22|06|2017 – Selbst­por­trait mit Bor­der Collie

100 Fotos – und die Frage, welches Foto gut und welches unverzichtbar ist. Über die Hundefotografie, fotografische Regeln, Border Collies und Füchse auf dem Feld.

»Sechs Uhr ist eine gute Zeit für Füch­se«, den­ke ich, als ich mit den Hun­den die Spit­ze des Hügels erreicht habe und kurz ste­hen blei­be, um Luft zu holen. Der Blick ist weit, die Luft klar, nur weit unten im Tal hat sich der Früh­ne­bel in den Baum­kro­nen fest­ge­fres­sen. Gleich vor uns grenzt an die Wei­de­flä­chen ein Mais­feld an, das sich – so weit ich schau­en kann – vom lin­ken bis zum rech­ten Rand mei­nes Blick­felds erstreckt, und aus dem ein Jung­fuchs nach dem ande­ren her­aus­ge­sprun­gen kommt. Zehn, viel­leicht auch fünf­zehn der roten, spitz­oh­ri­gen Tie­re mache ich auf der noch tau­nas­sen Wie­se aus – die Hun­de haben von dem früh­mor­gend­li­chen Trei­ben nichts mit­be­kom­men, schnüf­feln noch immer ver­son­nen am Weges­rand –, nur ich schaue und ärge­re mich schließ­lich, dass die Kame­ra zur Mor­gen­run­de zuhau­se geblie­ben ist. »Das bes­te Foto«, den­ke ich und wer­fe den spie­len­den Füch­sen einen letz­ten Blick zu bevor es wei­ter geht, »das bes­te Foto ist immer das, das man nicht gemacht hat«.

18|06|2017 – Ida
18|06|2017 – Ida

Fünf Regeln
für bessere Hundefotos

No. 1
Begib dich auf Augenhöhe!

Wer mit der Kame­ra wort­wört­lich von oben auf sei­nen Hund her­ab­schaut, kom­mu­ni­ziert auch genau das. Also: auf die Knie!

Der Gedan­ke, wel­ches Foto gut und wel­ches unver­zicht­bar ist, beschäf­tigt mich auch noch drei Stun­den spä­ter, als ich auf dem Weg zur Arbeit – die drei erwach­se­nen Hun­de ver­schla­fen nach der aus­gie­bi­gen Mor­gen­run­de ger­ne den Vor­mit­tag, wer­den über­dies bloß bis zum Mit­tag allei­ne blei­ben müs­sen – aus dem Fens­ter des 9-Uhr-Zuges nach Frank­furt schaue. Auf der gegen­über­lie­gen­den Gang­sei­te sind zwei Asia­ten ins Gespräch ver­tieft – Japa­ner, mut­ma­ße ich, nicht zuletzt, weil der Zufall zwei prot­zi­ge Digi­tal­ka­me­ras auf dem Tisch plat­ziert hat, der sich zwi­schen bei­den befin­det. Ich male mir aus, was die Spei­cher­kar­ten ent­hal­ten, sehe zuerst den unter­setz­ten, älte­ren Rei­sen­den am Ufer der Heren­gracht ste­hen, eini­ge unschar­fe und ver­wa­ckel­te Auf­nah­men baro­cker Stadt­pa­läs­te fol­gen, dann den Jün­ge­ren am Fuß des Köl­ner Doms – Etap­pen, die der Zug auf dem Weg zum Frank­fur­ter Haupt­bahn­hof nimmt –, und schließ­lich die Alt­stadt, den Römer und die Pauls­kir­che, immer mit einem lächeln­den Japa­ner davor. »Viel anders«, den­ke ich und muss unfrei­wil­lig grin­sen, »so wirk­lich anders sähen mei­ne Fotos wohl auch nicht aus«. Nur das auf mei­nen, statt des dau­er­lä­cheln­den Rei­se­ge­fähr­ten, auf jedem ein Hund zu sehen wäre.

24|06|2017 – Love is in the air
24|06|2017 – Love is in the air

No. 2
Achte auf den Hintergrund –
weniger ist mehr!

Die Umge­bung soll­te die Bild­aus­sa­ge unter­stüt­zen. Das Zusam­men­spiel von Schär­fe und Unschär­fe, die Far­ben, der Bild­aus­schnitt und die Hori­zont­li­nie soll­ten des­halb immer bedacht wer­den, bevor der Aus­lö­ser gedrückt wird.

Seit der Erfin­dung der Foto­gra­fie wur­den geschätz­te vier Bil­lio­nen Fotos gemacht. Heu­te ent­ste­hen allein in zwei Minu­ten mehr Fotos als im gesam­ten 19. Jahr­hun­dert, wer­den pro Sekun­de mehr als 3.000 Bil­der auf Face­book hochgeladen.

Wie vie­le sich davon dem Hund wid­men – dem gro­ßen, klei­nen, schla­fen­den, sprin­gen­den, sein Geschäft ver­rich­ten­den oder schlicht­weg zwi­schen rot blü­hen­dem Mohn, gold­gel­ben Wei­zen­äh­ren oder inmit­ten von auf­ge­türm­tem Spiel­zeug sit­zen­den Hund – ist mir zwar nicht bekannt, ich weiß aller­dings, dass ich selbst einen nicht unbe­deu­ten­den Teil dazu bei­getra­gen habe. Aber: wer will, nein, wer soll sich das alles noch anschauen?

05|08|2017 – Morgenrunde auf dem Rothaarsteig
05|08|2017 – Mor­gen­run­de auf dem Rothaarsteig

No. 3
Fokussiere auf die Augen –
achte auf die Blickrichtung!

