Mär­chen­stun­de

Wo zehn von zehn Züchtern behaupten, aus Leidenschaft zu züchten, verkauft sich Leidenschaft alleine schlecht. Wer im Wettbewerb bleiben will, muss einen Mehrwert bieten. Werbung!

Image ist nichts – Durst ist alles
– Wer­be­slo­gan der Coca Cola Company

»Uni­que Sel­ling Pro­po­si­ti­on«, sage ich laut vor mich hin. Die Hun­de bli­cken kurz auf, ver­sen­ken die Nasen aber gleich wie­der unbe­ein­druckt im Schnee. Dass weder vor noch neben mir jemand ist, der ant­wor­ten kann, stört sie genau­so wenig, wie mich, denn kaum aus­ge­spro­chen, stel­le ich das Gesag­te mit einem – zuge­ge­ben –, wenig geist­rei­chen »Aha?« selbst in Fra­ge. Spa­zier­gang bedeu­tet Selbst­ge­spräch, das wis­sen auch die Hun­de längst, und weil die­se kaum hin­ter­fra­gen, ob das laut vor­ge­tra­ge­ne Selbst­ma­nage­ment schon ers­te Züge des Ver­rück­ten trägt, rede ich unge­stört wei­ter vor mich hin.

Selbst aus den Feder­bet­ten schneit es

Für den Außen­ste­hen­den – den es nie gibt, weil ich pein­lich dar­auf ach­te, dass außer schnee­be­deck­ten Kie­fern nie­mand in Hör­wei­te ist – mag es tat­säch­lich befremd­lich wir­ken, mich über das Feld wan­dern zu sehen: Wäh­rend es mir oft­mals nicht gelingt, die eige­ne Tele­fon­num­mer zu erin­nern, kann ich ohne Nach­zu­den­ken zehn Gene­ra­tio­nen aus den Stamm­bäu­men mei­ner Hun­de her­sa­gen – und wer weiß, wie ein­falls­reich Züch­ter bei der Namens­wahl sein kön­nen, der ahnt viel­leicht auch, dass das für einen Außen­ste­hen­den nach rosa Ein­hör­nern klin­gen muss. Ver­rückt – aber Züch­ter sind so.

Ob Ver­rückt­sein auch zum Vor­teil gereicht? Ich glau­be nicht. Den­noch ist jene Voka­bel – der Vor­teil, das Ver­spre­chen, die Uni­que Sel­ling Pro­po­si­ti­on –, zwei­fels­oh­ne den meis­ten Züch­tern ver­traut und jeder bemüht, die­se – so gut es geht – für sich aus­zu­for­mu­lie­ren: Wo zehn von zehn Züch­tern behaup­ten, aus Lei­den­schaft zu züch­ten, ver­kauft sich Lei­den­schaft allei­ne schlecht. Wer im Wett­be­werb blei­ben will, muss einen Mehr­wert bie­ten. »Mach dir Freu­de auf«, den­ke ich, und schließ­lich wie­der laut: »Wir wol­len alle Coca Cola sein«.

Wer hat Angst vor Rotkäppchen?

Wo zwei Ange­bo­te zum glei­chen Preis konkurrieren,
ent­schei­det man sich für das, mit dem größ­ten Produktversprechen –
oder das, mit der glän­zen­de­ren Verpackung …

Es wäre ver­mes­sen, zu glau­ben, dass die Züch­ter­welt nach ande­ren Geset­zen funk­tio­niert, als den markt­wirt­schaft­li­chen, und dass gewis­se Argu­men­te – sport­li­che Erfol­ge, impor­tier­te Deck­rü­den, Cham­pion­ti­tel oder eine gefrag­te Fell­far­be –, nicht auch äußerst bewusst gesetzt wer­den, um sich einen Vor­teil zu ver­schaf­fen und vom Wett­be­werb abzu­he­ben: Wo zwei Ange­bo­te zum glei­chen Preis kon­kur­rie­ren, ent­schei­det man sich für das, mit dem größ­ten Pro­dukt­ver­spre­chen (»Mei­ne Wel­pen sind gesün­der als ande­re«) – oder das, mit der glän­zen­de­ren Ver­pa­ckung (»Mei­ne wer­den schon stu­ben­rein abge­ge­ben«). Nur wer Anfra­gen hat, kann wei­ter planen.

Die Prin­zes­sin auf der Erbse

Ich lie­be es!

»War­um«, fra­ge ich mich und bücke mich nach einem bei­na­he weiß gefro­re­nen Tan­nen­zap­fen, den mir einer der Hun­de mit Bestimmt­heit vor die Füße gelegt hat, »war­um tut man sich das an? War­um sam­melt man nicht Tee­tas­sen, liest Gedich­te oder ver­sucht Man­da­rin zu ler­nen? War­um tut man, was so von Miss­gunst und Neid geprägt, was so schnell zer­re­det ist?« Ver­rückt­sein gereicht viel­leicht nicht zum Vor­teil. Aber es macht das Züchter­le­ben um so vie­les leich­ter. Den­ke ich – und gehe mit den rosa Ein­hör­nern spie­len. Ich lie­be es.

© Johannes Willwacher