Foto des Monats: Zoe (Broadmeadows Cheek to Cheek)
Foto des Monats: Zoe (Broad­me­a­dows Cheek to Cheek)

Wie man’s macht, man macht’s verkehrt: was man an einem verregneten Herbstmorgen über sich und andere Hundehalter lernen kann. Oder auch nicht.

Der letz­te Frei­tag im Okto­ber. Es ist kurz vor acht, als ich mir die Lauf­schu­he zuschnü­re. Nell und Zion, bei­de schon in den Geschir­ren, ste­hen unge­dul­dig war­tend in der Tür. Der Mor­gen ist nass und neb­lig, und als ich vor die Türe tre­te, schlägt mir der Wind kalt ins Gesicht. »Wald­run­de«, den­ke ich, zie­he mit der lin­ken Hand die bei­den Fünf-Meter-Lei­nen, die über den schrä­gen Stütz­bal­ken des Vor­dachs hän­gen, her­un­ter, und mit der rech­ten die Tür hin­ter mir zu. Weil mir nicht all­zu viel Zeit bleibt – Dirk wird eine gute hal­be Stun­de spä­ter das Haus ver­las­sen, die bei­den ande­ren Hun­de blei­ben bis zu mei­ner Rück­kehr ohne Auf­sicht zurück –, beschlie­ße ich das Auto zu neh­men, den Wald­park­platz am ande­ren Ende des Ortes, über dem Hüh­ner­hof, anzu­steu­ern, und durch den Wald, an der Kapel­le vor­bei, zur Wachol­der­hei­de zu lau­fen. Vier­zig Minu­ten, viel­leicht, hin und zurück. Das muss reichen.

Nell hat die Schnau­ze durch das Git­ter gezwängt, als wir den Ort hin­ter der Schu­le ver­las­sen, und sieht, kaum dass ich sie ent­deckt habe, die bei­den Gestal­ten, die sich in eini­ger Ent­fer­nung auf der schma­len Stra­ße befin­den, die sich schnur­ge­ra­de den Berg hin­auf bis zum Wan­der­park­platz zieht. Als wir uns bis auf fünf­zig Meter genä­hert haben, erken­ne ich an der einen Gestalt eine bor­deaux­ro­te Regen­ja­cke, die dane­ben trägt kur­zes, dun­kel­brau­nes Fell, das bloß an der Brust durch einen aus­ge­frans­ten, wei­ßen Fleck durch­bro­chen wird. Ein Boxer. Jener wir­belt her­um, als wir nur noch zwan­zig Meter ent­fernt sind, stemmt sich mit sei­nen drei­ßig, vier­zig Kilo Gewicht in die Lei­ne – ich brem­se ab. Im Schritt­tem­po rol­le ich den Wagen bis an die bei­den Spa­zier­gän­ger her­an – sehe, das unter der bor­deaux­ro­ten Kapu­ze vom Wind und Regen zer­zaus­te Haa­re her­vor­lu­gen – und war­te, bis der Hund, der sich noch immer aus Lei­bes­kräf­ten bemüht, unter das Auto zu sprin­gen, beru­higt hat. »Glot­zen sie nicht so blöd«, brüllt es unter der Kapu­ze her­vor – das kann ich selbst gegen den Wind, selbst durch die geschlos­se­nen Schei­ben hören –, und wäh­rend ich mir noch ver­su­che bewusst zu machen, was an mei­nem Ver­hal­ten falsch gewe­sen ist, wer­de ich in der Welt hin­ter dem Schei­ben­wi­scher schon mit hek­ti­schen, for­dern­den Ges­ten – »Gollum! Gollum!« – wei­ter­ge­wun­ken. Ich schütt­le den Kopf, beschleu­ni­ge. Der dun­kel­brau­ne Boxer springt sich dre­hend dem Auto hinterher.

»Statt zu brem­sen und auf dich Rück­sicht zu neh­men, hät­te ich dich und dei­nen Köter natür­lich auch ein­fach über­fah­ren kön­nen«, sage ich zu mir selbst, als ich kurz dar­auf die Wagen­tür zuschla­ge. Eigent­lich möch­te ich viel lie­ber umkeh­ren, das undank­ba­re Kapu­zen­ge­sicht im Nacken packen und in die nächst­bes­te Pfüt­ze drü­cken – weil man das aber immer bloß denkt und nie­mals wirk­lich tut, las­se ich statt­des­sen, noch immer lei­se vor mich hin schimp­fend, die Hun­de raus. »Ist man als Hun­de­hal­ter denn wirk­lich so igno­rant, das immer die ande­ren Schuld haben?«

»Nie­mand ist wirk­lich erwach­sen, bevor er nicht gelernt hat, sich um jemand ande­ren zu küm­mern, als nur um sich selbst«, habe ich irgend­wo ein­mal gele­sen. Wäh­rend ich mit den bei­den Hun­den in schnel­lem Schritt den immer stei­ler anstei­gen­den Wald­weg ent­lang lau­fe – aus dem Unter­holz höre ich das Dröh­nen einer Motor­sä­ge, sonst ist nie­mand unter­wegs –, krei­sen mei­ne Gedan­ken immer wie­der um die Fra­ge, wie viel Ver­ant­wor­tung man über­nimmt, wenn man einem Hund ein Zuhau­se gibt. Oder, wie bei dem über­dreh­ten Boxer: wie viel von der Ver­ant­wor­tung – der Kon­trol­le –, die man eigent­lich über­neh­men müss­te, man sich gar nicht erst bewusst macht, nicht zuver­läs­sig zu hän­deln weiß. Die Fra­ge, ob und wie man eine Hun­de­lei­ne begreift – buch­stäb­lich und im über­tra­ge­nen Sin­ne – steht dabei zwei­fels­oh­ne im Mittelpunkt.

