Vogelgezwitscher und mehr Frühlingsboten: über tierische Gefühle und menschliche Botenstoffe, die unsere Hunde nicht nur in der Nase kitzeln.

Der Regen hat end­lich nach­ge­las­sen, als ich mich am frü­hen Mor­gen mit dem ers­ten Kaf­fee auf der Gar­ten­bank nie­der­las­se. Der Hügel, den ich durch das dich­te Geäst der Bäu­me im unte­ren Gar­ten gera­de noch erspä­hen kann, dampft im ers­ten Tages­licht. Gold­staub scheint über den Wie­sen zu flir­ren. Wäh­rend ich den Blick noch ver­schla­fen schwei­fen las­se – und die fünf Hun­de, die nur einen Augen­blick frü­her über­mü­tig aus dem Haus gestürmt sind, sich nach und nach in den Tie­fen des Gar­tens ver­lie­ren –, wird die mor­gend­li­che Ruhe durch lau­tes Geschrei aus dem Zwetsch­ge­n­baum gestört, der sich – von wil­dem Efeu über­wu­chert – gleich zu mei­ner Rech­ten erhebt.

Junge Border Collie Hündin liegt wartend auf einem moosbedeckten Ast umgeben von blühendem Lerchensporn
10|04|2023 – Karma

Mit zusam­men­ge­knif­fe­nen Augen kann ich zwi­schen den grü­nen Blät­tern zwei Els­tern erken­nen, ein Amsel­männ­chen flat­tert auf­ge­regt vor bei­den her­um. Immer wie­der bläht sich der gefie­der­te Schat­ten vor den bei­den schwarz-wei­ßen Raben­vö­geln auf, immer wie­der stürzt er sich mit wüten­dem Geschrei den bei­den Nest­räu­bern ent­ge­gen. Dass zu dem Amsel­männ­chen auch noch ein Weib­chen gehört, und sich der Brut­platz der bei­den irgend­wo zwi­schen den Blü­ten der Zwetsch­ge und den Ran­ken des Efeus befin­det, ist mir aus den Vor­jah­ren bekannt – war­um das Männ­chen die bei­den Els­tern so laut­stark von dort zu ver­trei­ben sucht, scheint mir also offen­kun­dig zu sein. Weil sich die­sel­ben von dem zetern­den Männ­chen aber kaum beein­dru­cken las­sen, stel­le ich mei­ne Kaf­fee­tas­se schließ­lich auf dem wack­li­gen Gar­ten­tisch ab – und mich selbst laut klat­schend unter den Zwetsch­ge­n­baum. Das zei­tigt Erfolg, und vier schwarz-wei­ße Flü­gel rau­schen freud­los davon.

Border Collie Hündin hält einen blühenden Weidenzweig in der Schnauze
17|04|2023 – Halo

Als ich zwei Stun­den spä­ter mit den Hun­den von der Mor­gen­run­de zurück­keh­re, liegt das Amsel­männ­chen tot im hohen Gras. Äußer­lich scheint es auf den ers­ten Blick unver­sehrt, nur eine kah­le Stel­le – dort, wo die Flü­gel im Rücken zusam­men­tref­fen – ver­rät, dass es gewalt­sam zu Tode gekom­men sein muss. Ich hebe den Blick, kann die Els­tern aber nir­gends ent­de­cken, bemer­ke aber schließ­lich das Amsel­weib­chen, das auf einem der kah­len Äste des Kirsch­baums über mir hockt. Dort hockt es auch noch, als ich den Kada­ver des Männ­chens längst ent­sorgt habe – maß­geb­lich, damit sich kei­ner der Hun­de dar­an zu schaf­fen macht –, und auch am dar­auf­fol­gen­den Tag sehe ich es immer wie­der trau­rig dort oben sitzen.

