühbirne baumelt von der Decke, als wolle sie sich das Leben nehmen. Bettina zögert. »Ist die Mutter auch da?« Die Frau nickt in Richtung der Wand, an der ein Poster mit heulenden Wölfen hängt. »Die ist im anderen Raum«, sagt sie. »Darf ich sie sehen?« Die Frau schüttelt den Kopf. »Die schläft.« Bettina nickt. »Ach so.« Eine Pause, die sich anfühlt wie ein Schlag.
Die Frau beugt sich zu einem der Welpen und hebt ihn hoch wie einen Sack Kartoffeln. »Das ist der letzte Rüde. Ein ganz Lieber.« Bettina lächelt. Ein Reflex. Wie bei Familienfeiern, wenn der Onkel wieder zu singen anfängt. Sie will gehen. Sie weiß, sie sollte gehen. Doch dann sagt die Frau »Wenn Sie den heute nehmen, geb ich Ihnen das Futter dazu. Und eine Leine.« Bettina zögert …
(2) Cordula

Cordula ruft an, weil ihre Therapeutin gesagt hat, ein Hund könne helfen. Gegen das Alleinsein. Gegen die Angst. Gegen dieses Gefühl, dass alles irgendwie zu spät ist, aber man trotzdem weiterfunktionieren muss. Cordula glaubt, sie hätte es verdient, dass etwas sie bedingungslos liebt. Am besten mit Knopfaugen.
Die Nummer steht auf einer Homepage mit vielen Ausrufezeichen. Familienzucht. Mit Herz. Auf dem Land. Die Welpen heißen Amy, Austin und Abby. Sie sehen aus wie gebackene Glücksversprechen. Cordula zögert nicht. Was kann schon schiefgehen?
»Ja?« sagt eine Frau mit einer Stimme wie Kräutertee. »Hallo«, sagt Cordula, »ich interessiere mich für einen Welpen.« Am anderen Ende raschelt es. »Aha.«
Sie reden. Cordula erzählt, dass sie eine Altbauwohnung mit Dielenboden hat. Dass der Park gleich um die Ecke ist. Dass sie im Homeoffice arbeitet. Manchmal. Unregelmäßig. Und dass die Nachbarin sich freut. Also: Sie hat genickt, als Cordula davon erzählt hat. »Wie viel Zeit haben Sie denn für einen Welpen?« fragt die Frau. Cordula lacht. »Genug.« Was gelogen ist. Aber was ist schon wahr in einer Welt, in der man etwas nur laut genug sagen muss, damit andere es glauben?
»Wir geben nicht an Ersthundebesitzer ab«, sagt die Stimme am anderen Ende. Cordula versteht nicht. »Wieso das denn?« Die Kräuterteestimme seufzt. »Weil wir Verantwortung tragen.«
Das Gespräch endet. Cordula legt auf. Sie hat keine Lust mehr auf Herzchen. Sie will einen Hund. Jetzt. Also googelt sie »Welpen sofort abzugeben«. Findet ein Inserat mit Handyfotos. »Noch 3 da!« steht da …
(3) Steffi

