Border Collie Züchter Johannes Willwacher mit fünf seiner Border Collie Welpen
03|07|2019 – Ein Som­mer­abend auf dem Feld: fünf Wel­pen, sechs Wochen alt

Die sechste Woche: über die Wesensentwicklung beim Welpen und welche Beobachtungen die Zeit außerdem mit sich bringt – wenn der Züchter sie sich nimmt.

Wenn du in Gedan­ken ein Feld zeich­nest, das du mit einer hori­zon­ta­len und einer ver­ti­ka­len Ach­se ver­siehst, die sich in der Mit­te über­schnei­den, auf bei­den Ach­sen auf­stei­gen­de Wer­te ein­trägst, die gegen­sätz­li­chen Wesens­merk­ma­len zuge­ord­net sind und bei denen der höhe­re Zah­len­wert die deut­li­che­re Aus­prä­gung eines Merk­mals beschreibt – dann weißt du, was im Kopf eines Züch­ters vor sich geht, wenn du ihn danach fragst, was er dir über die­sen oder jenen Wel­pen sagen kann. Das Koor­di­na­ten­sys­tem selbst bleibt dabei aber nie­mals starr, ver­än­dert sich im Lau­fe der Wochen, so wie der Wel­pe sich durch das Zutun des Züch­ters ver­än­dert. Dort, wo ein­mal Defi­zi­te auf­ge­fal­len sind, wird sich ein guter Züch­ter immer dar­um bemü­hen, einen Aus­gleich zu schaf­fen – Zurück­hal­tung mit Selbst­be­wusst­sein zu füt­tern, zu kor­ri­gie­ren, wo sich ein Wel­pe zu forsch ver­hält –, und früh­zei­tig ver­su­chen, die indi­vi­du­el­len Vor­lie­ben und Stär­ken zu erken­nen, um den Wel­pen in sei­ner Ent­wick­lung best­mög­lich för­dern zu kön­nen. Kannst du dir vor­stel­len, wie groß die­ses Feld ist? Wie schwer es fällt, den Über­blick zu behal­ten? Und wie leicht du am einen Ende aus den Augen ver­lierst, was sich am ande­ren gera­de tut? Ver­giss Alge­bra, Ana­ly­sis und Men­gen­leh­re – eine gute, gewis­sen­haf­te Prä­gung ist oft noch schwie­ri­ger als höhe­re Mathematik.

Border Collie Welpe sitzt auf dem Feld
02|07|2019 – Fel­low, Broad­me­a­dows Fire Meet Gasoline

Wie­der ein­mal sit­ze ich mit­ten im Aus­lauf, fünf auf­ge­weck­te Wel­pen um mich her­um. Das ist kein unge­wöhn­li­ches Bild: wann auch immer ich das quiet­schen­de Tür­git­ter zum Wel­pen­aus­lauf öff­ne, kom­men die Wel­pen freu­dig auf mich zuge­lau­fen, zie­hen sich über­mü­tig an mei­nen Bei­nen hoch und wol­len gestrei­chelt wer­den. Wäh­rend mir bei frü­he­ren Wür­fen hier schon oft­mals Strei­tig­kei­ten auf­ge­fal­len sind und manch einer ver­sucht hat, sich schnap­pend gegen die Geschwis­ter zu behaup­ten, sich selbst einen Vor­teil zu ver­schaf­fen, las­sen sich die Fünf ger­ne gegen­sei­tig gewäh­ren – kei­ner kommt zu kurz, jeder kommt mal dran. Schon die Begrü­ßung fällt aber bei jedem Wel­pen ein wenig anders aus. Der eine zeigt sich forsch und for­dernd, sitzt immer zuerst auf mei­nem Schoß, ver­sucht die Zäh­ne in mei­nem Shirt zu ver­gra­ben oder mit weit aus­ge­streck­ten Pfo­ten nach mei­nem Gesicht zu angeln – Quinn und Sis­si wären hier beson­ders zu erwäh­nen. Mol­ly, Finn und Fel­low haben es viel­mehr auf mei­ne Hän­de abge­se­hen, die mit dem spitz­zah­ni­gen Wel­pen­ge­biss mal mehr, mal weni­ger zärt­lich ver­ein­nahmt wer­den – alle drei las­sen sich aber auch ger­ne davon über­zeu­gen, dass Hän­de nicht nur zum Bei­ßen tau­gen, dre­hen sich vor mir frei­mü­tig auf den Rücken und von mir den run­den Wel­pen­bauch krau­len. Auch das bemer­ke ich als deut­li­chen Unter­schied zu frü­he­ren Wür­fen, in denen es immer einen oder zwei Wel­pen gab, die es kaum zulas­sen konn­ten, sich zu unter­wer­fen und mir die Ober­hand zu las­sen – weder frei­wil­lig, noch erzwun­gen: unter den Fün­fen gibt es kei­nen, der nicht von sich aus ange­kro­chen kommt, sich an mich kuschelt und vol­ler Ver­trau­en auf den Rücken wirft. Gerauft wird natür­lich trotz­dem – mit mir und auch mit­ein­an­der. Aber es geht dabei bedeu­tend aus­ge­gli­che­ner zu, als bei den meis­ten unse­rer frü­he­ren Wür­fe. Nein, nicht nur aus­ge­gli­che­ner, son­dern auch sehr viel lei­ser. Wo in mei­nem Koor­di­na­ten­sys­tem tra­ge ich das nun ein? Und unter wel­chem Begriff?

Border Collie Welpe sitzt auf dem Feld
02|07|2019 – Finn, Broad­me­a­dows Fred­die Mercury

Domi­nanz und Unter­wür­fig­keit, Auf­ge­schlos­sen­heit und Zurück­hal­tung, Selb­stän­dig­keit und Anhäng­lich­keit – wäh­rend der Wel­pen­auf­zucht fin­den sich vie­le Begriffs­paa­re, die sich auf den Ach­sen des gedach­ten Koor­di­na­ten­sys­tems gegen­über­stel­len las­sen. Mit unse­ren Fün­fen bin ich mehr als zufrie­den. Wenn du in Gedan­ken ein Feld zeich­nest und fünf Wel­pen als Punk­te dar­in ver­merkst: blüht dein Feld dann? Meins tut es. Es blüht. Und wie.

Gleich zwei Aus­flü­ge und zwei Auto­fahr­ten haben wir in den ver­gan­ge­nen Tagen mit den Wel­pen in den Abend­stun­den unter­nom­men: in das Natur­schutz­ge­biet an der Brei­ten­bach­tal­sper­re bei Wai­gan­ds­hain und auf den ehe­ma­li­gen Trup­pen­übungs­platz der Bun­des­wehr zwi­schen Wes­ter­burg und Ailert­chen. Die gro­ßen, offe­nen Wie­sen- und Wei­de­flä­chen haben unse­ren fünf Bor­der Col­lie Wel­pen gut gefal­len – und mit vie­len unbe­kann­ten Gerü­chen ganz bestimmt nicht nur die Nasen, son­dern mit fri­schem Heu, Schot­ter, Kies und Asphalt auch die Pfo­ten herausgefordert. 

© Johannes Willwacher