Beschirmt, beschützt und behütet: Ellie in der achten Woche der Trächtigkeit
Beschirmt, beschützt und behü­tet: Ellie in der ach­ten Woche der Trächtigkeit

Über Fragen und Antworten – und was Hündin und Züchter in der achten Trächtigkeitswoche sonst noch so tun

»Also seid ihr dann jetzt zu fünft?«, fragt die Kol­le­gin, die mit einem Geschirr­tuch in den Hän­den war­tend neben mir am Spül­be­cken steht. Ich las­se hei­ßes Was­ser nach­lau­fen und tau­che die benutz­ten Tel­ler vom gemein­sa­men Mit­tags­tisch in das schäu­men­de Spül­was­ser ein, ein Schwamm erle­digt den Rest. Auch in der Agen­tur, in der ich arbei­te, hat es sich mitt­ler­wei­le her­um­ge­spro­chen, dass wir Wel­pen erwar­ten. Auch in der Agen­tur weiß man – seit­dem ich vor dem gro­ßen Wand­ka­len­der gestan­den und sechs Wochen Urlaub ein­ge­tra­gen habe –, dass die Mut­ter der Wel­pen für die Dau­er der Auf­zucht bei uns ein­zie­hen wird. »Klappt das denn so ohne wei­te­res«, will die Kol­le­gin wis­sen, »ist das nicht komisch, in so einer frem­den Umge­bung?« Seuf­zend dre­he ich den Hahn ab, neh­me das Besteck von der Abla­ge und las­se es klir­rend in das Becken fal­len – und sage nichts. Dabei ist es gar nicht ein­mal so, dass ich die Fra­ge nicht beant­wor­ten kann, nicht beant­wor­ten möch­te. Viel eher habe ich das Gefühl, dass ich sie schon tau­send Mal beant­wor­tet habe.

Vie­le Züch­ter sagen, dass es für sie kaum in Fra­ge käme, eine Hün­din zur Zucht ein­zu­set­zen, die nicht dau­er­haft im eige­nen Rudel lebt. Die Beden­ken, die dazu geäu­ßert wer­den, kann ich zum Teil nach­voll­zie­hen, denn natür­lich hat man nicht nur als Züch­ter eine ganz ande­re Bin­dung zu den Hun­den, die man vom Wel­pen­al­ter an beglei­tet, selbst erzo­gen und groß­ge­zo­gen hat, auch für die ein­ge­mie­te­te Zucht­hün­din gel­ten im frem­den Rudel oft­mals ande­re Bedin­gun­gen: unter ihren Art­ge­nos­sen bewegt sie sich weit weni­ger selbst­ver­ständ­lich, ist viel eher Span­nun­gen aus­ge­setzt. Für mich ist es des­halb beson­ders wich­tig, dass die Vor­aus­set­zun­gen nicht nur für mich, son­dern auch für die Hün­din, die ich in Zucht­mie­te neh­me, annä­hernd denen ent­spre­chen, die auch für mei­ne eige­nen Hün­din­nen gel­ten. Eine Hün­din, die mich nicht als Bezugs­per­son akzep­tie­ren, sich nicht ohne Stress in mein bestehen­des Rudel inte­grie­ren kann, käme also auch für mich nicht in Fra­ge – wohl aber eine, die sich bei mir noch immer zuhau­se fühlt. So wie Ellie.

Was sich drinnen tut: Entwicklung des Hundefötus vom 28. bis zum 60. Tag
Was sich drin­nen tut: Ent­wick­lung des Hun­de­fö­tus vom 28. bis zum 60. Tag

