Die achte Lebenswoche: von Tagen, die beschissen beginnen, bis zu solchen, die mit guten Ergebnissen enden – drei Einblicke in die Welpenaufzucht.
Eve of Destruction
An diesem Morgen muss ich gar nicht erst die Treppen hinuntersteigen, um zu wissen, was mich im Welpenzimmer erwartet. Ich kann es bereits riechen, als ich den Futterring auf der obersten Stufe abstelle, um die Tür hinter mir zuzuziehen. Warm und süß, ein wenig faulig vielleicht – so wie der Geruch einer überreifen Birne, die zu lange in der Sonne gelegen hat –, steigt mir der Gestank in die Nase, kriecht mir langsam den Rachen hinunter und lässt sich mir den Magen zusammenziehen. Derselbe zuckt noch, als ich den Futterring wieder aufnehme, – nur durch den Mund zu atmen macht es auch nicht besser –, und als ich schließlich vor der schmalen Kiefernholztür stehe, zögere ich, die Klinke zu drücken. »Ich könnte ganz einfach umdrehen, mir die Decke über den Kopf ziehen und so tun, als hätte ich verschlafen«, denke ich, schüttle aber – bloß nicht versehentlich durch die Nase atmen – letztlich doch nur den Kopf. Als sich die Tür öffnet, strömt mir ein zweiter Schwall entgegen, der durch den offenen Mund umgehend den Weg ins Hirn findet, und noch bevor ich nach dem Lichtschalter tasten kann, ein Bild in erbarmungslosen Brauntönen zeichnet. Der Magen zuckt, der Kaffee brodelt.
Nachdem ich die Welpen flugs aus dem Nachtauslauf befreit und alle Sechs an die frische Luft befördert habe, reiße ich zuerst die beiden Fenster im Welpenzimmer auf – dann bricht es schließlich grollend aus mir heraus. »Scheißidiot«, schreie ich, und vergesse dabei völlig, nicht durch die Nase zu atmen, »der Scheißidiot ist wahrscheinlich schon nach einer halben Stunde Schlafen gegangen!« Vor mich hin schimpfend löse ich einen der Metallstäbe aus dem schwarzen Gitter des Auslaufs und ziehe dasselbe über die grauen Fliesen zur gegenüberliegenden Wand. Weil auf das Zucken schon ein Würgen gefolgt ist – die Brauntöne wirken bei Tageslicht nicht nur erbarmungslos, sondern brutal –, kneife ich beide Augen zu, während ich das Gröbste mit einem Papiertuch aufnehme. »Scheißidiot, blöder Scheißidiot!«
Zweieinhalb Stunden später steht der ausgeschlafene Scheißidiot mit einer Tasse Kaffee vor der Gartentür und gähnt. Mein Magen hat sich in der Zwischenzeit zwar schon wieder beruhigt – auch nach zehn Jahren Hundezucht hat derselbe sich noch nicht an den Geruch von Kot am Morgen gewöhnt –, meine Stimmung jedoch nicht. »Sag’, warst du gestern Abend eigentlich noch lange bei den Welpen unten?«, frage ich mit gespielter Freundlichkeit. »Halb elf, vielleicht, wieso?«, fragt er zurück und nimmt einen langen Schluck aus seiner Kaffeetasse. »Weil es heute morgen ganz danach aussah, als hätte sich gestern Abend keiner der Welpen mehr gelöst«, sage ich, »weil ich mich gar nicht daran erinnern kann, dass irgendein Tag überhaupt schon einmal so beschissen angefangen hat«. Er stellt die Tasse ab und stottert, dass die Welpen doch alle geschlafen hätten, dass auch er gerne einmal früher ins Bett kommen würde, und dass ich doch, ja, und sowieso. »Glaubst du ernsthaft, dass es mir nichts ausmacht, jeden Morgen um vier aufstehen zu müssen? Dass es mich ausfüllt, die ersten Stunden des Tages mit Wischen, Waschen und Würgen zu verbringen? Das tue ich, weil’s getan werden muss, weil meine Bedürfnisse hinter denen der Welpen stehen und weil das Wort in Verantwortung nun einmal eingehalten werden will! Wenn du dich aus deiner herausstiehlst, wiegt meine doppelt so schwer – und stinkt!« Er nickt. Und geht am gleichen Abend um elf ins Bett.
Einen Welpen zu erziehen ist um so vieles leichter.
Doctor, Doctor
Der Reißverschluss surrt und sogleich machen sich die sechs Welpen daran, den Behandlungsraum zu erkunden. Während die Ersten kaum weiter kommen, als zu dem auf Rollen stehenden Behandlungstisch, der sich in der Mitte des Raumes befindet, und der mit noch in Folie verpackten Kabeln nicht nur die Neugier, sondern auch den Ehrgeiz der Welpen herausfordert, verteilen sich die Übrigen schnell von der Tür bis zum gegenüberliegenden Fenster. Ein herunterhängendes Telefonkabel, die Ranken einer Topfpflanze, die von dem Schreibtisch vor dem bodentiefen Fenster baumeln, das Fenster selbst und auch die Schuhe der Tierärztin werden von den Welpen dabei mit den Augen, der Nase und den Pfoten begutachtet, und manches davon verschwindet – weil Welpen nun einmal Welpen sind – schließlich zwischen den Zähnen.
