Die drit­te Träch­tig­keits­wo­che: Edda hat Hunger

Wenn ich mich Ihnen kurz vor­stel­len darf: mein Name ist Vack­la und ich bin ein Küchen­schrank. So weit nicht unge­wöhn­lich, denn Küchen­schrän­ken wie mir begeg­net man nicht sel­ten. Ande­re sind zwei­fels­oh­ne bes­ser ver­ar­bei­tet, als ich es bin, und dür­fen ger­ne von sich behaup­ten, dass sie sorg­sam gefer­tigt und ihre Schub­käs­ten fest ver­leimt wor­den sind. Mir sagt man gemein­hin bloß ger­ne nach, nicht alle bei­sam­men zu haben – Schrau­ben, mei­ne ich –, und das mein ein­zi­ger Vor­teil dar­in besteht, dis­count­güns­tig zu sein. Das ist mir bewusst. Dass ich den­noch kei­ne Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xe hege – selbst schlich­te Möbel haben Gefüh­le, weiß die Küchen­psy­cho­lo­gie –, ist allein mei­nen inne­ren Wer­ten zu ver­dan­ken. Sie mögen nun viel­leicht ein­wen­den, dass sich jed­we­der Vor­rats­schrank vor­ran­gig durch inne­re Wer­te aus­zeich­net, und ich inso­fern gar nichts Beson­de­res bin – allein die Tat­sa­che, das ent­geg­ne ich Ihnen ger­ne, dass in mir eine Groß­pa­ckung Hun­de­fut­ter lagert, haben Sie dabei über­se­hen. »Na und?«, wer­den Sie sagen, und dar­auf hin­wei­sen, dass der Hund doch noch immer der bes­te Freund des Men­schen, nicht des Küchen­schranks sei – und auch hier wer­den Sie über­se­hen haben, dass Fut­ter, nicht Freund­schaft für den Hund das zwin­gends­te aller Argu­men­te ist. Lan­ger Rede, kur­zer Sinn: mein Name ist Vack­la, ich bin ein Küchen­schrank und ich habe einen Freund. Oder viel­mehr: eine klei­ne Freun­din. Die scho­ko­la­den­brau­ne Hün­din mit der ich zusam­men­le­be, kommt mich zur­zeit etwa zwei­hun­dert Mal am Tag besu­chen, stemmt sich an mei­nen Schub­la­den empor und schaut mei­ne Türen mit glü­hen­dem Blick an – das kann nur Lie­be sein. Ich bin ein sehr glück­li­cher Küchenschrank.

Die ver­än­der­ten Ansprü­che des Kör­pers, die mit der Nida­ti­on der Embryo­nen in der drit­ten Träch­tig­keits­wo­che ein­her­ge­hen, brin­gen oft­mals auch die ers­ten sicht­ba­ren Ver­hal­tens­än­de­run­gen bei der Hün­din mit sich: neben einem gestei­ger­ten Ruhe­be­dürf­nis ist davon auch zumeist der Appe­tit betrof­fen. Wäh­rend man­che Hün­din­nen schlecht fres­sen oder die Fut­ter­auf­nah­me für eini­ge Tage ganz ein­stel­len, macht sich bei ande­ren ein sprich­wört­li­cher Bären­hun­ger bemerk­bar. Die Embryo­nen, die sich zwi­schen dem 18. und 20. Tag der Träch­tig­keit in den Gebär­mut­ter­hör­nen ein­ge­nis­tet haben, sind nun etwa vier Mil­li­me­ter groß – nicht nur der Kopf hat bereits begon­nen sich zu ent­wi­ckeln, auch die Bei­ne sind schon in win­zi­gen Knos­pen angelegt.

© Johannes Willwacher