Border Collie Hündin hat die Pfoten auf einen bemoosten Ast abgelegt, der sich über blühenden Lerchensporn erhebt.
14|04|2023 – Heidi

Lan­ge Zeit hat die Wis­sen­schaft die Mög­lich­keit abge­tan, dass Tie­re über Emo­tio­nen ver­fü­gen, die denen des Men­schen ähn­lich sind – und auch heu­te noch herrscht Unei­nig­keit dar­über, inwie­weit sich das Gefühls­le­ben von Tie­ren mit unse­rem eige­nen ver­glei­chen lässt. Bei gewis­sen Ver­hal­tens­wei­sen sei es aus mensch­li­cher Sicht zwar nahe­lie­gend, von ähn­li­chen Grund­be­din­gun­gen aus­zu­ge­hen – so der Tenor der Wis­sen­schaft –, den­noch dür­fe man nicht dem Feh­ler auf­sit­zen, dem Tier all­zu mensch­li­che Eigen­schaf­ten zuzu­schrei­ben, da das­sel­be nicht zu sei­nem Befin­den befragt und Beob­ach­tun­gen immer unter­schied­lich gedeu­tet wer­den können.

Hormonelle Anteilnahme?

Immer­hin bei unse­ren Hun­den haben zahl­rei­che Stu­di­en in den ver­gan­ge­nen Jah­ren deut­li­che Zuge­ständ­nis­se gemacht, und dabei nicht nur her­aus­ge­fun­den, dass Hun­de mensch­li­che Emo­tio­nen – Wut, Angst, Freu­de, Trau­rig­keit, Über­ra­schung und Ekel – anhand der Kör­per­spra­che und Mimik lesen kön­nen, son­dern auch in der Lage sind, die­se Emo­tio­nen auf sich selbst zu über­tra­gen. Im Rah­men einer Stu­die, die 2019 an der schwe­di­schen Uni­ver­si­tät Lin­kö­ping durch­ge­führt wor­den ist – unter den knapp sech­zig Pro­ban­den befan­den sich zahl­rei­che Bor­der Col­lies und Shel­ties –, wur­den Hun­den und ihren Besit­zern über einen län­ge­ren Zeit­raum wie­der­holt Fell- und Haar­pro­ben ent­nom­men und der phy­sio­lo­gi­sche Auf­bau ana­ly­siert. Das Ergeb­nis: bei bei­den mach­ten sich die glei­chen hor­mo­nel­len Ver­än­de­run­gen bemerk­bar, ins­be­son­de­re der Cor­ti­sol­spie­gel, der Rück­schlüs­se auf Ner­vo­si­tät und Stress zulässt, stieg bei bei­den pro­por­tio­nal an. Beob­ach­ten ließ sich die hor­mo­nel­le Anteil­nah­me aber nur in eine Rich­tung: Hun­de teil­ten den Stress ihrer Besit­zer – nicht umgekehrt.

Border Collie Rüde steht im hohen Gras, das satt grün leuchtet
27|04|2023 – Zion

Ähn­li­ches kann ich auch bei mei­nen eige­nen Hun­den beob­ach­ten. Wäh­rend die Fünf sich zu den Zei­ten, die ich allei­ne mit ihnen – und zumeist arbei­tend am Schreib­tisch – ver­brin­ge, eher ruhig ver­hal­ten, bricht regel­mä­ßig die Höl­le los, wenn mei­ne bes­se­re Hälf­te nach Hau­se kommt. »Du musst hor­mo­nell einen ganz beson­de­ren Duft ver­strö­men, anders kann ich mir das nicht erklä­ren«, habe ich also auch schon oft auf sei­nen Ein­wand erwi­dert, gar nichts anders zu machen als ich, »jemand, dem es schwer fällt zu ent­span­nen, und der gedank­lich immer schon beim nächs­ten Schritt ist, den er unter­neh­men könn­te, wird unbe­wusst viel­leicht auch ähn­lich auf die Hun­de wirken«.

Scheiß Elstern!

»Scheiß Els­tern«, zische ich wütend, als ich Tags dar­auf mit den Hun­den im Gar­ten ste­he. Noch bevor ich mich anschi­cken und klat­schend unter den Zwetsch­ge­n­baum stel­len kann, schie­ßen fünf Hun­de vor­an. Und sind kaum einen Augen­blick spä­ter wie­der die ein­zi­gen schwarz-wei­ßen Tie­re in unse­rem Gar­ten. Es ist Früh­ling. Wir füh­len das.

© Johannes Willwacher