Steffi hat eine Hündin. Sie heißt Nova und sieht aus wie ein Kuscheltier, das zu oft gewaschen wurde. Nova hat viele Follower. Steffi weniger. Das ist ungerecht, findet sie.
Sie hat Nova gekauft, weil eine Freundin, die heute keine mehr ist, ihr gesagt hat: »Du brauchst was fürs Herz.« Der Züchter hatte eine Facebookseite mit fünf Sternen und einen Garten mit Kunstrasen. Die Welpen durften ins Haus. »Das sind ganz besondere Linien«, hatte der Züchter gesagt. »Kannst später mal züchten.« Steffi hatte genickt, obwohl sie nicht wusste, was das bedeutete. Zucht klang erwachsen. Und sinnvoll. Und irgendwie nach Instagram-Content. Das hatte bei Steffi irgendetwas ausgelöst. So wie Pinterest oder Frühlingsgefühle. Oder das Geräusch von Bubble Tea beim ersten Schluck.
Jetzt ist Nova zwei. Und läufig. Und das Internet voll mit Welpenfotos. Alles riecht nach Möglichkeiten. Steffi denkt: Warum eigentlich nicht? Sie hat Zeit. Sie hat Decken. Sie hat eine Futtermarke mit hoher Rücklaufrate. Was sie nicht hat: einen Deckrüden.
Also schreibt sie eine Anzeige. In eine der Gruppen, wo jeden Tag jemand Hunde sucht, Hunde verschenkt oder Hunde verkauft, weil »sich die Lebensumstände geändert haben«. Steffi tippt: »Suche Deckrüden für meine süße Maus. Bitte alles anbieten! Keine Papiere nötig. Hauptsache lieb <3« Dazu ein Bild von Nova mit Blümchenfilter. Und ein Hashtag. Lovemydog.
Sie legt das Handy beiseite. Geht in die Küche. Denkt an kleine Novas. Mit Schleifchen. Für Insta. Und daran, wie süß das wäre, wenn einer von ihnen bei ihrer besten Freundin wohnt. Sie sieht sich schon, wie sie sagt: »Die Mutter? Die ist auf Instagram berühmt.« Sie gießt Hafermilch in einen Becher, dann geht sie zurück ins Wohnzimmer. Nova liegt auf dem Sofa. Das Handy neben ihr. Und dann …
(4) Monika

Monika ist erschöpft. Ihr Hund frisst nicht. Seit gestern. Vielleicht seit vorgestern. Sie weiß es nicht genau, weil in letzter Zeit alles verschwimmt: Arbeit, Wetter, die Frage, ob man heute schon gesprochen hat.
Der Hund heißt Milka. Weil er als Welpe so süß war, wie Schokolade. Das hat die Nachbarin gesagt. Die mit dem Friseur in der Garage. Damals, als Monika mit dem namenlosen Welpen aus dem Auto stieg. Jetzt liegt Bounty auf seiner Decke. Ohne Appetit, ohne Interesse. Ohne Benachrichtigungston.
Monika will nicht googeln. Sie weiß, wohin das führt. Innerhalb von drei Klicks steht man am Grab – mit einer Diagnose in Großbuchstaben und einer Liste aus Dingen, die man nie getan hat. Der Tierarzt hat heute keine Sprechstunde. Und der kostet. Selbst wenn gar nichts Schlimmes ist. Also fragt sie bei Facebook. In einer Gruppe, die »Hundemenschen helfen Hundemenschen« heißt. 1.402 Mitglieder. Fixierter Beitrag: Jede Meinung zählt! Bitte bleibt freundlich.
Monika schreibt: »Mein Hund frisst nix mehr. Will nicht gleich mit Chemie kommen. Hat jemand Erfahrung mit Hausmitteln? Oder weiß einen Grund?« Keine zwei Minuten später liest sie sich durch die ersten Kommentare. »Zähne kontrollieren!!!« – »Rinderbrühe hilft immer!« – »Könnte der Mond sein. Ist bei meiner auch immer so.« Monika liest alles. Sie nickt innerlich. Sie fühlt sich gesehen. Endlich nicht allein. Und dann …
(5) Beate

Beate hat einen Welpen. Sie nennt ihn Max, weil das auf dem Futtersack stand, den sie zuerst gekauft hat. Beate hat keinen Instagram-Account, aber einen Familienkalender mit Hundemotiven. Und einen Ordner mit wichtigen Unterlagen – darin auch die Quittung vom Züchter.
Sie hat gelesen, dass Hundeschulen wichtig sind. In einem Buch mit Spiralbindung: Hundeerziehung – Klar, korrekt und konsequent. Da stand, man solle sich früh kümmern. Also googelt sie. Die erste Empfehlung kommt aus einem Forum, in dem man sich freundlich austauscht. Man stellt Fragen. Bekommt Antworten. Und im Gegensatz zu Facebook klingen nur ganz wenige davon unverschämt. »Die Petra macht das gut. Die ist schon ewig im Geschäft«, liest Beate. Also ruft sie an. Petra klingt, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. »Nicht so viel Tamtam, die müssen wissen, wer das Sagen hat.« Beate nickt. Das klingt vernünftig.
Am Samstag steht sie auf einer eingezäunten Wiese. Petra trägt Jeans, eine rote Windjacke, und einen Husten, der bellt. Max bellt auch. Der Hund neben ihm bellt zurück. Dann wird geschnappt. Petra ruft: »Die klären das schon! Da müsst ihr durch!« Beate runzelt die Stirn. Aber sie war noch nie in einer Hundeschule. Vielleicht muss das so sein. »Freispiel«, ruft Petra schließlich. Und überall hört Beate die Karabiner klicken. Weil sie nicht weiß, was Freispiel heißt, tut sie es den anderen gleich. Max rennt. Und dann …
(6) Tanja

