Fünf Wochen alte Border Collie Welpen
06|11|2019 – Mit den Wel­pen im Garten

Kann ein Blatt winken? Ein Haselstrauch sprechen? Ein Stein singen? Wenn man einen fünf Wochen alten Welpen beobachtet, dann scheint es beinahe so.

Man kann nicht nicht kommunizieren!
Paul Watz­la­wick

Schließ dei­ne Augen und stell dir einen Gar­ten vor. Brom­beer­bü­sche, zwi­schen denen Wild­ro­sen wach­sen, einen Apfel­baum, der mit sei­nem Laub den stei­ni­gen Weg dar­un­ter bedeckt, Ver­blüh­tes und Ver­wil­der­tes in den auf­ge­las­se­nen Bee­ten. Kannst du die feuch­te Erde rie­chen? Die bun­ten Blät­ter im Wind tan­zen sehen? Fühlst du den Regen auf dei­ner Haut? Es wird dir nicht schwer fal­len, das Bild noch wei­ter aus­zu­schmü­cken und dir den Gar­ten in Gedan­ken ganz zu eigen zu machen – nicht nur, weil du schon Unzäh­li­ge gese­hen hast, son­dern auch, weil du bei­na­he jedes Ding beim Namen kennst – begrif­fen hast – und weißt, wie es sich ver­hält. Ein Blatt hängt am Baum, ein Stein liegt am Boden – und selbst wenn du all dei­ne Vor­stel­lungs­kraft bemühst, wird dir weder das eine, noch das ande­re jemals zuwin­ken oder mit dir spre­chen wol­len. Für einen Wel­pen sieht das ganz anders aus.

Der Neu­gier und Unbe­fan­gen­heit, mit der ein Wel­pe in den ers­ten Wochen sei­nes Lebens sei­ne Umwelt ent­deckt, möch­te man ger­ne zuge­ste­hen, dass er alles als belebt, als ihm zuge­wandt begreift. Der Wind heult, das Gras flüs­tert, die Stei­ne sin­gen nur für ihn – und wenn die regen­schwe­ren Stau­den sich über sei­nem Kopf nach unten bie­gen, dann tun sie das nur, um ihn dort drau­ßen zu begrü­ßen. Noch macht das Frem­de dem Wel­pen kei­ne Angst. Noch sind die Ein­drü­cke, die ihn von allen Sei­ten bestür­men, nur über­wäl­ti­gend und schön. Um zu begrei­fen, dass das nicht bloß Behaup­tung ist, braucht es nicht viel. Es genügt, einen Wel­pen dabei zu beob­ach­ten, wie er mit einem satt­grü­nen Hasel­strauch spricht – und schließ­lich freu­dig der stum­men Ein­la­dung folgt, sich eines der Blät­ter von den Ästen zu klauben.

Fünf Wochen alte Border Collie Welpen
08|11|2019 – Mit den Wel­pen im Garten

Die kur­zen Spa­zier­gän­ge, die ich begin­nend mit der fünf­ten Lebens­wo­che mit jedem Wel­pen allei­ne unter­neh­me, ver­fol­gen aber nicht nur den Zweck, ihn mit den Geräu­schen und Gerü­chen unse­rer All­tags­welt ver­traut zu machen und ihn gedul­dig an Gegen­stän­de her­an­zu­füh­ren, die ihm im spä­te­ren Leben womög­lich Angst ein­flö­ßen könn­ten, sie zie­len außer­dem dar­auf ab, mir selbst ein bes­se­res Bild von sei­nen Stär­ken und Schwä­chen zu machen. Wie auf­merk­sam ist sein Blick? Folgt er mir, wenn ich vor­aus­lau­fe, oder len­ken ihn die viel­fäl­ti­gen neu­en Ein­drü­cken noch zu leicht ab? Bemerkt er mei­ne Abwe­sen­heit und beginnt selb­stän­dig zu suchen, oder ver­weilt er hilf­los an Ort und Stel­le, um laut­hals nach mir zu rufen? Wie geht er mit Her­aus­for­de­run­gen um? Gelingt es ihm, sich einem Hin­der­nis umsich­tig zu nähern – einen Weg zu fin­den, ohne dass Hil­fe­stel­lung not­wen­dig ist?

Wäh­rend mich die bei­den erst­ge­bo­re­nen Wel­pen, kaum dass ich sie abge­setzt habe, auf Schritt und Tritt ver­fol­gen, und sich auch der nächst­jün­ge­re Rüde bald schon durch mein Rufen zum Nach­lau­fen anhal­ten lässt, fällt mir bei den drei übri­gen Wel­pen beim ers­ten Spa­zier­gang deut­lich die noch feh­len­de Fokus­sie­rung auf: der Reiz des Unbe­kann­ten ist so groß, dass mein Rufen unge­hört ver­hallt – die Stim­men der Din­ge rufen laut­los noch lau­ter. Beim letz­ten Wel­pen blei­be ich des­halb ver­steckt hin­ter dem Hasel­strauch hocken und war­te ab, bis er sich an dem bun­ten Laub unter dem Apfel­baum satt gero­chen hat. Dann hebt auch er end­lich den Kopf, blickt sich suchend nach allen Sei­ten um, und läuft schließ­lich mit schnel­len Schrit­ten auf mich zu. »So habe ich mir das vor­ge­stellt«, sage ich zufrie­den und drü­cke den lus­tig zün­geln­den Wel­pen glück­lich an mein Gesicht, »erst der Gar­ten und dann die gan­ze Welt«.

© Johannes Willwacher