Ein Nachmittag mit den Hunden am See – und ein Spaziergang zwischen Zen, Physik und kindlichem Glauben: was ist, wenn nichts mehr ist.

Ich fürch­te den Tod nicht. Ich war Mil­li­ar­den und Aber­mil­li­ar­den Jah­re tot, bevor ich gebo­ren wur­de, und es hat mir nicht die gerings­ten Unan­nehm­lich­kei­ten bereitet.
Mark Twa­in (1835–1910)

»Schon an dem Tag, an dem ein Wel­pe ein­zieht«, den­ke ich und schaue den Hun­den zu, die am fla­chen Ufer des Sees aus­ge­las­sen durch das Was­ser jagen, »schon an dem Tag, an dem man ihn zum ers­ten Mal in den Armen hält, nimmt man unaus­weich­lich den Tag vor­weg, an dem man ihn zum letz­ten Mal hal­ten wird, und den Abschied bereit­wil­lig in Kauf«. Der Wider­spruch, den ein Hun­de­le­ben dar­stellt – die­se unküm­mer­te Leben­dig­keit, die sich an eine viel zu kur­ze Lebens­span­ne knüpft – scheint sich an die­sem Nach­mit­tag auf dem Was­ser zu spie­geln. Denn wäh­rend die drei Hun­de sich hem­mungs­los ver­gnü­gen, fällt mir vor allem das Feh­len des Vier­ten auf.

Border Collie Hündin auf einem Bootssteg am Wiesensee im Westerwald
17|05|2020 – Bei Son­nen­auf­gang: Mit Hei­di am Wiesensee

Wenn ein gelieb­tes Tier stirbt, bemü­hen Hun­de­men­schen ger­ne das Bild einer Regen­bo­gen­brü­cke, die Him­mel und Erde ver­bin­det, und über die sich die See­le des Tie­res ihren Weg in eine immer­grü­ne Ewig­keit sucht – eine, in der sie sprin­gen und spie­len darf, bis auch für ihren Men­schen das Ende aller Tage gekom­men ist. Dem gegen­über steht die Annah­me, dass Gehirn, See­le und Bewusst­sein deckungs­gleich sind, und sich gleich­wohl zu zer­set­zen begin­nen, wenn der ster­ben­de Kör­per sei­nen letz­ten Atem­zug tut. Wo will man sich selbst nun ein­ord­nen? Braucht man den kind­li­chen Glau­ben an ein gegen­ständ­li­ches Jen­seits, um Trost zu fin­den? Oder steckt auch in der kogni­ti­ven Fins­ter­nis ein wenig Trost? Wäh­rend den Tod selbst näm­lich weder das eine, noch das ande­re aus der Welt schaf­fen kann, rückt das eigent­lich ungreif­ba­re Jen­seits viel näher an das Dies­seits her­an, wenn man zulässt, dass mit dem Tod ganz ein­fach das Licht aus­geht. Denn das Jen­seits – das Kon­ti­nu­um, aus dem alles Leben­di­ge kommt und in das es schluss­end­lich auch wie­der ver­schwin­det – ist längst schon da. Und wir mittendrin.

Ener­ge­tisch sind wir unsterb­lich. Das mag erst ein­mal eso­te­risch klin­gen, bezieht sich aber viel­mehr auf ein natur­wis­sen­schaft­li­ches Prin­zip. Der 1847 durch den deut­schen Phy­si­ker Her­mann von Helm­holtz for­mu­lier­te Ener­gie­er­hal­tungs­satz besagt, dass Ener­gie weder erzeugt, noch ver­nich­tet wer­den kann – sie kann bloß von einer Form in eine ande­re umge­wan­delt wer­den. Dar­aus folgt, dass die Sum­me aller Ener­gien in einem abge­schlos­se­nen Sys­tem stets kon­stant bleibt. Möch­te man dazu ein Bild bemü­hen, könn­te man an einen Dyna­mo den­ken, der Bewe­gungs­en­er­gie in Wär­me und Licht über­setzt. Wohin geht die­se Ener­gie nun also nach dem Tod? In die Luft, in die Erde, in den umge­ben­den Raum, könn­te eine Ant­wort sein. In ein unver­gäng­li­ches Alles, eine ande­re. Und genau dort knüp­fe ich selbst am See­ufer an.

Border Collie im Sprung
27|04|2020 – Mehr Him­mel: Zion

»Du bist in jedem Vogel, jedem Regen­trop­fen, jedem Son­nen­strahl«, den­ke ich und blinz­le über den grel­len Spie­gel der tief ste­hen­den Son­ne auf dem Was­ser hin­weg, »du bist in jedem Wind­hauch, jedem jun­gen Grün, jeder Knos­pe, die zur Blü­te wird. Du bist in jedem der ande­ren drei«. Über das Gefühl des Ver­lusts – den Schmerz, nie wie­der mit den Fin­gern nach die­ser Stel­le zwi­schen den Ohren suchen, nie wie­der mit die­sem ver­trau­ten Kör­per im Arm ein­schla­fen zu kön­nen – mag zwar auch das nicht hin­weg­täu­schen. Die Abwe­sen­heit des ande­ren wird aber erträg­li­cher, wenn man sei­ner Gegen­wart nach­spürt – in allem was war, was ist, was jemals sein wird.

Dann ste­he ich schließ­lich auf von dem Stein, auf dem ich am Ufer geses­sen habe. Gehe einen Schritt und noch einen zwei­ten. Füh­le das kal­te Was­ser, das mei­ne Füße umspült, und die Son­ne in mei­nem Nacken. Fische die Fris­bee mit der fla­chen Hand aus dem Was­ser. Und sehe sie fliegen.

Die Zeit, in der sich unse­re Exis­ten­zen über­schnei­den, ist kurz. Viel zu kurz, um nichts Schö­nes dar­aus zu machen.

© Johannes Willwacher