
Unserem A-Wurf zum 13. Geburtstag: Über Jahre, die vergehen, und Gewohnheiten, die bleiben – wie das leise Schmatzen im Schlaf und die Liebe im Alltag.
Alle guten Dinge haben etwas Lässiges
und liegen wie die Kühe auf der Wiese.
Friedrich Nietzsche
Ich habe Geburtstag, in acht Tagen. Dass kurz nach zehn das Telefon klingeln wird, weiß ich jetzt schon, und auch, wie der erste Satz lauten wird. »So alt wird ja keine Kuh im Spessart«, wird meine Kollegin sagen, und ich mich wie in jedem Jahr fragen, woher sie das wissen will. Also, wie alt Kühe im Spessart so werden.
Das ist aber nicht die einzige Gelegenheit, bei der ich ziemlich treffsicher voraussagen kann, was sie sagen wird. Wenn man jemanden lange genug kennt, dann kennt man auch jede Floskel, die der andere bevorzugt verwendet. Ein Beispiel? Der große Zeiger der Uhr steht kurz vor der sechs und am Schreibtisch gegenüber lässt sie geräuschvoll den Schlüsselbund in ihre Handtasche fallen: »So jung kommen wir nicht mehr zusammen«, wird sie sagen, während der schwungvoll zurückgeschobene Bürostuhl noch ein paar Extrarunden dreht. Und: »Also!«, bevor die Tür sich endgültig hinter ihr schließt. Um das zu wissen, muss ich nicht einmal wirklich am anderen Schreibtisch sitzen – derselbe kommt sich ziemlich nutzlos vor, seitdem ich ins Home Office umgezogen bin –, es genügt, Frau Professorin zwanzig Jahre lang beobachtet zu haben, um einschätzen zu können, wie sie wann agiert.
Durch die Routinen, die unser Leben prägen, verstehen wir einander immer besser. Das gilt nicht nur für Kolleginnen und Kollegen, sondern für jedwede Beziehung, die wir desweiteren pflegen. Nicht umsonst sagt man langjährigen Paaren nach, dass sie die Sätze des anderen beenden können (»Nun fall mir nicht schon wieder ins Wort, du alte Kuh!«), und nicht umsonst heißt es von alten Hunden, dass sie keine neuen Tricks mehr lernen. Weil: sie eben schon alle Tricks kennen, die sie kennen müssen – und sie genau wissen, dass ihr Mensch ihnen auch gar nichts Neues mehr beibringen mag. Routine sorgt nämlich nicht nur für mehr Verständnis. Nein. Sie sorgt auch für Behagen. Zurücklehnen und entspannen. Ganz einfach, weil ich dich kenne – dich gut finde und dich mag. Das gilt im Übrigen auch für Wiederholungen im Fernsehen.
Die Vorstellung, dass sich alles wiederholen wird, hat etwas Beruhigendes. Nietzsche – der sich zwischen diesen Zeilen eigentlich nicht ganz wohlfühlen dürfte, weil das einzig Spaßige in seinem Leben die Enden seines gezwirbelten Bartes waren – nannte das die »Ewige Wiederkunft«. Alles, was wir tun, wird immer und immer wieder in genau derselben Form geschehen. Ganz ehrlich? Das klingt für mich weder abschreckend, noch bedauernswert. Es klingt nach der Freiheit, sich wieder und wieder in die Arme des schon Vertrauten zu stürzen. Mit der Zuversicht, dass man sich zumindest darauf verlassen kann.
Genau wie auf ihn. Dreizehn Jahre sind es nun. Dreizehn Jahre, in denen ich ihn beobachtet habe, seine Routinen und seine kleinen Marotten. Das erwartungsvolle Bellen vor dem Spaziergang. Das zufriedene Seufzen, wenn er sich nach einem langen Tag auf seinen Platz sinken lässt. Und dieses leise, fast unhörbare Schmatzen im Schlaf – als würde er in seinen Träumen immer wieder zu dem zurückkehren, was er liebt.
Die ewige Wiederkehr, so stelle ich mir vor, muss für ihn ein Versprechen sein. Eines, das ihm sagt: Heute wird es genauso gut wie gestern – und morgen mindestens ebenso schön. Und während ich ihm sanft über die graue Schnauze streiche, frage ich mich, wie alt Kühe im Spessart denn nun wirklich werden.



© Johannes Willwacher