13|11|2024 – Unser A-Wurf feiert seinen 12. Geburtstag
13|11|2024 – Unser A-Wurf fei­ert sei­nen 12. Geburtstag

Unserem A-Wurf zum zwölften Geburtstag: Jeder Schritt ist ein Kampf gegen die Zeit. Jeder Schritt ist ein Ausdruck von Hoffnung. Wer könnte aufhören, zu rennen?

Der Hund ist alt. Zwölf Jah­re. Sei­ne Schnau­ze ist grau. Doch etwas in ihm wei­gert sich, das anzu­neh­men. Er läuft noch immer, rennt wie ein jun­ger Hund, als könn­te er der Schwe­re der Jah­re ent­kom­men. Jedes Ren­nen ist ein Kampf gegen das Altern, gegen das, was alles Leben­di­ge irgend­wann ereilt. Sei­ne Bewe­gun­gen sind kraft­voll, fast trot­zig, aber die Erschöp­fung kommt immer schnel­ler. Nach jedem Lauf legt er sich nie­der, schwer atmend, als hät­te er alles gegeben.

Es ist eine selt­sa­me Mischung aus Frei­heit und Tra­gik, ihn so zu sehen. Er rennt, weil er spürt, dass mehr Jah­re hin­ter, als noch vor ihm lie­gen. Und doch ist es genau das, was ihn zu Boden zwingt – die Unver­meid­lich­keit des Alters, der er nicht ent­kom­men kann. Aber sobald er sei­ne Kräf­te gesam­melt hat, steht er wie­der auf. Immer wie­der. Es ist, als könn­te er nicht anders, als müss­te er wei­ter­ma­chen, auch wenn er weiß, dass er nie ent­kom­men wird.

Sei­ne Augen wir­ken tief, wenn er inne­hält und in die Fer­ne starrt. Viel­leicht ver­steht er das Leben bes­ser als wir. Viel­leicht weiß er, dass es im Lau­fen nicht um das Ent­kom­men geht, son­dern um das Wei­ter­ma­chen. Der ein­zi­ge Weg, dem Schick­sal zu begeg­nen, ist, ihm entgegenzulaufen.

Wir alle ren­nen, nicht wahr? Nicht, weil wir glau­ben, ent­kom­men zu kön­nen, son­dern weil das Lau­fen uns am Leben hält. Es ist die Hoff­nung, dass viel­leicht, wenn wir weit genug ren­nen, etwas war­tet. Irgend­wo da drau­ßen, hin­ter dem nächs­ten Hori­zont. Eine Chan­ce, ein Moment, den wir grei­fen kön­nen. Wir ren­nen, weil wir glau­ben, dass das Leben mehr ist als das War­ten auf das Ende. Der Hund weiß das. Er läuft nicht aus Ver­zweif­lung. Er läuft, weil er immer noch hofft.

Wer könn­te auf­hö­ren, zu ren­nen? Das ist das Leben. Man hört nicht auf. Man läuft wei­ter, bis man nicht mehr kann. Viel­leicht gibt es dort drau­ßen eine Ant­wort auf alle Fra­gen. Viel­leicht auch nicht. Erfah­ren wird es nur, wer nicht ste­hen bleibt. So läuft der Hund. Und so lau­fen wir.

Unwei­ger­lich muss ich beim Schrei­ben an Edda (Broad­me­a­dows Almost Rosey) den­ken – die Ers­te der sechs Geschwis­ter, die die­ses Leben hin­ter sich gelas­sen hat. Auch sie ist gelau­fen, hat nie still­ge­stan­den. Selbst, als das Ende bereits greif­bar schien. Als ihre Bei­ne sie nicht mehr tra­gen woll­ten. Dass sie ihrem Schick­sal so frei­mü­tig ent­ge­gen­ge­lau­fen ist, bleibt für uns – mit unse­rem mensch­li­chen Ver­stand und dem noch viel mensch­li­che­ren Bedürf­nis, alles fest­zu­hal­ten – fast unver­ständ­lich. Viel­leicht, weil wir ver­ges­sen haben, dass alles den glei­chen Weg geht. Weil wir uns nicht dar­an erin­nern wol­len. Weil wir das so weit von uns weg­schie­ben, wie es nur eben geht. Ziem­lich dumm, eigentlich.

Wenn ich mir Zion anschaue – den Wurf­bru­der, der damals bei uns geblie­ben ist –, dann könn­te ich mich allein dar­auf kon­zen­trie­ren, zu bemer­ken, wie jugend­lich er für sein Alter noch wirkt. Ich könn­te sagen, dass er noch mühe­los den wei­tes­ten Outrun hin­legt. Dass er noch sprin­gen, spie­len und ren­nen kann. Aber das wäre nur die hal­be Wahr­heit. Denn natür­lich fällt mir auch die Erschöp­fung auf. Dass er nach einem lan­gen Spa­zier­gang ger­ne den hal­ben Tag ver­schläft. Und dass die Pha­sen der Erho­lung mitt­ler­wei­le deut­lich län­ger aus­fal­len, als die Pha­sen der Akti­vi­tät. Bei­des bewusst wahr­zu­neh­men – und bei­des als zuein­an­der gehö­rend anzu­neh­men – macht sei­ne Gegen­wart aber sehr viel kost­ba­rer. Und so lau­fen wir. Dank­bar, dass wir es noch können.

Den Geschwis­tern zum zwölf­ten Geburts­tag die aller­bes­ten Wün­sche. Bleibt nicht stehen!

© Johannes Willwacher