Die fünfte Trächtigkeitswoche: Über das, was noch nicht sichtbar ist. Über Formen, die sich bilden. Und über Liebe, die schon wirkt, bevor sie verstanden wird.
Marry me, Juliet,
you’ll never have to be alone.
Taylor Swift (2008)
Als sie zehn war, lag sie oft nachts wach und hörte, wie ihre Eltern im Nebenzimmer flüsterten. Sie wusste nicht, was sie sagten, aber sie wusste, dass es wichtig war. Sie übte vor dem Spiegel, wie man jemanden ansieht, ohne etwas zu sagen, aber mit allem, was man meint. Jahre später, als sie ihn kennenlernte, tat er das gleiche. Er sah sie an, als wäre sie das Einzige, das er in dieser Welt jemals finden würde. Und vielleicht war das die Art von Liebe, auf die sie sich geeinigt hatten, lange bevor sie sich trafen.
Sie verstand damals nicht, warum sie immer wieder Menschen suchte, die ihr das gaben, was ihr als Kind fehlte. Sie wusste nicht, dass ihre Sehnsucht nicht nur ihm galt, sondern dem Echo vergangener Stimmen. Ihr Psychologe würde später sagen, dass Bindungserfahrungen Muster hinterlassen. Dass Menschen unbewusst nach dem suchen, was sie kennen – auch wenn es weh tut. »Wir wiederholen, was wir nicht lösen«, sagte er. Sie dachte an ihn, an seine Blicke, an die Art, wie er sie hielt, genau so fest, wie sie es immer gebraucht hatte. Vielleicht war das nicht nur Liebe. Vielleicht war es etwas, das sie längst kannte, ohne es jemals verstanden zu haben.
Manchmal ist Liebe ein Wort, das noch nicht ausgesprochen wurde. Ein Herzschlag, so leise, dass er kaum wahrgenommen wird. Ein Blick, der sich abwendet, weil er noch nicht sicher ist, ob er bleiben darf. In diesem frühen Stadium ist das Leben noch ein Geheimnis, eine Ahnung, die nur in Fragmenten existiert. Aber selbst die leisesten Versprechen formen die Welt, noch bevor sie gehört werden. Der Beginn einer Liebesgeschichte.
In der fünften Trächtigkeitswoche wird das Unsichtbare langsam greifbar. Die Fruchtanlagen wachsen, gewinnen an Kontur, kleine Körper formen sich. Die Organe beginnen sich zu entwickeln, die Gliedmaßen werden erkennbar, die ersten zarten Bewegungen setzen ein – auch wenn sie noch nicht spürbar sind. Noch ist die Verbindung zwischen Hündin und Welpen rein körperlich, ein stilles Versorgen, ein rhythmisches Geben.
Karma ist ruhiger als sonst. Sie schläft mehr. Wenn sie nicht schläft, hat sie Hunger – nicht gierig, aber zielgerichtet. Ihr Bauchumfang ist in der vergangenen Woche um fünf Zentimeter angewachsen. Und auch ihr Blick hat sich verändert: ein Hauch von Konzentration, als würde sie innerlich nachzählen. Noch sind es Wochen bis zur Geburt. Aber etwas in ihr weiß längst, dass da Leben ist. Dass es getragen werden will – und geliebt.
What is Love?
Liebe – ein Gefühl, das jeder kennt und doch niemand ganz erklären kann. Ist sie Chemie oder Schicksal? Berechnung oder Rätsel? Ein Impuls oder eine Entscheidung? In unserem Wurftagebuch erkunden wir die Liebe in all ihren Facetten – von der ersten Nachricht in einer Dating-App bis zum letzten Versprechen eines gemeinsamen Lebens. Vielleicht findest du dich wieder. Vielleicht entdeckst du eine neue Art, über Liebe nachzudenken. Vielleicht zeigt sich die Wahrheit irgendwo zwischen den Zeilen.
© Johannes Willwacher