19|03|2017 – Vier Wochen alt: Broadmeadows Edge of Glory
19|03|2017 – Vier Wochen alt: Broad­me­a­dows Edge of Glory

Unsere Welpen sind vier Wochen alt – höchste Zeit, um zu überlegen, wer zu welchem Menschen passen könnte: über Entscheidungen und was das Entscheiden gerne schwierig macht.

Der Dach­bo­den ist stau­big und dun­kel, zuge­stellt mit Din­gen, die nie­mand mehr braucht, aus den Schrän­ken riecht es nach Mot­ten­ku­geln, nach hun­dert­jäh­ri­gem Holz aus dem Gebälk, und wäh­rend es unter dem Dach im Dezem­ber so kalt ist, dass jeder Atem­stoß zu einem Win­ter­ge­wit­ter wird, staut sich im August die Hit­ze dar­un­ter. Drei schma­le Fens­ter gehen zur Stra­ße hin­aus, weit oben unter dem Spitz­dach eine win­zi­ge Luke – kaum Licht – und weil selbst das Elek­tri­sche nicht aus­rei­chen will, um jeden Win­kel des Rau­mes zu erhel­len, bleibt vie­les im Schat­ten, man­ches für immer dunkel.

Wenn man als Züch­ter die ers­ten Wel­pen­be­su­cher begrüßt, ist es ein wenig so, wie sich auf besag­tem Dach­bo­den zu bewe­gen: auch wenn man sich bemüht den Raum hell und Ver­bor­ge­nes sicht­bar zu machen, blei­ben es doch immer nur Inseln aus Licht, die man zu sehen bekommt. Hier bleibt das Auge an einem ver­gol­de­ten Stuck­rah­men hän­gen, dort an einem Spie­gel, in dem man sich sche­men­haft selbst erkennt, und wäh­rend man manch eines der wei­ßen Laken lupft, die wie Gespens­ter über den alten Möbeln lie­gen, hofft man instän­dig, dar­un­ter möge sich kein Mons­ter befinden.

19|03|2017 – Vier Wochen alt: Broadmeadows Euphoria
19|03|2017 – Vier Wochen alt: Broad­me­a­dows Euphoria

Ich schät­ze, dass es kaum einen Züch­ter gibt, der nicht von sich behaup­tet, bei der Aus­wahl sei­ner Wel­pen­käu­fer äußerst gründ­lich vor­zu­ge­hen. Jeder züch­tet allein aus Lei­den­schaft, jeder hat Jah­re der Pla­nung inves­tiert, um die best­mög­li­che Ver­paa­rung zu rea­li­sie­ren, jeder zieht sei­ne Wel­pen mit Lie­be und Sorg­falt auf, und wird kaum ris­kie­ren, dass aus einem der Wel­pen, die er acht Wochen lang umsorgt hat, ein Hund wird, dem es wie einem der stock­fle­cki­gen Gemäl­de ergeht, die gemein­sam mit dem übri­gen, unnütz gewor­de­nen Gerüm­pel ihr Dasein auf dem Dach­bo­den fris­ten. Ob dem immer so ist – will hei­ßen: ob Wor­te manch­mal nicht bloß Wor­te sind – sei dahin­ge­stellt, kann ich nur für mich selbst ent­schei­den. Und gera­de das macht die Zeit zwi­schen der drit­ten und fünf­ten Lebens­wo­che zur schwers­ten der Wel­pen­zeit: Ent­schei­dun­gen wol­len getrof­fen wer­den. Wel­cher Wel­pe könn­te zu wel­chem Namen auf der War­te­lis­te pas­sen? Was genau macht die­sen Wel­pen, was die­sen Bewer­ber aus? Wem schenkt man sein Vertrauen?

Der Dach­bo­den ist ein dunk­ler, geheim­nis­vol­ler Ort. Gro­ße und klei­ne Kis­ten sta­peln sich in allen Ecken, die lan­ge schon grau aus­geb­li­che­nen Eichen­die­len knar­ren bei jedem Schritt. Als Kind hät­te man sich gefürch­tet, hät­te Hexen, Wöl­fe und Räu­ber in den Wän­den ver­mu­tet und sich kaum allein, nur mit einer Taschen­lam­pe auf den Boden gewagt. Wenn man zu züch­ten beginnt, meint man ger­ne zu wis­sen, was wo steht und auf wel­che Stol­per­fal­len zu ach­ten ist, muss aber oft­mals erken­nen, was man nicht beach­tet, über­se­hen hat. Wem schenkt man nun also sein Ver­trau­en? Und wer einem sei­nes? Denn auch für den ande­ren ist man – so viel steht fest – für den Augen­blick bloß eines der Din­ge, die dort im Dun­kel zwi­schen den Spinn­we­ben wohnen

In der ver­gan­ge­nen Woche sind eini­ge der besag­ten Ent­schei­dun­gen gefal­len und die ers­ten unse­rer fünf Bor­der Col­lie Wel­pen haben nicht nur ihre Men­schen gefun­den, son­dern auch ihren Ruf­na­men bekom­men. Die übri­gen müs­sen sich noch ein wenig gedul­den, bis auch sie wis­sen, wie ihr Name lau­ten soll.

Ent­schei­den zu müs­sen bedeu­tet aber nicht nur Freu­de, denn lei­der muss­te ich bei die­sem Wurf auch sehr vie­le Träu­me zer­plat­zen las­sen: bei kei­nem unse­rer vor­an­ge­gan­ge­nen Wür­fe haben wir so vie­le Anfra­gen gehabt und so vie­le unglaub­lich net­te Men­schen ken­nen­ge­lernt – das über­wäl­tigt zwei­fels­oh­ne, über­for­dert aber bis­wei­len auch. Man sagt nie­man­dem ger­ne ab, dem man ger­ne sein Ver­trau­en geschenkt, ger­ne einen Wel­pen anver­traut hätte.

© Johannes Willwacher