19|05|2019 – Ellie am (vielleicht) 64. Trächtigkeitstag
19|05|2019 – Ellie am (viel­leicht) 64. Trächtigkeitstag

Alles ist bereit – zumindest, wenn ich mir das Leben in unserem Garten betrachte, in dem gebaut, gebrütet und manches Jungtier aufgezogen wird. Aber sonst?

Das rote Vogel­haus, das wir vor Jah­ren in den alten Zwetsch­ge­n­baum gehängt haben – in eine Ast­ga­be­lung, die schon damals mit wild wuchern­dem Efeu bewach­sen war –, ist ganz unter den grü­nen Ran­ken ver­schwun­den. In den ers­ten Jah­ren haben dort Mei­sen gebrü­tet, die sich von der Gar­ten­bank, auf der ich gera­de mit einer Tas­se Kaf­fee in der Hand sit­ze, gut beob­ach­ten lie­ßen – von der Balz in den ers­ten März­wo­chen, wenn das Männ­chen das Weib­chen mit auf­ge­plus­ter­tem Gefie­der umwarb, über den Nest­bau, der allei­ne vom Weib­chen betrie­ben und mit Federn, Gras­hal­men und fei­nen Äst­chen im Schna­bel von früh bis spät vor­an­ge­trie­ben wur­de, bis zur Auf­zucht, in der es aus dem roten Häus­chen für drei Wochen kaum still zu sein schien. Jetzt bleibt es dort still, zu dicht ist der Bewuchs, die Mei­sen sind anders­wo unter­ge­kom­men. Dafür haben zwei Gim­pel im Efeu ihr Nest gebaut, gut ver­steckt unter dem grü­nen Behang. In den ver­gan­ge­nen Tagen habe ich sie dort immer wie­der flat­tern gese­hen – immer dar­auf bedacht, ihr Ver­steck nicht zu ver­ra­ten, sind sie von einem Ast zum nächs­ten gesprun­gen, und mit einem tro­cke­nen Fich­ten­rei­ser im Schna­bel erst dann hin­ein­ge­flo­gen, wenn ich mich von der Gar­ten­bank erho­ben und die schwe­re Eichen­holz­tür zum Gar­ten bei­na­he hin­ter mir geschlos­sen hat­te. An die­sem Mor­gen sehe ich nur das Männ­chen. Sein rotes Brust­ge­fie­der glänzt in der auf­ge­hen­den Sonne.

Wei­ter unten, unter dem losen Holz­stoß, der seit dem letz­ten Beschnitt der Kirsch­bäu­me ver­geb­lich dar­auf war­tet, gehackt und geschich­tet zu wer­den, hat sich eine Gar­ten­spitz­maus ein­ge­nis­tet. Unter Tot­holz, Laub und Moos ver­bor­gen, fällt das Wurf­nest nicht wei­ter auf – allein die Nasen der Hun­de haben ver­ra­ten, dass dort jemand ein­ge­zo­gen ist. An Nah­rung dürf­te es dem braun­grau­en Säu­ger kaum man­geln – auch wenn er sich die zahl­rei­chen Schne­cken in unse­rem Gar­ten mit dem Igel tei­len muss, der sein Quar­tier in einem tro­cke­nen Laub­hau­fen hin­ter dem ein­ge­stürz­ten Gewächs­haus gefun­den hat.

Mei­se und Gim­pel, Spitz­maus und Igel – und in den Tan­nen, die an den Gar­ten gren­zen, ein Paar Rin­gel­tau­ben: über­all um uns her­um wird gebrü­tet, berei­tet man sich vor, wer­den Jung­tie­re auf­ge­zo­gen. Bloß im Haus bleibt es ruhig und macht die Hün­din, auf die alle Augen gerich­tet sind, kaum den Ein­druck, als stün­de die Geburt kurz bevor. Ihre Kör­per­tem­pe­ra­tur ist seit Tagen kon­stant, der bei­na­he sehn­süch­tig erwar­te­te Tem­pe­ra­tur­ab­fall, der die bevor­ste­hen­de Geburt ankün­digt, will sich ein­fach nicht ein­stel­len – und auch ansons­ten wirkt Ellie viel eher so, als hät­ten wir noch Tage Zeit. Ich selbst suche nach Erklä­run­gen, rech­ne vom ers­ten Deck­akt bis zum Geburts­ter­min, neh­me den zwei­ten Deck­akt als wahr­schein­li­cher an – und kom­me für mich selbst vor­erst zu dem Schluss, das viel­leicht doch noch drei Tage hin­zu­ge­rech­net wer­den wol­len: das Sper­ma des Rüden bleibt nach dem Deck­akt für etwa 72 Stun­den befruch­tungs­fä­hig, es wäre also immer­hin denk­bar, dass wir – aus­ge­hend vom ers­ten Deck­akt – heu­te gar nicht den vier­und­sech­zigs­ten Tag der Träch­tig­keit schrei­ben, son­dern erst den sech­zigs­ten. Soll­te sich im Lau­fe des Tages nichts ändern, wer­den wir Ellie mor­gen um sicher zu gehen unse­rem Tier­arzt vor­stel­len – bis dahin sit­zen wir im Gar­ten, lau­schen den Vögeln und schau­en Ellie beim brü­ten zu.

© Johannes Willwacher