Edda wacht auf, weil sich hinter ihr etwas bewegt. Als sie nachschauen will und den Kopf dreht, sind es zuerst weizenblonde Locken, die sie erblickt, dann eine schwarz glänzende Nase, die sich zuckend in das Fell an ihrem Rutenansatz gräbt. Würde der Schlaf ihr nicht noch immer in den Gliedern sitzen, hätte sie wohl längst gegen die Zudringlichkeit der anderen Hündin aufbegehrt und dieser unmissverständlich zu verstehen gegeben, warum man schlafende Hunde nicht wecken soll – oder, ganz ohne Ausschmückung und andere Umschweife, ein wenig geknurrt und dann zugeschnappt. Weil es aber zumindest noch zwei Pfoten sind, mit denen sie im Traumland einer fetten Tigerkatze hinterhersetzt, belässt sie es dabei die Augen zu verdrehen und – indem sie den Kopf kurz anhebt – die Zähne zu blecken. Dass sich der weizenblonde Terrier davon kaum beeindruckt zeigen und die Nase gleich wieder in ihrem Fell versenken würde, hätte sie sich denken können müssen, denn Terrier sind – so viel hat Edda in drei Jahren des Zusammenlebens gelernt – durch kaum etwas wirklich zu beeindrucken. Als die fremde Nase sich aber noch tiefer wühlt, reißt ihr schließlich der Geduldsfaden und sie knurrt: »Kannst du mir mal verraten, was du da machst?«
Ohne aufzuschauen schnüffelt Joy weiter. »Du weißt doch wie das ist, Liebes«, klingt es dumpf zwischen Eddas Hinterläufen hervor, »wenn ich schwanger bin, dann bin ich immer so juckig«.
Edda legt den Kopf schief. Dass die ältere Hündin dazu neigt, zweimal jährlich so zu tun, als sei sie guter Hoffnung, ist ihr hinlänglich bekannt – denn während es ihr an den meisten Tagen gelingt, das blonde Gift geflissentlich zu ignorieren, ist Joy während ihrer Trächtigkeiten so allgegenwärtig, das wirklich niemand sie übersehen, geschweige denn überhören kann. »Wer schwanger ist, ist juckig und jault«, denkt Edda also. Was es aber wirklich bedeutet, schwanger zu sein, weiß sie nicht – und auch weil die erträumte Tigerkatze vermutlich längst entkommen ist, entschließt sie sich, dem kurzerhand auf den Grund zu gehen: »Wie ist das denn so, schwanger zu sein?«
Mit gespitzten Ohren schreckt Joy zwischen den schokoladenbraunen Schenkeln auf. »Zuerst einmal«, sagt sie und schaut Edda durchdringend an, »zuerst einmal ist dir immer schlecht und nichts, das man dir vorsetzt, ist gut genug«.
»Wirklich gar nichts?«, will Edda neugierig wissen.
»Nein, gar nichts«, antwortet Joy und trippelt langsam um Edda herum, »selbst, wenn du eigentlich Hunger hast, bekommst du keinen Bissen herunter«.
»Ist das denn bei allen Hündinnen so?«, fragt Edda.
»Vielleicht nicht bei allen, aber doch bei den meisten«, sagt Joy und leckt sich die Pfoten, »die wenigsten halten das aber wirklich lange durch. Ich habe es einmal auf ganze fünf Tage gebracht und das Essen dabei nicht einmal angeschaut«.
»Dann bin ich ja beruhigt«, sagt Edda, »ich könnte nämlich immerzu essen«.
»Wieso solltest du denn auch schwanger sein?«, lacht Joy.
Edda grinst. Nicht jedes Geheimnis muss geteilt werden.
Im Lauf der vierten Trächtigkeitswoche lässt sich bei vielen Hündinnen ein glasiger, zäher Ausfluss beobachten, der ausschließlich dann auftritt, wenn die Embryonen sich erfolgreich in der Gebärmutter einnisten konnten, und der als sicherstes Zeichen einer erwarteten Trächtigkeit gilt. Auch ist oftmals ein erstes Anschwellen der Milchdrüsen der Hündin zu beobachten – die Zitzen werden rosig und richten sich sichtbar auf. Zum Ende der Embryonalperiode sind die Früchte etwa einen Zentimeter groß. In den Grundzügen ist bereits die endgültige Körperform erkennbar, die lebenswichtigen Organe sind angelegt und das Herz hat begonnen zu schlagen. Da die Föten in diesem Stadium sehr anfällig sind und eine Vielzahl angeborener Defekte hier ihren Ursprung findet, sollte der Hündin besonders viel Ruhe gegönnt werden.
© Johannes Willwacher