Tanja wollte einen Hund, der was hermacht. Einen, der zu ihr passt. Zu ihrem SUV. Ihrem Kaffeevollautomaten. Ihrem Leben, das ordentlich aussieht, aber innen knirscht. Sie entscheidet sich für einen Ridgeback. Weil die so stolz gucken. Und kaum haaren.
Paco ist groß. Stark. Schnell gereizt. Er knurrt, wenn es klingelt. Er bellt, wenn man ihn schief anschaut. Er beißt nicht. Noch nicht. Aber sein Blick hat Zähne.
Tanja hat Angst es zuzugeben. Also gibt sie bei TikTok »Hundetraining Ridgeback« ein. Der Algorithmus schickt ihr Dan. Dan heißt eigentlich Daniel, aber alle nennen ihn nur @alpha.mindset.k9. Er trägt einen Hoodie. Ein Cap. Eine graue Sweatpant, die auch sie bei jedem Schritt zum Schwitzen bringt. Er sagt Dinge wie: »Energy doesn’t lie.« Oder: »Don’t negotiate with your dog. You’re the leader. Period.« Und Tanja denkt: Ja. Genau. Endlich einer, der’s versteht.
Dan hat Oberarme wie Pakete mit Sperrgutaufkleber. Und ein Lächeln, das in jedem Licht funktioniert. Er erklärt, wie man sich »mental claimt« was einem gehört. Tanja hört ihm zu, als sei er Jesus mit WLAN. Sie ignoriert Pacos Knurren. Weil Dan sagt: »Das ist just insecurity, don’t feed it.«
Einmal beißt Paco in ihren Ärmel. Sie bleibt ruhig. Einmal in ihre Hand. Sie postet ein Video und schreibt in die Caption: »Pain is just part of the process.« Darunter ein Hashtag: #packleaderjourney.
Dan liked das Video. Kommentiert: »You’re getting there. I see you.« Tanja weint kurz. Und dann …
(7) Claus

Claus hat keinen Zuchtrüden. Er hat einen guten Hund. So einen, der nie krank ist. Mit Fell, das nicht haart. Einem Charakter, wie man ihn sich nicht besser backen könnte. Der einfach läuft. Sagt Claus. Und: »So einen findest du kein zweites Mal.« Das findet er schade. Deshalb postet er. In Gruppen. Mit Bild. Und Satzzeichen. Und dem Wunsch: »Ich möchte nicht, dass es bei ihm endet.« Nur eine deckbereite Hündin fehlt noch zum Glück.
Darunter Kommentare. Ein paar interessiert. Die meisten: kritisch. Fragen nach Genetik, Untersuchungen, Verantwortung. Einer schreibt: »Geh doch einfach in einen Verein.« Claus wird nervös. Dann wütend. Dann schreibt er, was er immer schreibt: Dass er kein Züchter sei. Dass das hier nicht ums Geld gehe. Sondern um was Ehrliches. Um Natur. Um Weitergabe. Dass es schade wäre, wenn so ein toller Hund nicht mal ran dürfte. Wörtlich steht das nicht da. Aber es hängt über allem. Und weil er sich gerade ein bisschen in Rage geschrieben hat, darf dann wirklich alles raus. Über Züchter. Über Papiere. Über Geldmacherei. Über den »Stock im Allerwertesten«. Über Menschen, die ihre Hunde wie Autos behandeln – »Checkheft gepflegt«. Und dass sein Hund einfach zur Familie gehört. Claus will keinen Streit. Er will nur ein paar willige Eizellen. Und möglichst keine Gegenargumente.
Claus schließt mit einem Satz, der nach Aufbruch klingt: »Ich werde darauf nicht mehr antworten.« Das war vorgestern. Er ist mittlerweile aus drei Gruppen rausgeflogen. Eine vierte hat ihn stumm geschaltet. Heute postet er wieder. Gleicher Text. Neues Bild. Diesmal in einer anderen Gruppe. »Ich habe einen tollen Rüden. Und ich finde, es sollte nicht bei ihm enden …«
(8) Ramona

