Unserem G-Wurf zum fünften Geburtstag: wie ein gleichaltriger Familienhund mit ausgewachsener Gelassenheit und wohlwollender Nachsicht seinen Alltag meistert.
Zweifellos hatte Scout, der fünfjährige Border Collie, eine gewisse Gelassenheit entwickelt, die er als Welpe nie besessen hatte. Jetzt, in seinem fünften Jahr, war er das, was man in der menschlichen Welt wohl einen gesetzten Erwachsenen nennen würde. Nicht mehr so jung, um den Alltag seiner Menschen durcheinander zu wirbeln, aber auch noch nicht alt genug, um mit sentimentaler Fürsorge behandelt zu werden. Er war einfach – Scout.
Scout gehörte zur Familie Winslow, und bei den Winslows war es nicht einfach, »einfach Scout« zu sein. Da war Harold, das Familienoberhaupt, der nicht müde wurde zu betonen, dass ein Hund im Grunde nur eine Verlängerung des eigenen Selbstbewusstseins sei. Jeder Hund, so Harold, spiegelte seinen Besitzer wider – er gab das zurück, was man hineingab. Das mag in Harolds Fall nicht unbedingt eine schmeichelhafte Feststellung gewesen sein, denn Scout hatte die Angewohnheit entwickelt, beim Bellen so viel Speichel zu versprühen, dass die Winslows insgeheim den Verdacht hegten, der Hund könnte unbewusst eine Art passiven Protest gegen die familiären Verhältnisse führen.
Dann war da noch Emily, die eigensinnige Teenager-Tochter, die beschlossen hatte, Scout zur »Seele der Familie« zu erklären. Sie schrieb Gedichte über ihn. »Ein Hund kann dir sagen, wer du bist, ohne dass er spricht«, hatte sie einmal gesagt, was der Rest der Familie als eine jener sinnlosen Teenagerweisheiten abgetan hatte, die sie von Emily gewohnt waren. Aber es war auch etwas Wahres daran. Scout war nicht nur ein Hund – er war ein stiller Beobachter des Chaos, das die Winslows begleitete.
Und dann war da natürlich noch Sara, die Mutter der Familie. Eine Künstlerin mit der Seele eines ungebundenen Drachen und dem Verantwortungsbewusstsein einer nassen Socke. Während Harold sich philosophisch über die Bedeutung von Hunden ausließ und Emily ihre Gedichte an die Küchenwand klebte, stellte Sara ihre Staffelei im Wohnzimmer auf – und dort blieb sie in der Regel dann auch stehen, umgeben von großen und kleinen Farbtöpfen, die sich wie ein bunt getupfter Hindernisparcours über das Parkett zogen. Eine besondere Schwäche hatte sie für abstrakte Portraits von Scout, die sie dann stolz als »studierte Einsichten in die Hundeseele« betitelte, obwohl sie vielmehr an explodierte Kaffeeflecken erinnerten. Ein Bild zeigte ihn als Wolke, ein anderes als dichtes Gespinst aus Linien, die sich kreuz und quer über die Leinwand zogen, als hätte Scout selbst den Pinsel geführt. »Das ist seine Energie«, erklärte Sara. Die Familie hatte schon lange aufgehört, nachzufragen.
Für Sara war Scout nicht nur ein Hund, sondern ihre Muse. »Er hat diese Aura«, sagte sie, während sie über einem Bild von Scout brütete, das die anderen Familienmitglieder beiläufig an einen mit Speichel überzogenen Tennisball denken ließ. »Eine innere Ruhe, die ich in Farbe fassen muss.« Die anderen Winslows hatten sich längst damit abgefunden, dass Saras’ Kunstprojekte häufig auf unverständliche Art und Weise endeten, aber immerhin machte sie keinen Lärm dabei. Im Gegensatz zu Scout, wenn er seinen Protest in Form von lautem, speicheltriefenden Bellen abgab.
In fünf Jahren hatte Scout Dinge gesehen, die bei anderen Hunden wahrscheinlich zu einem Nervenzusammenbruch geführt hätten. Die ständigen Diskussionen über das Chaos in der Garage – ein ewiges Schlachtfeld zwischen Harold und Sara, die von einem eigenen »Kunstatelier« träumte. Oder das Drama um das Familienessen, das nie pünktlich begann, weil Harold noch in die Arbeit vertieft war und Emily beschlossen hatte, ihre Essgewohnheiten der gegenwärtigen Gemütsverfassung unterzuordnen, was die Menüplanung nicht gerade erleichterte. Scout wusste das alles. Hunde wissen mehr, als wir ihnen zutrauen.
