Zwölf Wochen, drei Monate und eine ganze Menge Blödsinn. Dort, wo zwei freche Border Collie Welpen aufeinandertreffen, kann eigentlich kaum etwas Gutes passieren …

»Ohjo, nä, wat habt ihr Säu­ba­li­sche alt wir­ra angestallt!«
– Lieb­lings­aus­spruch mei­ner Großmutter

Ich muss etwa fünf Jah­re alt gewe­sen sein, viel­leicht auch etwas jün­ger. Das ich älter gewe­sen sein könn­te, bezweif­le ich, denn wäre ich älter gewe­sen, hät­te es weder das Spiel­zelt, in dem ich die­se Geschich­te statt­fin­den las­se, noch die Küche, in der das besag­te, mit Kühen und blü­hen­den Wie­sen bedruck­te Zelt unter der Dach­schrä­ge stand, gege­ben. Bei­des wäre längst in unzäh­li­gen Papp­kar­tons ver­staut und der Raum für die­se Geschich­te nur noch ein dun­kel­grau­es, grob­kör­ni­ges Ges­tern gewe­sen. Ein Ort, an dem man sich nur mit geschlos­se­nen Augen zurechtfindet.
+++++Wenn ich die Augen schlie­ße, dann sehe ich noch deut­lich das enge Bade­zim­mer mit den hell­blau­en Kacheln vor mir, sehe den Hun­de­korb mit dem Wecker dar­in, und mei­ne Mut­ter, die mir lei­se erklärt, war­um sie den Wecker dort hin­ein gelegt hat. Dann höre ich, wie die Schau­kel im Flur in der Ver­an­ke­rung quietscht. Sehe mich selbst, wie mir das Bil­der­buch mit der Kat­ze aus der Hand fällt. Wie es kaum hör­bar auf dem Dach der Werk­statt unter mir auf­schlägt und unwie­der­bring­lich zu den Din­gen gehört, die dun­kel­grau und grob­kör­nig sind. Schnur­ri, so hieß die Katze.

»Ich bin aber ein Kater«, sag­te der ande­re Jun­ge und kroch mit dem Kopf vor­an in das Zelt, das in der dun­kels­ten Ecke der Küche stand.
+++++»Du siehst aber gar nicht aus wie ein Kater«, sag­te ich. Der ande­re Jun­ge war mein Cou­sin, etwa ein Jahr jün­ger als ich, und wäh­rend ich längst wuss­te, dass ich nie etwas ande­res, als ein Hund sein woll­te, hat­te er gera­de ent­schie­den, eine Kat­ze zu sein. »Du kannst aber kei­ne Kat­ze sein«, sag­te ich trot­zig, »wenn du eine Kat­ze wärst, dann hät­test du über­all Haare«.
+++++Der ande­re Jun­ge steck­te stumm den Kopf durch den Tür­schlitz und kniff die Augen zusam­men. Ein älte­rer Jun­ge (einer, der nicht erst vier Jah­re alt gewe­sen wäre) hät­te nun viel­leicht bemerkt, dass es dar­auf ers­tens beim Spie­len nicht ankam, und ich zwei­tens dann auch kein Hund sein konn­te. Der ande­re Jun­ge aber fun­kel­te mich bloß böse an, leer­te einen Becher mit Bunt­stif­ten auf dem Fuß­bo­den aus, griff sich, ohne den Blick von mir abzu­wen­den, einen hell­grü­nen Stift, und schlüpf­te zurück in das Zelt. Wäh­rend ich mich dar­auf­hin dar­in übte, auf­zu­zäh­len, wor­in sich ein Jun­ge von einer Kat­ze unter­schied, drang aus dem Inne­ren des Zelts nur ein lei­ses Kratzen.
+++++Als das Krat­zen schließ­lich ver­stumm­te, hielt ich es nicht mehr aus. »Was machst du denn da drin­nen?«, frag­te ich. Zwei nack­te Füße scho­ben sich zur Ant­wort durch den Tür­schlitz. Ungläu­big rieb ich mir die Augen.
+++++»Siehst du«, sag­te der ande­re Jun­ge, »siehst du, ich kann näm­lich doch eine Kat­ze sein«. Das sah ich. Der ande­re Jun­ge hat­te sich Hemd und Hosen aus­ge­zo­gen und jeden Zen­ti­me­ter sei­nes Kör­pers mit einem fei­nen Flaum bemalt, der zuerst an Fell, dann aber an einen grü­nen Filz­stift den­ken ließ, der eben noch vor dem Zelt gele­gen hat­te. Zufrie­den grins­te er mich an. »Und was machen wir jetzt«, frag­te er.

Wenn ich mir Beau und Bud­dy anschaue, kom­me ich nicht umhin, auch an mich und mei­nen Cou­sin zu den­ken. So wie wir vor gut drei­ßig Jah­ren, ste­cken die bei­den oft die Köp­fe zusam­men und bei­na­he ahnt man, dass dabei nichts Gutes her­aus­kom­men kann. Stuhl­bei­ne zer­na­gen, Türen zer­krat­zen, Pflau­men zer­bei­ßen und Tep­pi­che zer­rei­ßen, den Napf zu nacht­schla­fen­der Stun­de umschmei­ßen – was der eine macht, das tut ihm der ande­re gleich.

Mein Cou­sin ist übri­gens bis heu­te ein Kat­zen­mensch geblie­ben. Ich glau­be aber, kei­ne sei­ner Kat­zen ist grün.

© Johannes Willwacher