Die erste Mahlzeit, die man Welpen anbietet, muss nicht unbedingt in einem irdenen Töpfchen serviert werden, um es dem märchenhaften Brei gleich zu tun …

When I used to read fairy-tales,
I fan­cied that kind of thing never happened,
and now here I am in the midd­le of one.
– Lewis Carroll

»Töpf­chen, koche«, weist eine alte Frau ein Mäd­chen an und drückt ihr ein irde­nes Gefäß, das viel­leicht eine mit fei­nem Pin­sel auf­ge­mal­te blaue Ran­ke links und rechts der Hen­kel schmückt, in die Hän­de. Das Mäd­chen hat Hun­ger, des­halb macht es gro­ße Augen und denkt an den Brei, den das Töpf­chen kochen wird, dann an die Mut­ter, die mit knur­ren­dem Magen zuhau­se war­tet, und ein wenig freut es sich schon dar­auf, die Mut­ter mit dem Geschenk der Alten zu über­ra­schen. Über dem Kind und der Alten rau­schen die Bäu­me, ein schma­ler Pfad schlän­gelt sich dar­un­ter hin­durch, und wenn die Stim­men des Wal­des für einen Moment schwei­gen, klingt die Mit­tags­glo­cke vom Dorf hin­auf. Mut­ter und Toch­ter leben dort allei­ne – viel­leicht, weil der Vater in den Krieg gezo­gen ist, viel­leicht auch, weil der Geschmack der Vater­freu­den nur halb so süß wie der vom Kuchen der Nach­ba­rin war. »Töpf­chen, steh«, meint die Alte schließ­lich und hebt den Fin­ger, »das bricht den Zau­ber und der Brei hört auf zu quel­len«. Das Mäd­chen bedankt sich, knickst, und als es wie­der auf­schaut ist die alte Frau, so wie es Mär­chen wol­len, längst verschwunden.

Der Brei tut was? Er quillt und quillt und quillt …

Der Rest der Geschich­te ist schnell erzählt. Das Mäd­chen eilt zurück ins Dorf, erzählt der Mut­ter was sich im Wald ereig­net hat und bei­de lei­den von da an nie mehr Hun­ger: Wann immer es im Magen zwackt, wird das irde­ne Gefäß her­vor geholt. Als das Mäd­chen eines Tages nicht zuhau­se ist und die Mut­ter der Hun­ger über­kommt, nimmt die­se das Töpf­chen selbst zur Hand und sagt, so wie sie es ihre Toch­ter hat sagen hören, den Zau­ber auf. Sie isst sich satt, der Brei quillt wei­ter. Sie gähnt und denkt viel­leicht, ein Schläf­chen täte gut. Der Brei tut was? Er quillt und quillt. Als sie end­lich aus­ge­schla­fen ist, thront sie bereits hoch oben auf dem Brei, der sie heim­lich aus dem Bett geho­ben und durch das Zim­mer, über Bän­ke und Stüh­le, zum Fens­ter getra­gen hat. Durch das ver­schmier­te Glas sieht sie, dass der Brei bereits die Dorf­stra­ße hin­un­ter fließt, hier eine Kuh mit sich nimmt, dort einen Bau­ern, und schließ­lich auch ein gan­zes Haus …

Drei Wochen alte Welpen schaffen das schon ganz alleine:
Brei auf dem Boden, Brei in den Haaren, Brei an der Tapete …

Als ich mir vor­hin das Gesicht und die Hän­de waschen will, kommt mir das Mär­chen vom Brei in den Sinn. Ein Blick in den Spie­gel offen­bart, dass ich mich bereits mit­ten­drin befin­de: Rund um mei­ne Augen mil­chi­ges Gespren­kel. Kopf­schüt­telnd lache ich mei­nem ent­stell­ten Spie­gel­bild zu – viel­leicht eher noch mich selbst dafür aus, den glei­chen Feh­ler ein zwei­tes Mal began­gen zu haben. Die ers­te Mahl­zeit, die man den bis dahin drei Wochen alten Wel­pen anbie­tet, muss nicht unbe­dingt in einem irde­nen Töpf­chen ser­viert wer­den, um es dem mär­chen­haf­ten Brei gleich zu tun. Drei Wochen alte Wel­pen schaf­fen das schon ganz allei­ne: Brei auf dem Boden, Brei in den Haa­ren, Brei an der Tape­te. Wäh­rend ich mir die Hän­de abtrock­ne und beschlie­ße, im Anschluss die Laken ein­zu­sam­meln, die ich vor­sorg­lich im Wel­pen­zim­mer aus­ge­legt hat­te, rol­len sich dort sechs Wel­pen zum Schla­fen zusam­men. »Zufrie­den und satt«, sagt die Alte. Oder der, für den, der es genau neh­men will.

© Johannes Willwacher