Der Abschied: Über Nähe, die sich wandelt, über Hoffnung, die weiterträgt – und ein Versprechen, das keine Entfernung kennt.
And we’re all gonna shine a light together.
All shine a light to light the way.
Katrina and the Waves (1997)
Sie hatten ihr ganzes Leben miteinander verbracht. Zwei Tassen auf demselben Frühstückstisch, zwei Stimmen, die dieselben Geschichten immer wieder erzählten, weil niemand sie so gut kannte wie der andere. Zwei Hände, die sich suchten, selbst wenn das Licht längst gelöscht war.
Jetzt saßen sie nebeneinander, seine Hand auf ihrer, ihre Haut dünn wie Pergament. Das Krankenhauszimmer war still, nur das Summen der Geräte und das leise Ticken der Uhr. »Weißt du noch?«, fragte sie. Er nickte. Es gab so vieles, an das er sich erinnerte. An den ersten schüchternen Kuss im Schatten der Currywurstbude. An die Briefe, die sie sich schrieben, als sie jung waren und dachten, die Welt würde ewig so bleiben. Die endlosen Nächte, in denen sie sich stritten, liebten, versöhnten. Die Jahre, die vergingen, während sie dachten, sie hätten noch so viele vor sich.
»Es fühlt sich nicht wie ein Abschied an«, sagte sie leise. Er wusste, was sie meinte. Seit Jahren hatten sie in denselben Atemzügen gesprochen, ihre Gedanken so oft geteilt, dass ihre Worte sich nahtlos ineinanderfügten. »Ich werde warten«, sagte sie schließlich, »wo auch immer das ist.« Er lächelte, drückte ihre Hand. Vielleicht war Liebe nichts anderes als das – ein Licht, das nicht verlöscht, ein Glaube, der keinen Beweis braucht. Ein Versprechen, das bleibt, auch wenn alles andere vergeht.

Manche Abschiede sind endgültig, andere nur ein Übergang. Manche lassen eine Lücke, andere hinterlassen ein Licht. Die Welpen werden gehen, so wie sie gehen müssen. Aber das, was bleibt, ist mehr als nur eine Erinnerung. Es ist ein Band, das auch über Entfernungen hinweg hält. Denn Liebe – echte Liebe – verlöscht nicht. Sie leuchtet weiter, in den Spuren, die sie hinterlässt.
Vielleicht ist es so: dass Dinge nie einfach verschwinden. Kierkegaard schrieb einmal, Hoffnung sei das Erwarten des Guten auch dann, wenn es uns verborgen bleibt. Vielleicht ist genau das die Haltung, die uns jetzt bleibt: nicht zu wissen, sondern zu hoffen.

Die Welpen, die fortgegangen sind, liegen nun in fremden Händen, die bald vertraut werden. In neuen Räumen, die sich erst noch mit dem Geruch von Zuhause füllen werden. Und ich denke: Vielleicht ist es mit uns Menschen nicht anders. Vielleicht zeigt sich Liebe genau darin, dass sie über Grenzen hinaus Bestand hat – durch Türen, die ins Schloss fallen, über Kilometer, die zwischen Häusern liegen, vielleicht sogar über die Zeit selbst.
Ich stelle mir vor, dass all die Fäden, die einmal geknüpft wurden, unsichtbar weiterlaufen. Dass die Blicke der Welpen uns noch erreichen, selbst wenn sie schon anderswo schlafen. Und dass die Hand, die man jetzt loslassen muss – die Pfote, das Köpfchen, das nach neun Wochen viel zu vertraute Gesicht –, eines Tages wieder die eigene finden wird. Nicht hier, vielleicht nicht morgen, aber irgendwo. Vielleicht im Traum, vielleicht in einer Erinnerung, die so stark ist, dass sie Wirklichkeit bleibt. Vielleicht in einer Ewigkeit, die nicht wie ein Ende wirkt, sondern wie ein Anfang, nur anders erzählt.
Abschied ist kein Punkt, denke ich also. Abschied ist ein Komma.
Danach kommt ein neuer Satz.
Die 9. Lebenswoche
What is Love?
Liebe – ein Gefühl, das jeder kennt und doch niemand ganz erklären kann. Ist sie Chemie oder Schicksal? Berechnung oder Rätsel? Ein Impuls oder eine Entscheidung? In unserem Wurftagebuch erkunden wir die Liebe in all ihren Facetten – von der ersten Nachricht in einer Dating-App bis zum letzten Versprechen eines gemeinsamen Lebens. Vielleicht findest du dich wieder. Vielleicht entdeckst du eine neue Art, über Liebe nachzudenken. Vielleicht zeigt sich die Wahrheit irgendwo zwischen den Zeilen.
© Johannes Willwacher