Unserem J-Wurf zum ersten Geburtstag: über die Zeit und das Warten – und warum beides die Beziehung von Mensch und Hunden formt, so wie das Licht den Schatten.
Ich liege zusammengerollt am Fußende des Bettes. Noch schläft der Tag, schlafen die Menschen, und die Welt scheint stillzustehen. Alles ist ruhig. Nur zwischen meinen Ohren kribbelt es. Ich könnte aufstehen, könnte zum Bett laufen und meinen Kopf auf das Kissen legen, könnte so lange und laut atmen, bis einer die Augen aufschlägt. Ich weiß aber, dass ich nicht zu ihnen hinauf darf, weiß, dass ich warten muss. Ein Jahr, haben sie gesagt. Ein ganzes Jahr. Aber was bedeutet das? Ein Jahr, zwei, zehn?
Was Zeit wirklich ist, weiß ich nicht. Für mich ist sie kein Zifferblatt, keine Spirale aus Zahlen und Tagen. Sie schimmert in der Luft, fließt durch den Raum, verwebt sich mit den Bewegungen des Lichts, das jetzt langsam durch den Spalt der Vorhänge sickert. Ein Jahr, zwei Jahre – das bedeutet nichts. Oder doch? »Ein Jahr«, sage ich leise. Aber da ist niemand, der mich hören kann. Nur mein Schatten spitzt aufmerksam die Ohren. »Ein Jahr ist doch nichts«, antwortet mein dunkles Abbild schließlich beiläufig. »Ein Jahr ist nur eine andere Art, das Warten zu messen.«
»Warten auf was?«, frage ich. »Auf alles«, sagt mein Schatten, »oder auf nichts.« Ich habe gelernt, zu warten, in der Dunkelheit zu liegen, bis sich die Welt wieder in Bewegung setzt. Aber ein Jahr? Ein Jahr fühlt sich an wie der Wind, der die Blätter aufwirbelt und mit ihnen spielt, nur um sie wieder fallen zu lassen. Unaufhaltsam. Immer in Bewegung. Ziellos. »Ist es das, worauf ich warte?«, frage ich den Schatten.
»Das weißt du schon«, gibt er zurück. »Du wartest nicht auf den Morgen. Du wartest darauf, dass die Zeit wieder zu fließen beginnt. In der Nacht, wenn die Menschen schlafen, ist die Zeit fast verschwunden.« Ich schaue auf die Vorhänge, sehe, wie sich das erste Licht des Tages wie ein neugieriges Kind durch den Spalt zwängt. »Du wartest auch«, murmle ich.
»Natürlich«, sagt der Schatten. »Auch ich messe die Zeit. In der Art, wie ich mich verändere, mich strecke, zusammenziehe, immer abhängig von dir und dem Licht.« Es raschelt unter den Laken. »So wie du jede deiner Veränderungen nur durch deine Menschen verstehst«, fährt der Schatten fort, »durch ihre Blicke, ihre Berührungen, ihr Lachen und ihre Worte, brauche ich dich, um mich selbst zu verstehen. Und schau, wie sehr du dich in diesem einen Jahr verändert hast! Bist du noch der gleiche Hund, wie vor einem Jahr? Ich glaube nicht. An dem, der du durch deine Menschen geworden bist, mag zwar noch immer ein wenig von dem hängen, der du einmal warst – beinahe so, wie ich an jedem deiner Schritte hänge –, aber mit jedem Tag wirst du ein wenig mehr von zu ihrem Hund. Du bist nicht nur Teil ihrer Welt, sie sind auch Teil deiner Zeit«
Ich denke darüber nach, was mein Schatten gesagt hat. Die Menschen, ihre Schritte, ihre Stimmen, ihre Händen – sie formen nicht nur mich, sie formen auch die Zeit. Wenn sie den Raum betreten, beginnt alles zu fließen. Ihre Nähe macht das Warten lebendig. Vielleicht ist es das, was ein Jahr bedeutet: die Momente, die ich mit ihnen geteilt habe, die Augenblicke, in denen sie mir gezeigt haben, was es heißt, hier zu sein, jetzt zu leben. Sie sind die Uhr, die die Zeit für mich misst.
Ein leises Seufzen, dann das Knarren des Bettes. Ich hebe den Kopf, und wieder kribbelt es zwischen meinen Ohren. Das Warten ist vorbei. Die Schritte, die ich so gut kenne, bringen den neuen Tag, und mit ihm kehrt die Zeit zurück, lebendig und vertraut. Es sei mein erster Geburtstag, haben sie gesagt, ein Jahr sei vergangen. Ein Jahr – das größte Geschenk. Denn in jedem Augenblick mit ihnen liegt ein ganzes Leben.
Ein Jahr schon! Lasst euch feiern: Arko, June, Milo, Joey, Nina, Juju und Jax!
© Johannes Willwacher