Vielleicht hatte er deshalb diese neue Gelassenheit entwickelt, die manchmal mit einer seltsamen Unnahbarkeit verwechselt wurde. Er war ein Hund, der gelernt hatte, nicht jedes menschliche Drama zu seinem eigenen zu machen. Wenn die Familienmitglieder sich um ihn herum zankten, rollte er sich auf dem abgewetzten Perserteppich zusammen und tat so, als wäre er taub. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass der Streit von heute meistens der gescheiterte Versuch war, den Streit von gestern zu verdrängen.
Das war es, was einen fünfjährigen Hund ausmachte: Nicht nur das Wissen um seine Rolle in der Familie, sondern auch die stille Anerkennung, dass er Teil eines größeren, oft chaotischen Systems war, in dem er zwar eine zentrale, aber letztlich machtlose Position einnahm. Denn was konnte ein Hund schon tun? Bellen, ja – aber würde das wirklich helfen? Würde Sara dadurch plötzlich Verantwortung übernehmen? Würde Emily aufhören, ihr Gefühlsleben in Gedichten zu entwirren?
Vielleicht nicht. Und so tat Scout das, was ein weiser Hund tut: Er fand die Balance zwischen dem Bedürfnis, da zu sein, und dem Wissen, dass es Momente gab, in denen es besser war, sich in seine Hundehütte zurückzuziehen – metaphorisch gesprochen.
Und noch etwas anderes hatte Scout inzwischen gelernt. Er hatte verstanden, dass sich seine Ruhe auf die anderen Familienmitglieder übertragen ließ. Ganz einfach, indem er da war. Manchmal, wenn Harold nach einem langen Arbeitstag neben ihm saß und seufzte, legte Scout seinen Kopf auf seinen Schoß, um ihn zu beruhigen. In diesen Momenten verstand Harold, dass es mehr im Leben gab als Arbeit. Und wenn Emily über ihren Gedichten brütete, war Scout immer da, um zuzuhören – vielleicht der Einzige, der ihre Worte wirklich verstand. Besonders die Gedichte, in denen sie heimlich über Harper schrieb, das Mädchen aus ihrer Klasse, das so klug und selbstsicher wirkte, aber für Emily unerreichbar schien. Scout bemerkte, wie ihre Hand ein wenig zitterte. Ein Zittern, das er nur dann spürte, wenn Harper sich in Emilys Gedanken schlich – Hunde haben ein feines Gespür für solche Dinge. Doch Scout war nicht nur für Vater und Tochter da. Auch Sara, die mit mehr Enthusiasmus als Technik an ihren Kunstwerken arbeitete, glaubte oft, in Scouts Blick eine stille Zustimmung zu sehen. »Wenn der Hund mein Genie begreift, wird es doch auch noch ein Kritiker begreifen!« Aber seien wir mal ehrlich: wieviel Kunstsinn konnte ein Hund schon besitzen?
Scout war ein Hund, der Geheimnisse in sich trug. Mehr als sein Körpergewicht an Geheimnissen. Fünf Jahre waren genug, um das zu lernen. Aber er war auch ein Hund, der gelernt hatte, dass Liebe oft darin bestand, still neben dem Menschen zu liegen, wenn die Welt um ihn herum in sich zusammenbrach. Er wusste, dass seine bloße Anwesenheit mehr bedeutete, als die Winslows vielleicht bemerkten.
Ja, das Leben war nicht immer leicht. Und genau genommen war er als Hund geboren worden, nicht als vierbeiniger Therapeut. Aber auch, wenn das Leben inmitten dieses Sturms aus Farbtöpfen, Gedichten und Überstunden manchmal chaotisch war, wusste Scout, dass er genau dort war, wo er sein sollte – und das war mehr als genug.
Ob es euch – Runa, Gethsi, Gucci, Digger, Fire und Ghost – mit euren Menschen an manchen Tagen ähnlich ergeht? Das könnt wohl nur ihr selbt beantworten. Feststehen dürfte allerdings, dass ihr mit fünf Jahren die Zeit des jugendlichen Überschwangs hinter euch gelassen habt – und bei dem einen oder anderen vielleicht sogar schon die Reife des Erwachsenen überwiegt. Bei denen von euch, die nach ihrem Vater kommen, möchte ich das zwar bezweifeln – schließlich ist Zion mit seinen beinahe zwölf Jahren im Herzen noch immer ein ungestümer Jungspund –, aber so weit ich mich entsinne, hatten wir das ewig Jugendliche um seinen fünften Geburtstag auch längst als gegeben akzeptiert.
Euch deshalb zu eurem fünften Geburtstag die allerbesten Wünsche – und den Menschen, die zu euch gehören, den allerschönsten Dank!
© Johannes Willwacher