Woher weiß man, wann der Zeitpunkt gekommen ist, einen Hund seinen letzten Weg gehen zu lassen? Worte finden, wofür es keine Worte gibt.

Lay down your sweet and wea­ry head.
The night is fal­ling. You have come to journey’s end.
Sleep now and dream of the ones who came before.
They are cal­ling from across the distant shore.

Es ist kurz nach fünf, als dein Herz zu schla­gen auf­hört. Ich spü­re, wie sich dein Brust­korb unter mei­ner Hand ein letz­tes Mal senkt. Dann ist es still. Ich brau­che einen Augen­blick, um zu begrei­fen, was gera­de gesche­hen ist, und beob­ach­te den Tier­arzt dabei, wie er die Sprit­zen und Kanü­len vom Boden auf­nimmt, um dann noch ein­mal dei­nen Herz­schlag zu prü­fen. »Ja«, seufzt er. »Ja«, den­ke ich. Und als er kurz dar­auf die Tür hin­ter sich geschlos­sen hat, bricht es schließ­lich aus mir her­aus. Bre­che ich über dei­nem toten Kör­per zusammen.

Why do you weep?
What are the­se tears upon your face?
Soon you will see all of your fears will pass away.
Safe in my arms, you’­re only sleeping.

Woher weiß man, wann der Zeit­punkt gekom­men ist, einen Hund sei­nen letz­ten Weg gehen zu las­sen? Wie kann man sich sicher sein, dass die­se Ent­schei­dung nicht ver­früht, nicht gegen den Wil­len des Tie­res geschieht? Ich glau­be, man weiß es ein­fach. Als wir am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de eine letz­te Run­de über die Fel­der gelau­fen sind, und ich dich – weil dir das Lau­fen längst zu schwer fiel – immer wie­der in mei­nem Arm getra­gen habe, wuss­te ich es. Als es dir am Mon­tag­mor­gen kaum noch gelin­gen woll­te, den Kopf zu heben, wuss­te ich es. »Wir müs­sen eine Ent­schei­dung tref­fen«, habe ich ges­tern mor­gen zu Dirk gesagt. Weil dein Blick kei­nen Zwei­fel dar­an gelas­sen hat.

What can you see on the horizon?
Why do the white gulls call?
Across the sea a pale moon rises.
The ships have come to car­ry you home.

Wir haben dich unter dem Pflau­men­baum begra­ben. Dort, wo im Früh­ling die Schnee­glöck­chen blü­hen. Es hat gereg­net, wäh­rend wir dich in die schma­le Gru­be hin­ab gelas­sen haben – und wäh­rend ich die­se Zei­len hier schrei­be, reg­net es noch immer. Irgend­wann ein­mal habe ich geschrie­ben, das Größ­te, das ein Hund zustan­de­brin­gen kön­ne, sei, einen Men­schen zu einem bes­se­ren Men­schen zu machen. Und viel­leicht sind es des­halb auch gar kei­ne Trä­nen der Trau­er, son­dern Trä­nen der Dank­bar­keit, die im Regen zer­flie­ßen. Für die Angst und den Kum­mer, für das Leid und die Sor­gen – aber vor allem für das Licht, die Lie­be und das Glück, die du in unser Leben gebracht hast. Ich wer­de nie­mals auf­hö­ren, von dir zu erzäh­len. Und viel­leicht – irgend­wann – gelingt es mir, nur noch mit einem Lächeln an dich zurück­zu­den­ken. Für immer.

And all will turn to sil­ver glass, a light on the water,
grey ships pass, into the west.
Into the West, Annie Lenn­ox (2003)

Ida, CH Uta’s Jay­wal­kers Amidala
26.12.2010 – 10.03.2020

© Johannes Willwacher