Unserem A-Wurf zum zwölften Geburtstag: Jeder Schritt ist ein Kampf gegen die Zeit. Jeder Schritt ist ein Ausdruck von Hoffnung. Wer könnte aufhören, zu rennen?
Der Hund ist alt. Zwölf Jahre. Seine Schnauze ist grau. Doch etwas in ihm weigert sich, das anzunehmen. Er läuft noch immer, rennt wie ein junger Hund, als könnte er der Schwere der Jahre entkommen. Jedes Rennen ist ein Kampf gegen das Altern, gegen das, was alles Lebendige irgendwann ereilt. Seine Bewegungen sind kraftvoll, fast trotzig, aber die Erschöpfung kommt immer schneller. Nach jedem Lauf legt er sich nieder, schwer atmend, als hätte er alles gegeben.
Es ist eine seltsame Mischung aus Freiheit und Tragik, ihn so zu sehen. Er rennt, weil er spürt, dass mehr Jahre hinter, als noch vor ihm liegen. Und doch ist es genau das, was ihn zu Boden zwingt – die Unvermeidlichkeit des Alters, der er nicht entkommen kann. Aber sobald er seine Kräfte gesammelt hat, steht er wieder auf. Immer wieder. Es ist, als könnte er nicht anders, als müsste er weitermachen, auch wenn er weiß, dass er nie entkommen wird.
Seine Augen wirken tief, wenn er innehält und in die Ferne starrt. Vielleicht versteht er das Leben besser als wir. Vielleicht weiß er, dass es im Laufen nicht um das Entkommen geht, sondern um das Weitermachen. Der einzige Weg, dem Schicksal zu begegnen, ist, ihm entgegenzulaufen.
Wir alle rennen, nicht wahr? Nicht, weil wir glauben, entkommen zu können, sondern weil das Laufen uns am Leben hält. Es ist die Hoffnung, dass vielleicht, wenn wir weit genug rennen, etwas wartet. Irgendwo da draußen, hinter dem nächsten Horizont. Eine Chance, ein Moment, den wir greifen können. Wir rennen, weil wir glauben, dass das Leben mehr ist als das Warten auf das Ende. Der Hund weiß das. Er läuft nicht aus Verzweiflung. Er läuft, weil er immer noch hofft.
Wer könnte aufhören, zu rennen? Das ist das Leben. Man hört nicht auf. Man läuft weiter, bis man nicht mehr kann. Vielleicht gibt es dort draußen eine Antwort auf alle Fragen. Vielleicht auch nicht. Erfahren wird es nur, wer nicht stehen bleibt. So läuft der Hund. Und so laufen wir.
Unweigerlich muss ich beim Schreiben an Edda (Broadmeadows Almost Rosey) denken – die Erste der sechs Geschwister, die dieses Leben hinter sich gelassen hat. Auch sie ist gelaufen, hat nie stillgestanden. Selbst, als das Ende bereits greifbar schien. Als ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten. Dass sie ihrem Schicksal so freimütig entgegengelaufen ist, bleibt für uns – mit unserem menschlichen Verstand und dem noch viel menschlicheren Bedürfnis, alles festzuhalten – fast unverständlich. Vielleicht, weil wir vergessen haben, dass alles den gleichen Weg geht. Weil wir uns nicht daran erinnern wollen. Weil wir das so weit von uns wegschieben, wie es nur eben geht. Ziemlich dumm, eigentlich.
Wenn ich mir Zion anschaue – den Wurfbruder, der damals bei uns geblieben ist –, dann könnte ich mich allein darauf konzentrieren, zu bemerken, wie jugendlich er für sein Alter noch wirkt. Ich könnte sagen, dass er noch mühelos den weitesten Outrun hinlegt. Dass er noch springen, spielen und rennen kann. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Denn natürlich fällt mir auch die Erschöpfung auf. Dass er nach einem langen Spaziergang gerne den halben Tag verschläft. Und dass die Phasen der Erholung mittlerweile deutlich länger ausfallen, als die Phasen der Aktivität. Beides bewusst wahrzunehmen – und beides als zueinander gehörend anzunehmen – macht seine Gegenwart aber sehr viel kostbarer. Und so laufen wir. Dankbar, dass wir es noch können.
Den Geschwistern zum zwölften Geburtstag die allerbesten Wünsche. Bleibt nicht stehen!
© Johannes Willwacher