Unsere Border Collie Welpen in der ersten Lebenswoche: über aufgeweckte Bedürfnisse und schlummernde Potenziale – und warum beides noch Zeit und Ruhe braucht.
Between love and madness lies obsession.
Calvin Klein (1993)
Kate Moss ist vierzehn Jahre alt, als sie 1988 am John F. Kennedy Airport von Sarah Doukas angesprochen wird. Die eine hat gerade zwei Wochen auf den Bahamas verbracht – zusammen mit ihrem jüngeren Bruder und ihrem Vater, die Ehe der Eltern ist im selben Jahr geschieden worden –, die andere hat erst kürzlich eine Modelagentur gegründet, von ihrem Schlafzimmer aus. Weil beide sich langweilen und sich das Boarding durch einen Streik der Fluggesellschaften immer weiter verzögert, kommen sie in der Warteschlange ins Gespräch. Kate sitzt auf ihrem Koffer, zuhause in Croydon werden sie zur Hochzeit ihrer Großmutter erwartet. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, Model zu werden?«, fragt die Dreißigjährige schließlich. »Deine Wangenknochen sind bemerkenswert!« Kate kann nicht anders, als lauthals zu lachen. »Ich glaube nicht, dass ich schöner bin, als eines der anderen Mädchen in meiner Klasse«, gibt sie selbstkritisch zurück, »und außerdem bin ich doch viel zu klein«. Von den Mitschülerinnen an der Riddlesdown Highschool wird sie wegen ihrer schiefen Zähne gehänselt, und auch den Lehrern fällt sie nur auf, weil sie mit Dreizehn schon raucht und trinkt. Doukas bleibt beharrlich, und nachdem das Flugzeug endlich abgehoben ist, bittet sie ihren Bruder Simon, das atemberaubende Mädchen erneut anzusprechen, das alleine mit seinem Walkman in der Economy Class sitzt. Kate verspricht, ihre Mutter zu überzeugen, sie zu einem Casting zu begleiten – auch wenn sie fest davon ausgeht, dass diese sie nur auslachen wird.
Vier Jahre später. Zusammen mit Mario Sorrenti – einem Fotografen, den sie 1991 auf einer Party in South Kensington kennengelernt hat – mietet Kate ein Strandhaus auf den Britischen Jungferninseln. Mario fotografiert Kate, so wie es Verliebte nun einmal tun. Sie schläft, trägt seine Unterhosen, hängt die Wäsche auf. Sie duscht, liest und raucht. Sie ist ungeschminkt, ungekämmt und glücklich. Als die beiden zurückkehren, schickt er die Fotos an Calvin Klein, der sich von den intimen Porträts begeistert zeigt. Der Designer engagiert nicht nur Sorrenti als Fotografen, sondern gewinnt auch Kate als Gesicht für sein neues Parfüm: Obsession. Die in grobkörnigem Schwarz-Weiß fotografierte Kampagne macht das neunzehnjährige Model endgültig zum Superstar.
Als ich das Wurfzimmer betrete, liegt Fate mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Kaum aber, dass ich den Rolladen hoch gezogen und den Morgen hereingelassen habe, springt sie auf und mir hechelnd um die nackten Beine herum. Dort, wo sie gelegen hat, ist das Bett nicht bloß zerwühlt. Mitten auf dem fliederfarbenen Laken prangt ein großer, grünbrauner Fleck. Der Lochialausfluss, den jede Hündin in den ersten Wochen nach der Geburt zeigt – abgestorbene Zellen und Reste der Plazenta werden damit ausgestoßen –, ist bei Fate so stark, dass sie kaum einen Schritt tun kann, ohne auszulaufen. »Scheint so, als wäre deine Gebärmutter darauf aus, sich in aller kürzester Zeit zurückzubilden«, sage ich, während ich der Hündin den Kopf tätschle. Dieselbe unterbricht das Hecheln kurz, schaut mich an und ist dann schon zur Tür hinaus. Ich werfe einen kurzen Blick in die Wurfkiste – überzeuge mich, dass alle sechs Welpen satt und zufrieden schlafen –, dann mache ich mich daran, die tröpfelnde Hündin einzuholen.
»Nach der Geburt zeigt auch die Hündin nur die elementarsten Bedürfnisse«, denke ich, als wir wenig später wieder in der Wurfkiste sitzen. Fate hat sich zwischenzeitlich im Garten gelöst und hastig die erste Mahlzeit des Tages gefressen. »Darin sind sich Mutter und Welpen also gar nicht mal so unähnlich.« Blind und taub geboren, verschlafen die Welpen in den ersten beiden Lebenswochen einen Großteil des Tages – kaum mehr, als zwei Stunden sind es, die sie mit Saugen verbringen. Dass sie die Zitzen der Hündin trotz der eingeschränkten Sinneswahrnehmungen selbständig finden können, ist dem Geruchssinn zu verdanken, der es ihnen schon kurz nach der Geburt erlaubt, sich zu orientieren. Auch auf Wärme reagieren die Welpen. Immer wieder sieht man sie in der Wurfkiste zielgerichtet aufeinander zu kriechen. Immer wieder sucht mal dieser oder jener die wärmende Nähe des anderen. Und rein zufällig – vielleicht – auch die des Menschen, der irgendwo zwischen ihnen in der Wurfkiste sitzt.
In den ersten Tagen begnüge ich mich gerne damit, bloß zwischen den Welpen zu sitzen. Ich lasse meine Fingerkuppen über die Rücken der trinkenden Welpen gleiten und halte mal diesen oder jenen in der Hand, gönne den Welpen aber vorerst ihre Ruhe. Trotzdem beobachte ich natürlich. Bemerke Ähnlichkeiten zu früheren Würfen. Zu Merkmalen, durch die sich andere Welpen ausgezeichnet haben. Und weil gleich nach der Geburt für einen kurzen Augenblick auch schon die Vorzüge jedes Welpen aufblitzen – das, was später einmal seine Erscheinung ausmachen wird –, habe ich auch schon erste Überlegungen über mögliche Potenziale angestellt. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, Model zu werden?«, könnte ich also diesen oder jenen Welpen gefragt haben. Allein, dass der Welpe meine Frage noch nicht hören und ich seine Antwort kaum verstehen kann. Aber bis zum alles entscheidenden Casting ist in der ersten Lebenswoche zum Glück auch noch ganz viel Zeit.
© Johannes Willwacher