Die dritte Trächtigkeitswoche: Was blitzt da in Ellies Augen?
Die drit­te Träch­tig­keits­wo­che: Was blitzt da in Ellies Augen?

Über Ekel, guten und schlechten Geschmack, volle Futternäpfe – und Sauce Bernaise. Und was all das mit trächtigen Hündinnen zu tun hat.

»Was schaut sie denn so?«

Wenn ein Mensch ange­ekelt ist, zieht er die Ober­lip­pe hoch, kneift die Augen zusam­men und wen­det den Kopf ab – viel­leicht zieht er außer­dem noch die Nase kraus. Die­sen Aus­druck von Abscheu und Ekel kann man aber nicht bloß beim Men­schen beob­ach­ten, auch Hun­de zei­gen ihn – mal mehr, mal weni­ger deut­lich – und reagie­ren damit auf unan­ge­mes­se­ne Berüh­run­gen oder unbe­kömm­li­che Nah­rung. So lässt sich bei Hun­den auch ein Ekel-Mecha­nis­mus bemer­ken, der in der Psy­cho­lo­gie als »Sau­ce-Ber­nai­se-Syn­drom« bezeich­net wird – ver­ständ­li­cher aus­ge­drückt han­delt es sich dabei um eine kon­di­tio­nier­te Geschmacks­aver­si­on –, und bei dem schon allei­ne der Anblick eines bestimm­ten Lebens­mit­tels genügt, um star­ken Ekel und Unwohl­sein aus­zu­lö­sen. Besag­tes Lebens­mit­tel muss dazu nicht ein­mal unge­nieß­bar oder ver­dor­ben sein, viel­mehr ist es der Zeit­punkt, der ent­schei­det: man isst etwas und wird krank. Die Magen-Darm-Grip­pe, an der man erkrankt ist, hat zwar rein gar nichts mit dem Lebens­mit­tel zu tun, das man zuletzt geges­sen hat, wird aber über das Lern­ver­hal­ten künf­tig mit die­sem ver­knüpft – ich kann des­halb bei­spiels­wei­se bis heu­te kei­ne Bir­nen essen, ohne dass sich mir der Magen auf links dreht. Bei einer Hün­din, die tage­lang um einen vol­len Fut­ter­napf her­um schleicht, jeden Bro­cken kri­tisch beäugt und kaum einen Bis­sen zu sich nimmt, könn­te das ähn­lich aus­se­hen. Nur ähn­lich, weil das Unwohl­sein sei­nen Grund wohl weni­ger im Magen fin­det, als in den Vor­gän­gen, die sich in der drit­ten Träch­tig­keits­wo­che in der Gebär­mut­ter der Hün­din abspielen.

»Warum frisst sie denn nichts?«

In der drit­ten Woche der Träch­tig­keit ist es näm­lich end­lich so weit und die Embryo­nen, die bereits auf eine Grö­ße von etwa sie­ben Mil­li­me­tern ange­wach­sen sind, nis­ten sich in der Gebär­mut­ter­schleim­haut ein: die eigent­li­che Träch­tig­keit beginnt. Gleich­mä­ßig ver­tei­len sich die Embryo­nen in den bei­den Gebär­mut­ter­hör­nern – sind zu vie­le an einem Platz, ster­ben die­se ab und wer­den meist unauf­fäl­lig resor­biert. Bis zum Ende der Embryo­nal­pe­ri­ode in der vier­ten Träch­tig­keits­wo­che wer­den alle wich­ti­gen Orga­ne ange­legt und Ner­ven­strän­ge aus­ge­bil­det, auch die end­gül­ti­ge Kör­per­form ist bereits in ihren Grund­zü­gen zu erken­nen. Da die Frucht­an­la­gen in die­sem Sta­di­um sehr anfäl­lig sind und eine Viel­zahl ange­bo­re­ner Defek­te hier ihren Ursprung neh­men kön­nen, soll­te die Hün­din unbe­dingt geschont und sorg­fäl­tig betreut wer­den – nicht nur kör­per­lich anstren­gen­de Akti­vi­tä­ten sind jetzt zu ver­mei­den, auch Stress und Kon­flik­te mit Art­ge­nos­sen soll­ten aus­ge­schlos­sen wer­den. Aber den wenigs­ten Hün­din­nen wird über­haupt der Sinn danach ste­hen: wer will sich schon groß­ar­tig bewe­gen, wenn ihm – nein, ihr – stän­dig schlecht ist?

»Was hat sie denn bloß?«

Ob Ellie tat­säch­lich tra­gend ist – oder ob sich das mäke­li­ge Fress­ver­hal­ten, das sie seit eini­gen Tagen zeigt, viel­leicht doch nur auf einen ver­stimm­ten Magen zurück­füh­ren lässt, wird der Ultra­schall in der kom­men­den Woche offen­ba­ren. Bis dahin blei­ben unse­re Wel­pen nur eins: ein Fun­keln in Ellies Augen.

© Johannes Willwacher