Ramona ist frisch geschieden. Nach dreizehn Jahren Ehe, drei Paarberatungen und einem Doppelnamen, den sie nie gemocht hat. Sie löscht die Mailadresse, die auf »@web.de« endet, und installiert Tinder. Weil ihre Kollegin sagt: »Du brauchst Ablenkung.« Und weil der Mann von früher gestern angerufen hat, um nach dem Sodastream zu fragen.
Ramona lädt vier Fotos hoch. Zwei davon mit Sonnenbrille, eines mit Sektglas. Und eines mit einem Bichon Frisé, den sie mal für eine Freundin gehalten hat. Er heißt, absurd aber wahr, Mandy.
Ramona mag Hunde nicht besonders. Sie findet, sie riechen komisch. Und ihre Zungen sind zu freiheitsliebend. Aber auf dem Foto sieht sie gut aus. Lächelnd. Natürlich. Und Mandy guckt in die Kamera, als sei sie Teil einer hochwertigen Tagescreme-Kampagne.
Das Match kommt drei Stunden später. Nils, 43, Architekt, Hundepapa von Hermes, schreibt: »Wow – wie süß seid ihr beide denn, bitte?« Dahinter ein Emoji mit Herzchen im Blick. Ramona zögert. Dann schreibt sie: »Sie ist mein Herz. Ein bisschen verrückt, aber ich liebe sie.«
Es folgt ein Gespräch. Erst Smalltalk. Beruf und Freizeit. »Was machst du so?« Dann ein Kompliment. Dann noch eins. Dann ein Emoji mit Zunge. Und ehe sie es merkt, geht es nicht mehr um Kaffee. Sondern um das Geräusch, das sie beim Küssen macht. Und was sie tragen würde, wenn er sie besuchen käme. Ramona spielt mit. Es ist aufregend. Und warm. Und ein bisschen schmutzig. Aber so, dass man sich dafür noch nicht hassen muss.
Dann: Funkstille. Zwei Tage lang. Ramona löscht fast den Chat. Dann kommt eine Nachricht. »Sorry, Hermes war krank. Ging alles drunter und drüber.« Sie tippt: »Ohje. Geht’s ihm besser?« Er antwortet: »Schon. Aber erzähl mir doch lieber was von dir. Oder von Mandy.«
Ramona erfindet Geschichten. Mandy mag keine Postboten. Mandy schläft im Bett. Mandy liebt Käse. Sie lächelt dabei. Weil es leicht ist. Und weil Nils gut aussieht. Dann schlägt Nils ein Treffen vor. Spaziergang zu viert: Er, sie, Mandy, Hermes. Er schreibt: »Ich glaube, die beiden würden sich super verstehen.« Ramona starrt auf ihr Handy.
Mandy gibt es nicht. Also – nicht für sie. Sie ruft die Freundin an. Fragt: »Sag mal, könnte ich mir Mandy mal ausleihen? Für ein Treffen. Es … ist kompliziert.« Am anderen Ende Stille. Und dann …
(9) Sandra

