08|01|2017 – Border Collie Hündin Ida

Hundezüchter und soziale Netzwerke passen ziemlich gut zusammen – und das nicht nur, weil sie vieles erleichtert haben. Ist durch Facebook und Co. aber wirklich alles besser geworden?

Vor eini­gen Tagen bekam ich die auto­ma­ti­sier­te Benach­rich­ti­gung, sie­ben Jah­re zuvor Face­book bei­getre­ten zu sein: ein klei­ner, ani­mier­ter Clip, deko­riert mit flie­gen­den Bal­lons, Ker­zen und man­chem längst aus dem Gedächt­nis – nein, bes­ser – der Time­line ver­schwun­de­nen Hun­de­fo­to. Nell mit einem Gras­halm auf der Nase, Nell bei ihrer ers­ten Aus­stel­lung, Nell und Ida – kaum zehn Wochen alt – beim mor­gend­li­chen Spie­len im Bett. Mein ers­ter Gedan­ke spie­gel­te dann auch bei­na­he den Beweg­grund wider, der mich sie­ben Jah­re zuvor dazu ver­an­lass­te, dem Netz­werk trotz eini­ger Beden­ken bei­zu­tre­ten: Hun­de, immer nur Hunde.

Dar­an hat sich in den ver­gan­ge­nen sie­ben Jah­ren wenig geän­dert – im Gegen­teil, dräng­te sich mir beim Anschau­en des klei­nen, bun­ten Clips der Gedan­ke auf, dass ein Ver­zicht kaum noch mög­lich ist, man sich über vie­les, das in der Zucht- und Hun­de­sze­ne geschieht, nur infor­mie­ren kann, wenn man selbst mit­mischt, mit­teilt und mit­lik­ed. Von Show­er­fol­gen erfährt man, kaum dass der Rich­ter dem Hand­ler gra­tu­liert hat, Wurf­mel­dun­gen wer­den welt­weit im Live­stream aktua­li­siert – und sei­en es Deck­rü­den im Aus­land oder Wel­pen­an­fra­gen: was davon wird nicht durch Likes, nicht durch Face­book orga­ni­siert? »Ist man als Züch­ter abhän­gig von Sozia­len Netz­wer­ken?«, frag­te ich mich. Und: »Inwie­fern wird die Mei­nung über Zucht­hun­de und Züch­ter­kol­le­gen – das was gut, was schlecht, was fahr­läs­sig ist – längst über Likes und Freund­schafts­an­fra­gen, über pri­va­te Nach­rich­ten und Grup­pen definiert?«

Deine Freunde machen dich zu dem, der du bist!

Face­book-Slo­gan zum Fri­ends-Day 2017

Man muss kein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler sein, um zu ver­ste­hen, dass Face­book nicht nur unse­re Kom­mu­ni­ka­ti­on, son­dern in wei­ten Tei­len auch unse­re Wahr­neh­mung ver­än­dert hat. »Das könn­te dir auch gefal­len«, schlägt das Netz­werk vor – und ver­engt damit zuneh­mend unse­re Welt­sicht. Der zugrund­lie­gen­de Algo­rith­mus ver­stärkt den vir­tu­el­len Umgang mit Gleich­ge­sinn­ten, indem er Infor­ma­tio­nen anhand des Klick­ver­hal­tens fil­tert und im News­feed nur noch Aus­ge­wähl­tes prä­sen­tiert: Hun­de, immer nur Hun­de, heißt das zum einen – zum ande­ren aber auch, dass die Rele­vanz derer, mit denen wir viel oder wenig inter­agie­ren, in Abhän­gig­keit dazu steigt oder fällt.

Die Posts einer Kom­mi­li­to­nin, die ich zwar seit dem Stu­di­um nicht mehr gese­hen habe, der ich aber den­noch – dank der Erin­nungs­funk­ti­on des Netz­werks – jedes Jahr zum Geburts­tag gra­tu­lie­re, gehö­ren bei­spiels­wei­se zur letz­te­ren Kate­go­rie: da wir nicht oder nur wenig mit­ein­an­der inter­agie­ren – ich kei­nen ihrer Bei­trä­ge kom­men­tie­re, sie kei­nes mei­ner Fotos lik­ed – streicht der Algo­rith­mus den einen aus der Wahr­neh­mung des ande­ren. Umge­kehrt heißt das: wer bei vie­len vie­les lik­ed und kom­men­tiert, darf sich aus­rech­nen, die eige­nen Bei­trä­ge in eben­so vie­len frem­den News­feeds wie­der­zu­fin­den, die eige­ne Rele­vanz durch zahl­rei­che Likes und Kom­men­ta­re bestä­tigt zu sehen. Was mehr als 500 Likes bei Face­book hat, das kann ja nicht so schlecht sein. Oder?

Das Internet wird kein Massenmedium –
weil es in seiner Seele keines ist.