Wenn man es her­un­ter­bricht, dann ist eine Hun­de­lei­ne nichts ande­res als die ein­fachs­te Ver­bin­dung von Mensch und Hund. Sie gibt Schutz und Sicher­heit, lei­tet an und for­dert Auf­merk­sam­keit – gera­de dort, wo der Adre­na­lin­spie­gel zu hoch, das selb­stän­di­ge Den­ken des Hun­des blo­ckiert ist oder die Ver­hal­tens­re­geln, um sich gefahr­los im mensch­li­chen All­tag bewe­gen zu kön­nen, noch nicht ein­ge­übt, nicht aus­rei­chend gefes­tigt wor­den sind. Für vie­le Hun­de sind Jog­ger und Rad­fah­rer eine Her­aus­for­de­rung, bei vie­len wird uner­wünsch­tes Jagd­ver­hal­ten durch ein sich schnell nähern­des Fahr­zeug getrig­gert. Was aber tut der Mensch? Viel zu oft nichts! Viel zu oft wer­den die Signa­le, die der Hund schon lan­ge vor der eigent­li­chen Kon­flikt­si­tua­ti­on aus­sen­det, vom Men­schen über­se­hen – und wird, wie bei dem Boxer, die Lei­ne viel zu spät als Ver­bin­dung begrif­fen. Statt: »Gollum! Gollum!«, heißt es hilf­los: »Zieh und zerr!« Wäre es nicht für bei­de Sei­ten schö­ner und ent­spann­ter, mit mehr gegen­sei­ti­ger Auf­merk­sam­keit unter­wegs zu sein? Und nicht nur für die, son­dern auch für den ent­ge­gen­kom­men­den Jog­ger, Rad- oder Autofahrer?

Als ich ver­schwitzt zurück zum Park­platz gelan­ge, hat sich schließ­lich die Son­ne durch die Wol­ken gekämpft und lugt durch einen sich rasch ver­grö­ßern­den Spalt, der das spär­li­che Herbst­laub rings­um gol­den auf­leuch­ten lässt. Ich selbst las­se die bei­den Hun­de ein­stei­gen, drü­cke jedem noch einen Beloh­nungs­bis­sen in die Schnau­ze, star­te den Motor und wen­de den Wagen. Auf der lan­gen Gera­de vor uns mache ich drei Gestal­ten aus. Beim Näher­kom­men erken­ne ich drei weiß­haa­ri­ge Senio­ren, die – uni­form in beige-brau­ne Parkas geklei­det – mit Wal­king-Stö­cken bewehrt sind, die kleins­te der drei Gestal­ten läuft mit­ten über die Fahr­bahn. Ich über­le­ge kurz, mei­ne Fünf-Meter-Lei­nen anzu­bie­ten, hupe dann aber statt­des­sen. Sicher – machen wir uns nichts vor – ist sicher.

Herbst­lich – aber von der schö­nen Sei­te – war auch das The­ma für das Foto des Monats, an dem sich unse­re Wel­pen­käu­fer im letz­ten Monat ver­su­chen durf­ten. Und ich fin­de – ob nun mit oder ohne Lei­ne – dass ihnen das sehr gut gelun­gen ist.

Foto des Monats: Joey (Broadmeadows Black Diamond)
Foto des Monats: Joey (Broad­me­a­dows Black Diamond)
Foto des Monats: Fly (Broadmeadows Cornflake Girl)
Foto des Monats: Fly (Broad­me­a­dows Corn­fla­ke Girl)
Foto des Monats: Jill (Broadmeadows Edge of Glory)
Foto des Monats: Jill (Broad­me­a­dows Edge of Glory)
Foto des Monats: Twix (Broadmeadows Break on through)
Foto des Monats: Twix (Broad­me­a­dows Break on through)
Foto des Monats: Ella (Broadmeadows Euphoria)
Foto des Monats: Ella (Broad­me­a­dows Euphoria)
Foto des Monats: Nana (Broadmeadows Desert Rose)
Foto des Monats: Nana (Broad­me­a­dows Desert Rose)
Foto des Monats: Bounty (Broadmeadows Dressed for Success)
Foto des Monats: Boun­ty (Broad­me­a­dows Dres­sed for Success)
Foto des Monats: Spencer (Broadmeadows Disco Inferno)
Foto des Monats: Spen­cer (Broad­me­a­dows Dis­co Inferno)
Foto des Monats: Bran (Broadmeadows Cloud Rider)
Foto des Monats: Bran (Broad­me­a­dows Cloud Rider)
Foto des Monats: Elvis (Broadmeadows Empire State of Mind) und Tyrion (Broadmeadows Enter Sandman)
Foto des Monats: Elvis (Broad­me­a­dows Empire Sta­te of Mind) und Tyri­on (Broad­me­a­dows Enter Sandman)
Foto des Monats: Enya (Broadmeadows Emotion in Motion)
Foto des Monats: Enya (Broad­me­a­dows Emo­ti­on in Motion)
Foto des Monats: Ellie (Broadmeadows Celebrity Skin)
Foto des Monats: Ellie (Broad­me­a­dows Cele­bri­ty Skin)
Foto des Monats: Crazy (Broadmeadows Crazy in Love)
Foto des Monats: Cra­zy (Broad­me­a­dows Cra­zy in Love)

© Johannes Willwacher