Nicht nur das Fernseh-Programm zu Weihnachten lebt von Wiederholungen: auf die eine oder andere Weise ähnelt sich auch der Verlauf jeder Trächtigkeit. Über singende Sirenen und die Frage, warum auch manche Hündin das tut.
Auch wenn jeder Züchter gerne sagt, dass kein Wurf, keine Trächtigkeit wie die andere ist, gibt es doch immer wieder Dinge, die sich wiederholen, die ähnlich sind. Das fängt bereits in den Tagen vor dem eigentlichen Deckakt mit dem Beginn des Östrus – zu deutsch: der Brunst, der Paarungsbereitschaft – an. Ist es bei einer Erstlingshündin oftmals schwer zu erkennen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, möchte ich behaupten, dass, wer seine Hündin gut genug kennengelernt hat, auf die absichernden Abstriche und Progesterontests beinahe verzichten kann. Beinahe – man möchte schließlich, da auch keine Läufigkeit wie die andere ist, nichts verpassen. Nell und ich stellen da keine Ausnahme dar.
Als ich am Morgen des ersten Decksprungs in der Praxis unserer Tierärzte anrufe, um das Ergebnis des Progesteronstests zu erfragen, das am Vortag ins Labor geschickt worden ist, sitzt Nell ein Stockwerk über mir auf dem Bett, die beiden anderen Hunde liegen unter dem Küchentisch und schlafen. Das Ergebnis liege noch nicht vor, erfahre ich, im Hinblick auf das Zellbild, das sich bei der mikroskopischen Beobachtung am Vortag gezeigt habe, genüge es aber wahrscheinlich, mich am Nachmittag noch einmal zu melden, die Hündin sei – wenn überhaupt – erst am Beginn des Östrus, die Eisprünge noch einen oder zwei Tage entfernt. Ich habe kaum aufgelegt, als im oberen Stockwerk ein sirenenhaftes Geheul angestimmt wird, erst sanft und melancholisch, dann immer lauter und drängender – und als ich schließlich die fünfzehn Stufen hinauf geeilt und im Schlafzimmer angelangt bin, übertönt die Hündin, die sich zum geöffneten Fenster ausgerichtet und den Kopf weit in den Nacken geworfen hat, wohl längst auch den lautesten Güterzug. »Klappe, Shakira«, denke ich und möchte schon wieder auf dem Absatz kehrt machen, bleibe dann aber doch – bildlich gesprochen – an meinem letzten Gedanken hängen. »Warum singen Sirenen?« Zehn Minuten später ist die Reisetasche gepackt.
Das besagte Bett – und auch das gehört zu den Dingen, die sich bei jeder Trächtigkeit wiederholen – spielt in der ersten Woche nach dem Deckakt die Hauptrolle. Man lässt es ruhig angehen und zieht sich zurück: Eile mit Weile. Und wäre da nicht dieses Glitzern in den Augen – auch das kommt uns seltsam bekannt vor –, man könnte fast meinen, es sei gar nichts passiert.
Nach dem Deckakt bewegen sich Ei- und Samenzellen aufeinander zu. Die selbst unbeweglichen Eizellen der Hündin werden dabei in einem Flüssigkeitsstrom vorangetrieben, der beim Eisprung entsteht, und den die konstante Bewegung zarter Flimmerhärchen, mit denen das Deckzellgewebe des Eileiters ausgekleidet ist, aufrecht erhält. Da geht, zugegeben, sehr langsam vonstatten. Das Sperma des Rüden, das sich selbständig durch den Unterus bewegen muss, ist da vergleichsweise schnell unterwegs: fünf bis acht Stunden nach dem Deckakt haben die Samenzellen ihre Wanderung beendet, die Kerne von Ei- und Samenzelle vereinigen sich daraufhin zur Zygote. Dieselbe hat in der ersten Woche der Trächtigkeit nichts weiter zu tun, als sich zu teilen, zu teilen und weiter zu teilen. Das mag wenig erscheinen und von außen unsichtbar bleiben, ist aber der erste und wesentlichste Baustein des Lebens.
© Johannes Willwacher