Gerahmtes Acrylgemälde eines Border Collie Welpen im blühenden Heidekraut, das vor einem blauen Himmel hochgehalten wird
19|07|2023 – Sonic: eines der heu­ti­gen Geburtstagskinder

Ein Hundemärchen über das Kleinreden und Großwerden – für unseren I-Wurf, der heute seinen ersten Geburtstag feiert.

Ein jun­ger Hund lag im hohen Gras, den Kopf zwi­schen den Pfo­ten ver­gra­ben. Um ihn her­um summ­te und surr­te es fröh­lich, er selbst blies aber nur dann und wann einen trau­ri­gen Seuf­zer durch die hän­gen­den Lef­zen. Eine gan­ze Wei­le schon hat­te er dort so gele­gen, als schließ­lich eine grü­ne Rau­pe das Wort an ihn rich­te­te, die auf einen Gras­halm gekro­chen war, der über sei­nem Kopf wippte.

»War­um so trau­rig?«, woll­te die­sel­be von ihm wis­sen. Der jun­ge Hund seufz­te zur Ant­wort bloß. »Über­all grünt und blüht es, und du liegst hier, als wäre dein jun­ges Leben längst welk«, fuhr die Rau­pe fort, »willst du mir nicht ver­ra­ten, was dir wider­fah­ren ist?« Wie­der seufz­te der jun­ge Hund nur, hob dann aber doch zu spre­chen an: »Siehst du die Wei­den, drü­ben hin­term Zaun? Die Kühe, die dort ste­hen, haben mich aus­ge­lacht und gemeint, dass ich es nie zu etwas brin­gen wer­de, weil ich für einen Hund von einem hal­ben Jahr viel zu klein und mick­rig bin«. Lachend ließ sich die Rau­pe von ihrem Gras­halm auf die Nasen­spit­ze des jun­gen Hun­des fal­len, und noch immer lachend ant­wor­te­te sie: »Der Halm, auf dem ich geses­sen habe, ist lang und dünn. Wenn du den Blick senkst, wirst du dar­un­ter aber auch noch einen Wei­te­ren ent­de­cken, der gera­de ein­mal halb so lang ist, obwohl er aus der glei­chen Erde wächst«. Der jun­ge Hund tat, wie ihm gehei­ßen, und schiel­te zuerst den klei­nen, krum­men Halm, dann wie­der die Rau­pe an. »Wenn der Som­mer gekom­men ist«, frag­te die Rau­pe, »wel­cher von bei­den wird dann wohl am statt­lichs­ten sein?« Rat­los schüt­tel­te der jun­ge Hund den Kopf. »Das kann ich, das kannst du nicht sagen, und auch kei­ne Kuh auf der Wei­de«, sag­te die Rau­pe, »ent­schei­den kann das nur die Zeit«.

Gerahmtes Acrylgemälde eines Border Collie Welpen
19|07|2023 – Scot­ty: eines der heu­ti­gen Geburtstagskinder

»Das ist aber noch nicht alles«, gab der jun­ge Hund has­tig zurück. »Kaum, dass ich die Wei­den hin­ter mir gelas­sen hat­te – kaum, dass ich wie­der auf dem Hof ange­langt war –, lug­ten zwei feis­te Schwei­ne aus ihrem Pferch, die sich heim­lich zuwis­per­ten, dass ich es nie zu etwas brin­gen wer­de, weil ich für einen Hund von einem hal­ben Jahr viel zu dünn und häss­lich bin«. Auch dar­auf ant­wor­te­te die Rau­pe wie­der mit einem Lachen: »Der Halm, auf dem ich geses­sen habe, ist lang und dünn. Wenn du den Blick hebst, wirst du dar­über aber auch noch einen Wei­te­ren ent­de­cken, der dicker und flei­schi­ger ist, obwohl er aus der glei­chen Erde wächst«. Der jun­ge Hund tat, wie ihm gehei­ßen, und hob dabei den Kopf so ruck­ar­tig, dass es der Rau­pe nur mit Mühe gelang, sich an Ort und Stel­le zu hal­ten. Keu­chend fuhr sie fort: »Wel­cher von bei­den am Ende der Schöns­te sein wird, kann kein Schwein ent­schei­den. Das kann nur die Zeit«. Und damit ließ sie sich von der Nase des jun­gen Hun­des fal­len. Und verschwand.

Als der Som­mer end­lich gekom­men war, hat­te sich nicht nur die Rau­pe ver­wan­delt. Auch der jun­ge Hund sah ganz ver­än­dert aus. »Geduld ver­leiht Flü­gel«, dach­te die Rau­pe bei sich, wäh­rend sie die­sel­ben stolz spreiz­te. Und spä­ter, viel spä­ter noch – als kein Schwein mehr im Pferch stand und kei­ne Kuh auf der Wei­de – stell­te der jun­ge Hund schließ­lich fest, dass alles Gere­de am Ende nur eines ist: »Wurst!«

Mit den aller­bes­ten Wün­schen – für Kar­ma, Skye, Yuna, Scot­ty, Sonic und Miles.

© Johannes Willwacher