Am Weih­nachts­bau­me die Lich­ter brennen

Es weihnachtet sehr – auch bei uns und unseren Border Collies: Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte …

D R A M A T I S   P E R S O N A E

HERR WILLWACHER, ein Mann mitt­le­ren Alters
HERR EULBERG, ein Mann mitt­le­ren Alters
NELL, die ers­te Hün­din, sechsjährig
IDA, die zwei­te Hün­din, vierjährig
ZION, ein Rüde, Sohn der ers­ten Hündin
HERR GROMBIER, ein Kar­tof­fel­sa­lat schwä­bi­scher Herkunft
FRÄULEIN NORDMANN, eine jun­ge Tan­ne aus dem Westerwald
sowie wei­te­ren Kek­sen, Kugeln und Ker­zen in stum­men Rollen

O R T   D E R   H A N D L U N G

Ein bür­ger­li­ches Ess­zim­mer am Weihnachtsabend.

E R S T E R   A K T

Das Ess­zim­mer im Halb­dun­kel, nur durch das schwa­che Leuch­ten der Ker­zen am Weih­nachts­baum erhellt. Wäh­rend zur Lin­ken der Regen pras­selnd gegen die Schei­ben des Erker­fens­ters peitscht, ist der erst­ge­nann­te Herr, dem Publi­kum den Rücken zuge­wandt, bemüht, eine Foto­ka­me­ra auf einem Sta­tiv zu mon­tie­ren. Von rechts betre­ten die Übri­gen – mit Aus­nah­me von Fräu­lein Nord­mann, die bereits uner­kannt vor Ort ist, Herrn Grom­bier und Nell –, in will­kür­li­cher Fol­ge die Szene.

HERR WILLWACHER (indem er hin­ter der Kame­ra her­vor­springt, den ande­ren zuge­wandt): Nein, nein, nein – von rein­kom­men habe ich noch gar nichts gesagt. Ihr bleibt jetzt genau da ste­hen, wo ihr gera­de steht und bewegt euch kei­nen Zen­ti­me­ter. (wischt sich mit dem Hand­rü­cken die Stirn, stöhnt) Wenn ihr mir hier jetzt wie­der alles durch­ein­an­der bringt, dann kann ich gleich noch mal von vor­ne anfan­gen. Und wir wol­len doch alle den Hei­li­gen Abend nicht bloß damit zubrin­gen, uns hier die Bei­ne in den Bauch zu stehen.
HERR EULBERG (wischt sich eben­falls die Stirn): Müs­sen wir hier drin­nen denn wirk­lich die Win­ter­sa­chen anzie­hen? Wir könn­ten doch auch im T-Shirt …
HERR WILLWACHER (spitz): Im T-Shirt? Also, bit­te! Was soll das denn für eine Weih­nachts­kar­te wer­den? (iro­nisch) Wir sit­zen unter dem Weih­nachts­baum, tau­schen Geschen­ke aus, tra­gen T-Shirts und dar­über singt der Engel­chor, dass der König von Mal­lor­ca gebo­ren wor­den ist. Hörst du dir manch­mal eigent­lich auch selbst zu? Jetzt bleib halt da ste­hen und halt die Hun­de fest.
ZION (naiv): Dür­fen wir jetzt die Fleisch­wurst suchen?
HERR EULBERG (genervt): Nein, dür­fen wir nicht.
HERR WILLWACHER (springt zurück hin­ter das Sta­tiv und macht sich am Objek­tiv zu schaf­fen): Könnt ihr nicht mal fünf Minu­ten das machen, was man euch sagt? Außer­dem steht ihr da voll­kom­men falsch, ihr müsst viel wei­ter nach links und viel wei­ter nach hin­ten. Und denkt dran, dass ihr mir da auch noch Platz las­sen müsst, wenn …
HERR EULBERG (fällt dem ande­ren ins Wort): Ida! Du hängst jetzt sofort den Tan­nen­zap­fen wie­der da hin, wo er gehan­gen hat!
IDA (den Zap­fen in der Schnau­ze): Wel­chen Zapfen?
ZION (naiv): Dür­fen wir denn jetzt die Fleisch­wurst suchen?
FRÄULEIN NORDMANN (schüt­telt sich): Wat en Durchenoah!
HERR EULBERG (nimmt Ida den Zap­fen ab, hängt ihn zurück): Nein, dür­fen wir nicht.

Wäh­rend sich alle Anwe­sen­den ange­strengt bemü­hen in die Kame­ra zu lächeln, wird abseits der Büh­ne eine Schüs­sel umge­sto­ßen, die klir­rend auf dem Boden zerschellt.

HERR GRUMBIER (von außer­halb): Kaasch ned uff­bassa? Alles runtergschmissa!
NELL (kommt, sich die Schnau­ze leckend, in geduck­ter Hal­tung her­ein): Ich kann gar nichts dafür! Die Schüs­sel ist von ganz allei­ne umgefallen.
HERR EULBERG (stürmt hin­aus und kommt, die Hän­de vol­ler Kar­tof­fel­sa­lat, wie­der her­ein): Bah! Hum­bug! Und allei­ne zwi­schen dei­nen Kie­fern gelandet …
FRÄULEIN NORDMANN (keck): Eisch hon aach mol en Kie­fer kennt.
HERR GRUMBIER (oder viel­mehr das, was noch von ihm übrig ist, an den ihn tra­gen­den Herrn gewandt): Weischt, a biss­le isch emmer no bessr wia gar nix.
ZION (naiv): Dür­fen wir denn jetzt end­lich die Fleisch­wurst suchen?
HERR EULBERG (leckt sich die Hän­de ab): Nein, dür­fen wir nicht.
HERR WILLWACHER: Jetzt machen wir erst noch das Bild und dann wird’s gemüt­lich. (schaut auf) Wer hat die Päck­chen? Es kann doch nicht sein, dass nie­mand an die Päck­chen gedacht hat. Wenn nie­mand ein Päck­chen in der Hand hält, weiß doch nach­her auch nie­mand, dass das eine Weih­nachts­kar­te ist …
FRÄULEIN NORDMANN (räus­pert sich): Dou hos se jo nem­mie all um Chresbaam!
HERR EULBERG (hebt die Hän­de, stöhnt): Wenn wir dann end­lich fer­tig sind!
HERR WILLWACHER (springt, den Aus­lö­ser drü­ckend, auf): Jetzt tut doch alle mal für einen kur­zen Moment so, als hät­tet ihr Spaß an der Sache. Das kann doch so schwer nicht sein, bei allen ande­ren klappt das doch auch.

Die Anwe­sen­den grup­pie­ren sich hek­tisch, dabei blitzt es drei­mal kurz hintereinander.

HERR EULBERG (vor­sich­tig): Dür­fen wir denn jetzt die war­men Sachen ausziehen?
DIE HUNDE (hung­rig): Dür­fen wir denn jetzt end­lich die Fleisch­wurst suchen?
HERR WILLWACHER (laut): Ver­dammt noch mal, jetzt ist Weihnachten!
HERR EULBERG (schreit): Das war’s aber doch schon die gan­ze Zeit …

Wäh­rend die Lich­ter lang­sam aus­ge­hen stim­men die Anwe­sen­den ein gemein­sa­mes Weih­nachts­lied an und fas­sen sich ver­stän­dig an den Hän­den, respek­ti­ve den Pfo­ten, den Nadeln oder am Kar­tof­fel­sa­lat – und wün­schen ein fro­hes Weihnachtsfest!

V O R H A N G

© Johannes Willwacher