Das schöns­te Hun­d­e­por­trait ist ver­saut, wenn die Augen unscharf sind. Ist so! Schaut der Hund nicht in die Kame­ra, dann fol­ge sei­nem Blick und gib ihm Raum.

Man könn­te nun her­ge­hen und sagen: was nicht dem Regel­ka­ta­log für ein objek­tiv gutes Foto ent­spricht – denn Regeln kennt auch die Hun­de­fo­to­gra­fie zu Genü­ge – wird gelöscht, augen­blick­lich, muss nie­man­dem gezeigt wer­den. Liegt der Fokus nicht auf den Augen? Weg damit! Ist der Hund unschön ange­schnit­ten, fällt die Pose bloß zu sei­nem Nach­teil aus? Weg damit! Säuft das Schwarz ab oder über­strahlt das Weiß zu sehr? Weg damit! Wer die Regeln kennt, neigt wohl schnell dazu, all jenen, die sich nicht dar­an hal­ten, die foto­gra­fi­sche Daseins­be­rech­ti­gung abzu­spre­chen. Glei­ches gilt für Auf­nah­men, die auf den ers­ten Blick nur noch an eine über­trie­be­ne – und viel­leicht sogar fal­sche – Bild­be­ar­bei­tung, an Fil­ter, Fla­res und Leaks den­ken las­sen, bei denen das Foto hin­ter Effek­ten ver­schwin­det, und ver­sucht wird, nicht bloß das man­geln­de tech­ni­sche Ver­ständ­nis, son­dern auch grund­le­gen­de Feh­ler und Nach­läs­sig­kei­ten durch Retu­sche aus­zu­glei­chen. Aber wür­de man damit nicht jenen, die aus ande­ren Grün­den foto­gra­fie­ren – denen, den es gar nicht um die Foto­gra­fie selbst, nicht um den künst­le­ri­schen Wert, son­dern viel mehr um den geteil­ten Augen­blick, um die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Fami­lie, mit Freun­den und Fol­lo­wern geht – Unrecht tun?

05|08|2017 – Zion
05|08|2017 – Zion

No. 4
Geduld ist alles – freunde dich
mit dem Papierkorb an!

Nicht jede Auf­nah­me gelingt auf Anhieb, nicht jedes Bild einer Serie ist ein Meis­ter­werk. Hat der Hund kei­ne Lust oder die Augen zu, ist er im Bewe­gungs­ab­lauf im fal­schen Moment ein­ge­fan­gen, das Foto unscharf oder ange­schnit­ten: wirf es weg!

300 Mil­lio­nen Men­schen sind täg­lich auf Insta­gram aktiv, mehr als vier Mil­li­ar­den Likes wer­den in den Sozia­len Netz­wer­ken ver­ge­ben – Han­dy­ka­me­ras haben im Zusam­men­spiel mit den sozia­len Netz­wer­ken jeden zum Foto­gra­fen gemacht. Jeder braucht ein Logo und eine Web­site, jeder bie­tet Shoo­tings, Com­po­sings und Col­la­gen an – jeder braucht mehr Reich­wei­te, mehr Auf­merk­sam­keit, mehr Klicks, mehr Aner­ken­nung. Und fragt sich den­noch, ob die Likes den künst­le­ri­schen Wert der eige­nen Auf­nah­men bestä­ti­gen, oder bloß bezif­fern, wie beliebt man ist. Wo vie­le Men­schen zusam­men­kom­men, gibt es schluss­end­lich auch immer vie­le, die kei­ne Ahnung haben – und sich viel stär­ker durch Herz­chen, Likes und net­te Kom­men­ta­re – durch ein sub­jek­ti­ves Emp­fin­den – beein­flus­sen las­sen, als durch objek­ti­ve Qua­li­tät. Ist des­halb viel­leicht jedes Foto gut? Und jedes unverzichtbar?

19|08|2017 – Heidi
19|08|2017 – Heidi

No. 5
Hab Spaß!

Ist der Hund genervt und müs­sen erst dut­zen­de Kom­man­dos ein­ge­setzt wer­den, um den Vier­bei­ner zum Still­sit­zen zu bewe­gen: lass’ es! Du willst doch auch nicht abge­lich­tet wer­den, wenn du gra­de eine Fres­se ziehst.

Die Füch­se. Der Moment …

Die Fra­ge: ob man viel­leicht zu sehr dazu neigt, den Genuss ins Archiv aus­zu­la­gern, die schö­nen Momen­te gar nicht mehr bewusst, son­dern nur durch den Sucher, nur durch ihre Abbild­bar­keit zu genie­ßen? »Zwölf gute Fotos in einem Jahr sind eine gute Aus­beu­te«, soll der US-ame­ri­ka­ni­sche Foto­graf Ansel Adams (1902–1984) gesagt haben. Und irgend­wie hat­te er damit auch voll­kom­men recht.

Ich las­se die Kame­ra mitt­ler­wei­le meis­tens ganz bewusst zuhau­se, wenn ich mit den Hun­den unter­wegs bin. Und mache statt­des­sen die Augen, das Herz, die See­le auf. Das bringt kei­ne Likes, kei­ne Fol­lower und lässt sich viel­leicht mit nie­man­dem tei­len – aber die Hun­de und ich haben so viel mehr davon.

25|08|2017 – Auch mal vor der Kamera: Ida und ich
25|08|2017 – Auch mal vor der Kame­ra: Ida und ich

Unsere Hunde im Sommer:
Meine Lieblingsfotos

© Johannes Willwacher