Wie kommt ein Welpe zu seinem Namen – und was denkt sich der Züchter dabei? Über Hündinnen, die in der Dämmerung graben, und Menschen, die in der Wurfkiste singen.
Es ist Sonntagmorgen und die aufgehende Sonne hat die schweren, grauen Wolken, die tief über den Hügeln hinter den letzten Häusern hängen, blutrot gefärbt. Ich habe mir die Winterjacke übergezogen und schaue Heidi dabei zu, wie sie mit lehmverkrusteten Pfoten aus dem leeren Blumenbeet springt, in dem sie bereits vor Tagen eine beachtliche Grube ausgehoben hat, und in der Hecke verschwindet, in der ein zweites, noch tieferes Bauwerk zu finden ist. Wie beinahe jede unserer Zuchthündinnen hat auch sie sich das Graben zum Ausgleich gewählt, und nicht nur im Beet und in der Hecke, sondern auch im dichten Gebüsch vor dem Gartenzaun ihre Spuren hinterlassen. Im Allgemeinen wird zwar gerne gemutmaßt, dass die Hündin damit auf die Aufzuchtbedingungen reagiert, die ihr zu laut und hektisch scheinen, und einen Ort sucht, der besser geeignet ist, um ihre Welpen geschützt aufziehen zu können – ich denke aber, dass es vielmehr die ungewohnte Ruhe, das Nichtstun ist, das nach einem körperlichen Ausgleich verlangt. Schulterzuckend nehme ich es also hin, lasse sie graben und genehmige mir selbst noch einen letzten Schluck heißen Kaffee, bevor ich den Wassereimer nehme, der in der Tür zur Waschküche steht, und mich daran gebe, die Pfoten der Hündin zum zweiten Mal an diesem Tag von Lehm und Erdklumpen zu befreien.
Ob es nun das besagte, unermüdliche Graben nach Gold gewesen ist, das ich zum Anlass genommen habe, um einen der Namen einzukringeln, der mit gut dreißig anderen in blauer Tinte auf einem Zettel auf meinem Schreibtisch zu finden ist, kann ich nicht mit Gewissheit sagen – fest steht allerdings, dass ich mit dem besagten Zettel in der vergangenen Woche immer wieder um die Wurfkiste herum geschlichen bin. Während es bei vielen Züchtern noch immer üblich ist, die Welpen schon bald nach der Geburt zuzuteilen und die zukünftigen Besitzer über den Namen mitentscheiden zu lassen, bleibt mir auch bei diesem Wurf nichts anderes übrig, als die Wahl selbst zu treffen, welcher Name welchen Welpen auf dem Papier begleiten wird: die erste Wurfabnahme, zu der die Namen von der Zuchtwartin an das Zuchtbuch übergeben werden, hat in den ersten drei Lebenswochen der Welpen stattzufinden – die Entscheidung, welcher Welpe wo sein Zuhause finden wird, fällt bei uns aber frühestens in der fünften Lebenswoche.
Der Zuchtverein macht allein die Vorgabe, dass der einzutragende Name, den beigeordneten Zwingernamen inbegriffen, 35 Zeichen nicht überschreiten darf. Wer einen Hund schon einmal für ein Turnier oder eine Hundeausstellung gemeldet hat – eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen der eingetragene Name später noch von Bedeutung ist –, der ahnt vielleicht, dass diese Festlegung aus gutem Grund getroffen worden und ein zu langer Name ziemlich lästig ist. Innerhalb der erlaubten 35 Zeichen ist aber so gut wie alles möglich: von Zuschreibungen, die man im Wesen begründet sieht, über Entwicklungen, die man dem Welpen für die Zukunft wünscht, bis zu den Äußerlichkeiten – die wohl meistens hübsch sind.
Ich für meinen Teil habe am Sonntagmorgen schließlich mit Heidi in der Wurfkiste gelegen, die Welpen nach dem Säugen über meine Hände, meine Beine, meinen Bauch kriechen lassen, und dabei leise vor mich hin gesummt. Musik spricht für sich allein, heißt es. Vielleicht sollte das bei Namen am besten genauso sein.
© Johannes Willwacher