Das Was­ser ver­schwin­det gur­gelnd im Abfluss – und die nächs­te Fra­ge lässt nicht lan­ge auf sich war­ten. »War­um eigent­lich«, lau­tet die­se. »War­um setzt man eigent­lich eine frem­de Hün­din zur Zucht ein, wenn man doch selbst drei davon hat?« Ich müss­te lügen, um zu behaup­ten, dass ich nicht auch die­se Fra­ge schon etli­che Male gestellt bekom­men habe – und min­des­tens genau­so oft den Gedan­ken abweh­ren muss­te, dass es dabei aus­schliess­lich um die zusätz­li­chen Ein­nah­men geht. Wäh­rend ich also mit Nach­druck die Was­ser­fle­cken am Rand des sil­ber­nen Beckens ent­fer­ne, mache ich nicht weni­ger nach­drück­lich mei­nen Stand­punkt klar: »Weil man nicht jeden Hund behal­ten kann, in dem man Zucht­po­ten­zi­al sieht. Weil es in jedem Wurf min­des­tens einen Wel­pen gibt, dem man zutraut, in der nächs­ten Gene­ra­ti­on einen wert­vol­len Bei­trag zu leis­ten, der es ermög­licht, dem eige­nen Zucht­ziel näher zu kom­men. Wo käme man hin, wür­de man tat­säch­lich immer alles behal­ten wol­len?« Das Gesag­te wird mit einem Nicken quit­tiert, die Zwei­fel schei­nen aber den­noch nicht voll­ends aus­ge­räumt zu sein. »Grund­sätz­lich pla­ne ich jeden Wurf so, als wür­de ich mir einen Wel­pen dar­aus behal­ten wol­len. Rüde und Hün­din sind immer so auf­ein­an­der abge­stimmt, dass es in der nächs­ten, viel­leicht über­nächs­ten Gene­ra­ti­on Sinn ergibt, und ich mit einem Wel­pen aus eben die­sem Wurf mei­ne Lini­en fort­füh­ren kann. Weil ich nicht jeden viel­ver­spre­chen­den Wel­pen selbst behal­ten kann, geht das natür­lich nur, wenn ich geeig­ne­te Men­schen fin­de – Men­schen, denen ich ver­trau­en kann. Die wis­sen, was ich ihnen anver­traue. Und die die­ses Ver­trau­en nicht ent­täu­schen.« Dann wird Kaf­fee aus­ge­schenkt und das Gespräch vor­läu­fig been­det. Ich den­ke abschlie­ßend bei mir, dass es aber nicht nur das ist, dass man nicht nur Men­schen fin­den muss, denen man ver­trau­en kann: man muss auch selbst so jemand sein.

»Beschützt und behü­tet«, sage ich tags dar­auf zu Ellies Men­schen. Der Kopf der Bor­der Col­lie Hün­din drückt gegen mei­ne Brust, wäh­rend ich vor ihr auf dem Boden sit­ze und das bereits gut aus­ge­bil­de­te Gesäu­ge abtas­te. Von der Unru­he und Getrie­ben­heit, die ich von ihrer Mut­ter aus den letz­ten Tagen der Träch­tig­keit ken­ne, ist bei Ellie noch nichts zu mer­ken, und auch der Appe­tit, der für gewöhn­lich in den Tagen vor der Geburt durch das beschleu­nig­te Wachs­tum der Wel­pen ste­tig abnimmt, ist noch unge­bro­chen. Allein auf die Bla­se schei­nen ihr die Wel­pen zu drü­cken – was aber kaum ver­wun­dert, denn im Lauf der ver­gan­ge­nen Woche ist ihr Bauch­um­fang auf über 70 Zen­ti­me­ter ange­wach­sen. Was dar­in wohl vor sich geht? »Beschützt und behü­tet«, sage ich, und mei­ne damit irgend­wie auch das letz­te, das größ­te Geheim­nis. Wäh­rend es näm­lich bei vie­len Züch­tern Gang und Gäbe ist, die Hün­din gut eine Woche vor dem errech­ne­ten Geburts­ter­min noch ein­mal rönt­gen zu las­sen und die erwar­te­te Wurf­stär­ke im Bild fest­zu­hal­ten, habe ich mich auch bei die­sem Wurf dage­gen ent­schie­den: ohne medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on und nur um der Neu­gier wil­len, möch­te ich weder die Hün­din dem Stress, noch die Wel­pen der Strah­lung aus­set­zen. »Beschützt und behü­tet«, sage ich des­halb vor allen Din­gen zu Ellie. »Du wirst schon wis­sen, wann du dein Geheim­nis in die Welt ent­lässt.« Die Hün­din hebt den Kopf und leckt mir freu­dig über die Nase.

Das ist auch eine Antwort …

70 Zentimeter Bauchumfang: eine ziemlich runde Border Collie Hündin
70 Zen­ti­me­ter Bauch­um­fang: eine ziem­lich run­de Bor­der Col­lie Hündin

© Johannes Willwacher