Die fünfte Lebenswoche: Über Alltägliches, das nicht alltäglich ist. Über Gewohnheiten, die prägen – und das Vertrauen, das daraus wächst.

Sie hat­ten Ritua­le. Wer zuerst wach wur­de, setz­te den Kaf­fee auf. Wer zuletzt das Licht aus­mach­te, stell­te sicher, dass die Tür abge­schlos­sen war. An Sams­ta­gen gin­gen sie zum Markt, kauf­ten fri­sches Brot und genau die rich­ti­ge Men­ge an Blu­men, die nicht extra­va­gant, aber auch nicht zufäl­lig wirk­te. Es gab eine Ord­nung in ihrem Zusam­men­sein, ein Sys­tem, das funk­tio­nier­te, weil bei­de wuss­ten, was sie zu tun hatten.

»Wir sind wie ein gut geöl­tes Getrie­be«, sag­te sie ein­mal und lach­te, als er ihr einen Tel­ler reich­te, ohne dass sie dar­um bit­ten muss­te. Er nick­te. Viel­leicht war das Lie­be. Nicht die gro­ßen Ges­ten, nicht die rausch­haf­ten Höhen­flü­ge, son­dern das rei­bungs­lo­se Inein­an­der­grei­fen der Tage. Ein Still­stand, der sich nicht nach Still­stand anfühlte.

Spä­ter, als sie gemein­sam in der Küche stan­den, der Duft von Safran und gedüns­te­ten Scha­lot­ten in der Luft, über­leg­te er, ob Lie­be viel­leicht genau das war. Wie sie das Risot­to rühr­te, gedul­dig, mit lang­sa­men, bestän­di­gen Bewe­gun­gen, wie sie ihm wort­los den Rot­wein reich­te, den sie immer tran­ken. Eine Abfol­ge von Hand­grif­fen, die sich über die Jah­re wie selbst­ver­ständ­lich inein­an­der­füg­ten. Viel­leicht war Lie­be nichts ande­res als ein Mecha­nis­mus, der die Din­ge zusam­men­hielt. Oder viel­leicht war es genau das, was sie so schön machte.

Fotoshooting mit 5 Wochen altem Border Collie Welpen bei Sonnenaufgang

Manch­mal reicht es, dass jemand da ist. Dass ein Schat­ten an der Wand bleibt, wenn das Licht sich bewegt. Dass eine Stim­me den Raum füllt, selbst wenn sie nichts sagt. In der fünf­ten Woche ver­las­sen die Wel­pen das Wel­pen­zim­mer. Set­zen Pfo­ten auf unbe­kann­ten Boden. Zögern, tas­ten, stau­nen. Die Welt ist grö­ßer als gedacht, unschär­fer, lau­ter – sie riecht nach tau­send Din­gen, die noch kei­nen Namen haben. Sie blin­zeln, stol­pern, lau­fen los. Mutig in den neu­en Tag hin­ein. Weil etwas – weil jemand ihnen die Gewiss­heit gibt: Ich bin da. Ich sehe, ich hal­te dich. Und alles ist gut.

Was für Men­schen Rou­ti­ne ist, wird für Wel­pen zum Pro­gramm ihrer prä­gen­den Welt. Begrü­ßun­gen, Füt­te­run­gen, die ers­ten Wege hin­aus – unschein­bar im All­tag, aber ent­schei­dend im Gedächt­nis. Denn genau in die­ser Pha­se – der soge­nann­ten sen­si­ti­ven Prä­gungs­zeit – wir­ken sol­che Gewohn­hei­ten stark. Zwi­schen der drit­ten und zwölf­ten Lebens­wo­che formt sich das Tem­pe­ra­ment nicht nur durch Gene, son­dern zu einem gro­ßen Teil durch das, was tag­täg­lich erfah­ren wird: Berüh­rung, Stim­me, Umge­bung. Lynch und Ful­ler haben bereits in den 1950er‑Jahren deut­lich gemacht, dass Wel­pen in die­sem Zeit­fens­ter weit­aus emp­fäng­li­cher für sozia­le Erfah­run­gen sind als später.

Moder­ne Stu­di­en unter­mau­ern das: War­um ein spä­te­rer Besuch in Hun­de-Grup­pen viel­leicht mehr Übung, aber kei­ne Prä­gung ist. Ein Züch­ter, der bewusst Ritua­le schafft – Begrü­ßun­gen, klei­ne Spie­le, wech­seln­de Tex­tu­ren zum Erkun­den –, legt das Fun­da­ment für Selbst­ver­trau­en und Resi­li­enz. So zeigt sich: Wel­pen, die gut struk­tu­riert und behut­sam geprägt wer­den, ent­wi­ckeln weni­ger Scheu, mehr Neu­gier – und letzt­lich: ein Ver­trau­en, das sie durch ihr Leben trägt.

Und viel­leicht ist das Geheim­nis der Ritua­le genau das: Sie sind die klei­nen Bli­cke, die alles ins Lot brin­gen. Ein Hand­griff, der zur rech­ten Zeit kommt. Ein Schat­ten, der sich immer wie­der neben den eige­nen legt. Für die Wel­pen ist es das gleich­blei­ben­de Mus­ter aus Stim­me, Wär­me und Berüh­rung. Für uns Men­schen manch­mal nur ein Augen­auf­schlag am Mor­gen. Doch bei­des sagt das­sel­be: Ich sehe dich. Und damit ist die Welt – für einen Moment – voll­kom­men »alright with me«.

Das 5. Fotoshooting

Die 5. Lebenswoche

What is Love?

Lie­be – ein Gefühl, das jeder kennt und doch nie­mand ganz erklä­ren kann. Ist sie Che­mie oder Schick­sal? Berech­nung oder Rät­sel? Ein Impuls oder eine Ent­schei­dung? In unse­rem Wurf­ta­ge­buch erkun­den wir die Lie­be in all ihren Facet­ten – von der ers­ten Nach­richt in einer Dating-App bis zum letz­ten Ver­spre­chen eines gemein­sa­men Lebens. Viel­leicht fin­dest du dich wie­der. Viel­leicht ent­deckst du eine neue Art, über Lie­be nach­zu­den­ken. Viel­leicht zeigt sich die Wahr­heit irgend­wo zwi­schen den Zeilen.


© Johannes Willwacher