Die sechste Trächtigkeitswoche: Über Hunger und Hormone. Über Körper, die längst wissen, was zu tun ist – und über Gefühle, die keiner Erklärung bedürfen.

Er konn­te nicht sagen, wann es begann. Viel­leicht, als ihre Fin­ger das ers­te Mal aus Ver­se­hen sei­ne Hand streif­ten. Oder als er eine Woche nach ihrem ers­ten Tref­fen ihren Geruch in sei­nem Kopf wie­der­fand, als wür­de er sie immer noch in den Armen hal­ten. Er wuss­te nur, dass er in ihrer Nähe nicht atmen konn­te, ohne ein wenig schnel­ler zu atmen, dass sein Herz schnel­ler schlug, wenn ihr Name auf sei­nem Han­dy auf­leuch­te­te. Es fühl­te sich nicht an wie Lie­be. Es fühl­te sich an wie ein Befehl sei­nes Kör­pers, dem er nicht wider­spre­chen konnte.

Es gab Momen­te, in denen er spür­te, dass sein Kör­per längst ent­schied, bevor er es selbst tat. Wenn sie ihn ansah, war da die­ses leich­te Flim­mern, ein Zie­hen hin­ter den Rip­pen. Sei­ne Hän­de wur­den warm, sein Mund tro­cken. Er woll­te es weg­at­men, doch statt­des­sen nahm es zu, als wäre sein gan­zer Kör­per dar­auf pro­gram­miert, auf sie zu reagie­ren. Wochen spä­ter las er irgend­wo, dass Dopa­min das Beloh­nungs­sys­tem akti­viert, dass Oxy­to­cin eine Bin­dung schafft, dass Adre­na­lin die Haut krib­beln lässt. Er frag­te sich, ob es das war – eine Ket­ten­re­ak­ti­on aus Signa­len, aus­ge­löst von etwas, das er nicht steu­ern konnte.

»Ich kann nicht anders«, sag­te er ein­mal, als sie frag­te, war­um er immer noch da war. Sie lächel­te, als hät­te sie die Ant­wort schon längst gewusst.

Manch­mal ist Lie­be ein Wort, das noch nicht aus­ge­spro­chen wur­de. Ein Herz­schlag, so lei­se, dass er kaum wahr­ge­nom­men wird. Ein Blick, der sich abwen­det, weil er noch nicht sicher ist, ob er blei­ben darf. In die­sem frü­hen Sta­di­um ist das Leben noch ein Geheim­nis, eine Ahnung, die nur in Frag­men­ten exis­tiert. Aber selbst die lei­ses­ten Ver­spre­chen for­men die Welt, noch bevor sie gehört wer­den. Der Beginn einer Liebesgeschichte.

Man­ches ver­än­dert sich, ohne dass wir es bewusst steu­ern. Das trifft auch auf die Hün­din zu, deren Kör­per längst damit begon­nen hat, sich auf das Wachs­tum der Wel­pen umzu­stel­len. Ein Befehl aus dem Inners­ten, Hor­mo­ne, die ihren eige­nen Plan ver­fol­gen. Pro­ges­te­ron, das hung­rig macht. Der Appe­tit der träch­ti­gen Hün­din steigt und treibt sie an – nicht für sich selbst, son­dern für das Leben, das in ihr her­an­wächst. Jede Mahl­zeit ist mehr als Nah­rung. Ein Hor­mon­rausch mit stän­di­gem Nach­schlag, der sicher­stellt, dass nie­mand hier zu kurz kommt. Sie frisst für zwei. Oder acht. Oder so vie­le, wie ihr Kör­per beschlos­sen hat, ohne sie vor­her zu fragen.

Auch wir haben uns Fra­gen gestellt. Über die Füt­te­rung. Seit über zehn Jah­ren stand bei uns das­sel­be pro­te­in­rei­che Fut­ter für träch­ti­ge Hün­din­nen und Wel­pen auf dem Spei­se­plan. Doch zuletzt haben wir bemerkt, dass es nicht mehr so gut ver­tra­gen wird. Ein hoch­wer­ti­ges Fut­ter soll­te für ein gesun­des Wachs­tum sor­gen. Und Durch­fäl­le – selbst, wenn sie nur gering­fü­gig sind – sind alles, aber ganz bestimmt nicht gesund. Des­halb haben wir schon vor der Bele­gung ent­schie­den, es dies­mal mit einem ande­ren Fut­ter zu ver­su­chen. Einem, das der Hün­din und den Wel­pen glei­cher­ma­ßen bekommt. Und wer sich den Bauch der Hün­din anschaut, der sich in der sechs­ten Träch­tig­keits­wo­che immer deut­li­cher run­det, kann gar nicht anders, als zuzu­stim­men: Das war kei­ne schlech­te Entscheidung.

Kar­ma wirkt zufrie­den, fast ein wenig stolz – als hät­te sie selbst ent­schie­den, was auf den Spei­se­plan gehört, und als wüss­te sie längst, dass alles gut wer­den wird.

What is Love?

Lie­be – ein Gefühl, das jeder kennt und doch nie­mand ganz erklä­ren kann. Ist sie Che­mie oder Schick­sal? Berech­nung oder Rät­sel? Ein Impuls oder eine Ent­schei­dung? In unse­rem Wurf­ta­ge­buch erkun­den wir die Lie­be in all ihren Facet­ten – von der ers­ten Nach­richt in einer Dating-App bis zum letz­ten Ver­spre­chen eines gemein­sa­men Lebens. Viel­leicht fin­dest du dich wie­der. Viel­leicht ent­deckst du eine neue Art, über Lie­be nach­zu­den­ken. Viel­leicht zeigt sich die Wahr­heit irgend­wo zwi­schen den Zeilen.

© Johannes Willwacher