Mat­thi­as Horx, in: Der kur­ze Som­mer der @narchie, Die Welt, 24.03.2001

Als ich mich an den Schreib­tisch gesetzt und mit den Vor­ar­bei­ten zu die­sem Arti­kel begon­nen habe, war mein ers­ter Gedan­ke, dass ich mir – als jemand, der erst seit weni­gen Jah­ren im Zucht­ge­sche­hen aktiv ist – kaum ein Bild davon machen kann, wie stark sich die Sze­ne tat­säch­lich durch die direk­te­re Kom­mu­ni­ka­ti­on, den schnel­le­ren Infor­ma­ti­ons­fluss ver­än­dert hat. Ich möch­te aller­dings mut­ma­ßen, dass bei­des gro­ßen Ein­fluss genom­men und sich – indem es vie­len eine Stim­me gege­ben hat, die vor­her kaum gehört wur­den – in vie­len Berei­chen bemerk­bar gemacht hat.

Ein Bei­spiel dafür könn­ten ras­se­spe­zi­fi­sche Erkran­kun­gen sein – beim Bor­der Col­lie ins­be­son­de­re Epi­lep­sie –, bei denen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren allem Anschein nach ein Anstieg statt­ge­fun­den hat, bei denen man auf­grund feh­len­der Daten und Sta­tis­ti­ken aber in Fra­ge stel­len muss, ob dem wirk­lich so ist. Haben uns die Sozia­len Netz­wer­ke viel­leicht erst für die­ses Pro­blem sen­si­bi­li­siert? Hat uns der direk­te­re Aus­tausch erst vor Augen geführt, was längst bekannt gewe­sen, sonst ver­schwie­gen, nicht erfasst wor­den ist? Fakt ist wohl, dass sol­che Erkran­kun­gen nicht neu sind – sich aber Infor­ma­tio­nen in einem Netz­werk, in dem jeder mit jedem in Kon­takt tre­ten, sich öffent­lich zu allem äußern kann, sehr viel wei­ter ver­brei­ten. »Wie hat das vor zehn, vor fünf­zehn Jah­ren aus­ge­se­hen«, fra­ge ich mich, »mehr Trans­pa­renz muss doch – ganz all­ge­mein – ein für alle nütz­li­cher, ein gro­ßer Vor­teil sein«. Oder?

Man kann nicht nicht kommunizieren.

Paul Watz­la­wick, in: Prag­ma­tics of Human Com­mu­ni­ca­ti­on (1967)

Es sind zwei­fels­oh­ne nicht nur Vor­tei­le, die das Netz­werk mit sich bringt – im Gegen­satz, wird es auch oft genug miss­braucht, um kon­kur­rie­ren­de Züch­ter zu dif­fa­mie­ren, in den Kom­men­tar­spal­ten gezielt Stim­mung zu machen – um zu belei­di­gen, zu bedro­hen oder zu beschimp­fen. Fal­schen Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen lässt sich kaum ent­ge­gen­wir­ken, wo ein Wort gegen das ande­re steht – wo sich Neid und Miss­gunst, denen man auf jeder Hun­de­aus­stel­lung begeg­net, ganz unver­hoh­len im Netz fort­set­zen. Was ist noch freie Mei­nungs­äu­ße­rung? Wo beginnt Hass­re­de? Und wie ver­läss­lich sind Fak­ten, von denen man nur über Drit­te erfährt? Face­book – das sind Fake-News und Fake-Pro­fi­le, fal­sche Freun­de unter Pseud­onym. Mehr Infor­ma­tio­nen bedeu­ten also nicht aus­schließ­lich nur mehr Wahr­heit – mit­un­ter geben sie wohl auch den Lügen mehr Raum.

»Sie­ben Jah­re«, den­ke ich und scrol­le durch mei­ne Chro­nik, »hat mich das Netz­werk ver­än­dert, mich berei­chert, hat es mich vor­sich­ti­ger gemacht?« In sie­ben Jah­ren hat es vie­les erleich­tert – der Aus­tausch mit den Käu­fern nach der Abga­be eines Wel­pen gehört genau­so wie der Kon­takt zu Züch­ter­kol­le­gen dazu –, aber wohl bei­na­he eben­so oft zu Kon­flik­ten, zu Miss­ver­ständ­nis­sen, zu Frust­si­tua­tio­nen geführt. In sie­ben Jah­ren ist man­che Freund­schaft gewach­sen, man­che Freund­schaft been­det, von der Freun­des­lis­te ent­fernt und blo­ckiert wor­den. In sie­ben Jah­ren habe auch ich mir oft­mals leicht­fer­tig eine Mei­nung gebil­det, habe anti­zi­piert ohne zu veri­fi­zie­ren – habe ganz ohne Zwei­fel auch das eine oder ande­re Wort geschrie­ben, das nicht hät­te sein müs­sen, mir leid tut, sich nicht mehr aus der Welt schaf­fen lässt. »Sie­ben Jah­re«, den­ke ich und dre­he das Radio lau­ter, »Wel­co­me to the Hotel Cali­for­nia« heißt es da. Und wäh­rend ich den Rech­ner her­un­ter­fah­re und sich die Hun­de unge­dul­dig um mich drän­gen, sin­gen die Eagles: »You can check out any time you like, but you can never leave«.

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© Johannes Willwacher