Wie zeigt man einem Welpen, der blind und taub geboren wird, die Welt? Über Federn, Wattestäbchen und frühe neurologische Stimulation.
Work it harder, make it better,
do it faster, makes us stronger.
Harder Better Faster Stronger,
Daft Punk (2001)
Wenn man die Augen schließt und beide Hände fest auf die Ohren presst, dann ahnt man vielleicht, wie sich ein Welpe in den ersten zehn Tagen seines Lebens fühlt. Da ist bloß der Wind – kalt und feucht –, der durch das halb geöffnete Fenster weht und sich die feinen Härchen auf dem Handrücken aufrichten lässt. Da ist bloß ein Meer von Gerüchen – unbekannten Gerüchen, die sich kaum in Bilder übersetzen lassen –, und unter allen nur einer, der nach Zuhause riecht. Da ist bloß der warme Geschmack auf der Zunge – milchig und süß –, der eine ganze Welt verspricht. Wenn man die Augen schließt und beide Hände fest auf die Ohren presst, dann versteht man vielleicht, was eine Berührung bedeutet – eine Hand, die streichelt, wärmt und hält.
Die unreife Sinnesentwicklung eines Welpen gibt nur wenig Gelegenheit, ihn sich selbst und seine Umwelt begreifen zu lassen. Über die angeborenen Sinne – den Tastsinn und das Wärme- und Kälteempfinden – lassen sich ihm aber bereits in den ersten beiden Lebenswochen zahlreiche Eindrücke vermitteln, die wertvoll für seine Entwicklung sind. Allen voran sind es wohl die Hände des Züchters, die dem Welpen einen ersten Eindruck von der Welt hinter den geschlossenen Lidern verschaffen können – Hände, die ihn zum Wiegen hochnehmen, behutsam aufrichten, schaukeln und in den Handflächen halten. Die frühe neurologische Stimulation lässt sich aber auch durch unterschiedlichste Hilfsmittel unterstützen. Federn und Wattestäbchen, mit denen sich die empfindlichen Pfoten noch gezielter reizen lassen, ein Haartrockner, der kalte und warme Luft verströmt, oder ein Kühlkissen, das in ein Laken eingeschlagen worden ist, leisten bei verantwortlichem Gebrauch gute Zwecke und wirken sich nachhaltig auf die Frustrationstoleranz und Aufgeschlossenheit der Welpen aus. Welpen, deren neuronale Entwicklung in den ersten Lebenswochen durch den Züchter unterstützt worden ist, zeigen in der Regel nicht nur ein besseres Problemlöseverhalten als Welpen, denen eine vergleichbare Unterstützung nicht zuteil geworden ist, sie zeichnen sich oftmals auch durch bessere motorische Fähigkeiten aus.
Wie viele Stunden ich in den vergangenen zehn Tagen zwischen den Welpen in der Wurfkiste verbracht habe, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Ich weiß aber, dass sich die Zeit, die davon auf die verschiedenen Übungen entfallen ist, mit denen ich am dritten Lebenstag der Welpen begonnen habe, auf wenige Minuten am Tag beschränkt hat: will man nicht das Gegenteil bezwecken, ist unbedingt darauf zu achten, dass der Welpe dem Reiz nur von kurzer Dauer und ohne Zwang ausgesetzt wird. Die meiste Zeit habe ich also wohl damit zugebracht, still dazusitzen und den Welpen beim Wachsen zuzuschauen. Dass sie das getan haben, steht außer Frage, denn mit gut zehn Tagen – das verrät ein Blick auf die Waage – hat auch der letzte unserer sechs Border Collie Welpen sein Geburtsgewicht mehr als verdoppelt.
© Johannes Willwacher