Sandra hat Kinder. Zwei. Einen Mann. Und einen Hund. Der Hund kam in der Pandemie. »Damit die Kinder was zum Kuscheln haben«, hatte ihr Mann gesagt. Und Sandra hatte genickt. Weil alle es so machten. Weil es sich gut anfühlte. Wie Bananenbrot oder Applaus vom Balkon.
Jetzt ist der Hund zwei Jahre alt. Er heißt Balu. Er haart. Er bellt. Er knurrt, wenn Besuch kommt. Er war nie einfach. Aber man hat ja Verantwortung. Dachte sie. Bis zu dem Kindergeburtstag im letzten Sommer. Zehn Kinder im Garten. Kuchen, Luftballons, Seifenblasen. Und Balu. Ein Junge ist ihm zu nah gekommen. Nicht schlimm, hat die Mutter gesagt. »Nur ein kleiner Schreck.« Aber Sandra hat gesehen, wie der Junge geweint hat. Und wie die anderen Eltern guckten. Jetzt soll Balu weg. Aber man darf das nicht so sagen. Also schreibt Sandra eine Anzeige.
»Wir suchen schweren Herzens ein neues Zuhause für unseren treuen Begleiter.« Das klingt besser als: Er passt nicht in unser Leben. Oder wir nicht in seins. »Er braucht hundeerfahrene Menschen mit Geduld.« Heißt: Er ist unsicher. Und manchmal wehrt er sich. »Er liebt klare Strukturen.« Heißt: Er kommt mit Alltag klar. Mit Feiern nicht.
Sandra überlegt, ob sie das mit dem Maulkorb dazuschreibt. Tut es nicht. Sie löscht den Halbsatz mit den Kindern. Setzt ein Herzchen-Emoji. Und ein Bild, auf dem Balu ruhig auf der Terrasse liegt. Sie schreibt: »Nur in liebevolle Hände mit Garten.« Und dann …
(10) Larissa

Larissa macht schon lange Instagram. Nicht beruflich, aber mit System. Sie weiß, wann man posten soll. Und was. Emotionen, aber nicht zu viel. Ehrlichkeit, aber nicht die echte. Das, was bleibt, wenn man den Tag durch einen Filter drückt. Sie weiß, wie Wirkung funktioniert. Sie kennt das richtige Licht. Die richtige Musik. Den richtigen Abstand zwischen Caption und Hashtag.
@daisy.delight war ihr Durchbruch. Ein Hund, der aussah wie Zuckerwatte auf vier Beinen. Und sich fast so gut fotografieren ließ. Es lief. Über Jahre. Süße Reels, Produkte, Verlosungen. Einmal sogar eine Kooperationsanfrage aus Südkorea. Alles auf Daisy zugeschnitten.
Dann änderte sich etwas. Der Algorithmus, sagen die einen. Die Zielgruppe, sagen andere. Larissa sagt nichts. Aber sie merkt es. Die Likes sinken. Die Reichweite auch. Einmal schreibt jemand: »Immer die gleiche Pose.« Larissa löscht den Kommentar. Und dann das Bild.
Larissa zweifelt. Versucht es mit anderen Motiven. Daisy auf dem Sofa, Daisy mit Erdbeere, Daisy auf Sylt mit Sand unter den Pfoten. Sie testet alles. Schneidet schneller. Postet montags statt samstags. Aber trotzdem verändert sich nichts. Die Welt hat beschlossen, weiterzuscrollen. Nur ihr und Daisy hat niemand etwas davon gesagt.
Dann hat Larissa eine Idee. Sie räumt das Wohnzimmer um. Stellt ein Ringlicht auf. Wählt ein Shirt, das gerade genug nach Alltag aussieht. Und übt vor dem Spiegel, beim Weinen noch hübsch auszusehen. Dann nimmt sie das Video auf. Sagt, Daisy sei verschwunden. Sagt, das Gartentor sei offen gewesen. Sagt, dass sie einen weißen Lieferwagen habe wegfahren sehen. Sagt, sie habe solche Angst.
Sie lädt das Video hoch. Setzt Hashtags darunter, betont die Dringlichkeit, schreibt in die Caption: »Ich bin am Boden. Bitte helft mir doch!« Das Video geht durch die Decke. Menschen teilen es, schreiben Nachrichten. Eine Influencerin kommentiert mit Herz. Überall bieten Fremde ihre Hilfe an. Larissa liest alles. Antwortet nichts. Und denkt: Jetzt sehen sie mich wieder. Und dann …
© Johannes Willwacher