Weil der erste Tierarztbesuch aber nicht nur zum Vergnügen erfolgt, sitzt bald darauf schon der erste Welpe auf dem blankpolierten Metall. Das Gewicht und das Gebiss werden kontrolliert, das Herz wird abgehört, bei allen festgehalten, dass kein Nabelbruch zu bemerken ist, und den drei Rüden bescheinigt, dass beide Hoden bereits abgestiegen sind. »Eigentlich sind es immer die Rüden, die sich lautstark wehren, wenn die große Kanüle mit dem Chip angesetzt wird«, meint die junge Tierärztin, als sich mit der Erstgeborenen schließlich der letzte Welpe auf dem Behandlungstisch befindet und es beiden – der Tierärztin und der Tierarzthelferin – nur mit Mühe gelingt, die fast acht Wochen alte Hündin daran zu hindern, sich aus der unfreiwilligen Umarmung zu befreien. Nachdem der Chip kontrolliert worden ist, hat aber auch diese es endlich überstanden, und darf zurück zu den Ranken, der Knisterfolie und den Kabeln.
Als Kind habe ich jedem erzählt, ich wolle einmal Tierarzt werden – was insofern nichts Besonderes ist, als dass dieser Wunsch wohl für ziemlich viele Kinder gilt. Weil mir das »Was wäre wenn?« aber auch heute noch dann und wann durch die Hirnwindungen spukt, schaue ich bei denen, die es tatsächlich geworden sind, vielleicht noch ein wenig genauer hin. Ist es ein von oben herab, oder befindet sich der Veterinär mit dem Patientenbesitzer auf Augenhöhe? Werden Behandlungsschritte gut und transparent erklärt, werden Kompetenzen richtig eingeschätzt – wird im Sinne des Tierwohls entschieden oder zugunsten der Inneneinrichtung? Ich glaube, es sagt alles, dass wir schon seit über zehn Jahren zu den Kunden der Tierarztpraxis in Bad Marienberg gehören. Auch wenn auf dem Türschild nicht mehr Günther und Brückmann, sondern Ferger und Brantin steht: an der wertschätzenden Einstellung der Tierärzte und Angestellten hat sich nichts geändert. Und das tut auch unseren Welpen gut.
Behind Blue Eyes
Es gab nicht viele Regentage in den vergangenen acht Wochen. Strenggenommen gab es nur zwei, an denen es so viel geregnet hat, dass der Regen auch durch das Blätterdach der Bäume in unserem Garten gedrungen ist, und die Welpen sich damit begnügen mussten, ihre Zeit drinnen zu verbringen. Dass der dritte Regentag nun gerade auf den Tag fällt, der für die erste Augenuntersuchung der Welpen ausgemacht worden ist, darf deshalb als glücklicher Zufall gelten. »Wenn wir kurz vor zehn fahren, kommen wir wahrscheinlich gerade so pünktlich um zwanzig vor elf in der Klinik an«, sagt Dirk, als er am Morgen die beigebraune Faltbox in den Kofferraum schiebt, »bis alle Welpen untersucht, die Untersuchungsbögen ausgestellt und abgestempelt worden sind, wird es sicher Mittag werden«. Danach, meint er, soll der Regen nachlassen, so dass die Welpen nach unserer Rückkehr gleich zurück in den Garten können. Das tut er auch. Allein, dass der Klinikbesuch diesmal mehr als zwei Stunden braucht, und die Welpen erst am frühen Nachmittag wieder in die Freiheit entlassen werden.
Das liegt aber weniger daran, dass bei den Welpen irgendwelche außergewöhnlichen Befunde aufgefallen sind. Abgesehen von einer MPP, die bei einer der Hündinnen bemerkt wird – einer persistierenden Pupillenmembran, bei der es sich um die Rückstande eines gefäßreichen Gewebes handelt, das während der Embryonalentwicklung die Pupille ersetzt, und das sich bei manchem Welpen, ohne die Sehfähigkeit einzuschränken, nach der Geburt nicht vollständig zurückbildet –, werden alle Welpen als frei befundet. »Battery Power Low ist keine gültige Chipnummer«, lautet der eigentliche Grund. Weshalb wir und die Welpen warten müssen, bis eine Mitarbeiterin der ophtalmologischen Abteilung der Klinik zum Haupthaus gelaufen und mit den Batterien für das Chiplesegerät zurückgekehrt ist. Das verregnet aber weder uns, noch den Welpen die Stimmung. Die bleibt – wie die Augen der Welpen – ungetrübt und gut.
© Johannes Willwacher