Ida’s erster Geburtstag – ein Wintermärchen ganz ohne Schnee. Oder zumindest: Ohne echten …
Als du geboren wurdest, waren Wald und Wiesen tief verschneit. Dicht an deine Mutter gedrückt verschliefst du die ersten Wochen – nur um dann und wann aufzuwachen, dem Hunger folgend, und dich noch ein wenig tiefer in das wärmende Fell zu graben. Was magst du gedacht haben als die Augenschlitze, so gut und fest verschlossen, sich zögerlich öffneten und offenbarten, dass hinter dem Herzschlag deiner Mutter eine ganze Welt – zuerst noch milchig trüb – darauf wartete entdeckt zu werden? Streichelnde Hände, Spielzeug – und Schnee? Weit, ganz weit, hattest du die kleinen Augen aufgerissen – mehr erstaunt, als entsetzt – als du den ersten Schritt in die Welt vor dem Fenster wagtest, immer mutig voran. Du bliebst ganz ruhig, während deine Brüder winselten und jaulten, und stecktest deine Nase noch ein wenig tiefer in das glitzernde, weiße Unbekannte …
Vor einigen Wochen fiel der erste Schnee. Leise Flocken, die sich flüsternd eine Schlafstatt suchten – nur wenige erst, dann polterte es aus sturmschwangeren Wolken. Du hattest das Gewitter lange vor mir gehört, das Grollen und Knurren, und deine Nase keck in den Wind gehalten, der die Flocken wild, wie aus tausend Federbetten, tanzen ließ. Weit, ganz weit hattest du die Augen aufgerissen – mehr entsetzt, als erstaunt – deine Zähne noch immer tief in das weiche Federbett vergraben, als sich die Tür zum Schlafzimmer öffnete. Federn, fein und weiß, stieben durch den Spalt und mir ins Gesicht. »Man verpasst so viel, wenn man keine Hunde hat«, dachte ich, während ich dem handtellergroßen Loch in meiner Bettdecke mit Nadel und Faden zu Leibe rückte. Frau Holle unterdes drückte beide Augen zu: Nichts sehen, nichts hören – nichts gewesen.
Zwölf Monate, ein ganzes Jahr. Dein erster Geburtstag muss ohne Schnee auskommen. Statt seiner tut es vielleicht auch ein vierstimmiges Staubsaugerkonzert – und ein seifiges Staccato von Sprühflaschen. So wie die Liebe zum Schnee, scheint dir jene zu jeder Art von Putzgerät wohlweislich in die Wiege gelegt worden zu sein – schon als Welpe verfolgtest du mit wachem Blick jeden Schritt, den die Frau auf der anderen Seite des Gitters mit Schwammtuch, Schrubber und Staubsauger tat. »Ein ordentliches Mädchen«, sagte diese Frau, deine Züchterin. Alles, was ich mir wünschen konnte – freundlich, freudig, aufmerksam – sage ich. Ein Schneekönig, wer dich hat.
© Johannes Willwacher