07|05|2019 – Mein Seelenhund und ich
07|05|2019 – Mein See­len­hund und ich

Jeder Hund ist anders – und kein Mensch perfekt. Was der eine vom anderen lernen kann – und warum die letzte Lektion zugleich die schönste und traurigste ist.

© Text und Bild: Johan­nes Willwacher

Jeder Hund, der in dein Leben tritt, hat eine Auf­ga­be. Eine, die nur er dich leh­ren kann. Er wird nicht fra­gen, was du dir gewünscht hast, sich nicht dafür ent­schul­di­gen, dass er ist, wie er ist. Er wird dir viel­mehr bewusst machen, dass es an dir ist, sei­ne Auf­ga­be anzu­neh­men – zu schau­en, was dir noch fehlt, was du noch ler­nen musst –, und an ihr zu wachsen.

Bist du zu nach­läs­sig, schenkt das Leben dir einen Hund, der dich Acht­sam­keit lehrt – einen, der es nicht dul­det, dass du mit dei­nen Gedan­ken abschweifst, dich abwen­dest und die Auf­merk­sam­keit ver­lierst. Einen, der jedem Hasen nach­ja­gen und jeden Rad­fah­rer stel­len will. Bist du zu über­heb­lich, wird jener Hund dich Demut leh­ren – dich ban­gen, wei­nen und zwei­feln las­sen, dir schlaf­lo­se Näch­te und Sor­gen berei­ten –, und dich viel­leicht ver­ste­hen las­sen, dass nichts Gutes nur gut, dass auch das kleins­te Glück nicht selbst­ver­ständ­lich ist. Bist du zu auf­brau­send, ver­langt dir jener Hund Mäßi­gung ab – dich zu zügeln, die Wor­te bes­ser zu wäh­len, zu hin­ter­fra­gen, was du tust. Den Mund zu hal­ten, wenn du schrei­en willst – das Lau­te durch das Lei­se zu erset­zen –, und anstel­le von Kör­per­lich­keit und Stär­ke dein Herz und dei­nen Ver­stand ein­zu­set­zen. Mehr Mut und Selbst­ver­trau­en, mehr Geduld, Nach­sicht und Beschei­den­heit – es gibt so vie­les, das dir der fal­sche Hund zur rech­ten Zeit bei­brin­gen kann.

Aber selbst, wenn du das Glück hast, die­sem einen Hund zu begeg­nen – dem See­len­hund, den jeder nur ein­mal im Leben trifft – wird auch er dich irgend­wann die letz­te Lek­ti­on leh­ren: Abschied zu neh­men, ihn gehen zu las­sen – und den Platz an dei­ner Sei­te an einen ande­ren Hund zu ver­schen­ken. Weil ein Hun­de­le­ben allein nicht genügt, um einen Men­schen alles zu leh­ren. Weil ein Hun­de­le­ben kurz ist – und ein Mensch ver­dammt viel mehr zu ler­nen hat.

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© Johannes Willwacher