Die fünfte Lebenswoche: Über Alltägliches, das nicht alltäglich ist. Über Gewohnheiten, die prägen – und das Vertrauen, das daraus wächst.
Then I look at you
and the world’s alright with me.
Bill Withers (1977)
Sie hatten Rituale. Wer zuerst wach wurde, setzte den Kaffee auf. Wer zuletzt das Licht ausmachte, stellte sicher, dass die Tür abgeschlossen war. An Samstagen gingen sie zum Markt, kauften frisches Brot und genau die richtige Menge an Blumen, die nicht extravagant, aber auch nicht zufällig wirkte. Es gab eine Ordnung in ihrem Zusammensein, ein System, das funktionierte, weil beide wussten, was sie zu tun hatten.
»Wir sind wie ein gut geöltes Getriebe«, sagte sie einmal und lachte, als er ihr einen Teller reichte, ohne dass sie darum bitten musste. Er nickte. Vielleicht war das Liebe. Nicht die großen Gesten, nicht die rauschhaften Höhenflüge, sondern das reibungslose Ineinandergreifen der Tage. Ein Stillstand, der sich nicht nach Stillstand anfühlte.
Später, als sie gemeinsam in der Küche standen, der Duft von Safran und gedünsteten Schalotten in der Luft, überlegte er, ob Liebe vielleicht genau das war. Wie sie das Risotto rührte, geduldig, mit langsamen, beständigen Bewegungen, wie sie ihm wortlos den Rotwein reichte, den sie immer tranken. Eine Abfolge von Handgriffen, die sich über die Jahre wie selbstverständlich ineinanderfügten. Vielleicht war Liebe nichts anderes als ein Mechanismus, der die Dinge zusammenhielt. Oder vielleicht war es genau das, was sie so schön machte.

Manchmal reicht es, dass jemand da ist. Dass ein Schatten an der Wand bleibt, wenn das Licht sich bewegt. Dass eine Stimme den Raum füllt, selbst wenn sie nichts sagt. In der fünften Woche verlassen die Welpen das Welpenzimmer. Setzen Pfoten auf unbekannten Boden. Zögern, tasten, staunen. Die Welt ist größer als gedacht, unschärfer, lauter – sie riecht nach tausend Dingen, die noch keinen Namen haben. Sie blinzeln, stolpern, laufen los. Mutig in den neuen Tag hinein. Weil etwas – weil jemand ihnen die Gewissheit gibt: Ich bin da. Ich sehe, ich halte dich. Und alles ist gut.
Was für Menschen Routine ist, wird für Welpen zum Programm ihrer prägenden Welt. Begrüßungen, Fütterungen, die ersten Wege hinaus – unscheinbar im Alltag, aber entscheidend im Gedächtnis. Denn genau in dieser Phase – der sogenannten sensitiven Prägungszeit – wirken solche Gewohnheiten stark. Zwischen der dritten und zwölften Lebenswoche formt sich das Temperament nicht nur durch Gene, sondern zu einem großen Teil durch das, was tagtäglich erfahren wird: Berührung, Stimme, Umgebung. Lynch und Fuller haben bereits in den 1950er‑Jahren deutlich gemacht, dass Welpen in diesem Zeitfenster weitaus empfänglicher für soziale Erfahrungen sind als später.
Moderne Studien untermauern das: Warum ein späterer Besuch in Hunde-Gruppen vielleicht mehr Übung, aber keine Prägung ist. Ein Züchter, der bewusst Rituale schafft – Begrüßungen, kleine Spiele, wechselnde Texturen zum Erkunden –, legt das Fundament für Selbstvertrauen und Resilienz. So zeigt sich: Welpen, die gut strukturiert und behutsam geprägt werden, entwickeln weniger Scheu, mehr Neugier – und letztlich: ein Vertrauen, das sie durch ihr Leben trägt.
Und vielleicht ist das Geheimnis der Rituale genau das: Sie sind die kleinen Blicke, die alles ins Lot bringen. Ein Handgriff, der zur rechten Zeit kommt. Ein Schatten, der sich immer wieder neben den eigenen legt. Für die Welpen ist es das gleichbleibende Muster aus Stimme, Wärme und Berührung. Für uns Menschen manchmal nur ein Augenaufschlag am Morgen. Doch beides sagt dasselbe: Ich sehe dich. Und damit ist die Welt – für einen Moment – vollkommen »alright with me«.
Das 5. Fotoshooting
Die 5. Lebenswoche
What is Love?
Liebe – ein Gefühl, das jeder kennt und doch niemand ganz erklären kann. Ist sie Chemie oder Schicksal? Berechnung oder Rätsel? Ein Impuls oder eine Entscheidung? In unserem Wurftagebuch erkunden wir die Liebe in all ihren Facetten – von der ersten Nachricht in einer Dating-App bis zum letzten Versprechen eines gemeinsamen Lebens. Vielleicht findest du dich wieder. Vielleicht entdeckst du eine neue Art, über Liebe nachzudenken. Vielleicht zeigt sich die Wahrheit irgendwo zwischen den Zeilen.
© Johannes Willwacher