Rein ins Leben und raus in den Garten: was unsere Border Collie Welpen in der fünften Lebenswoche so alles erleben durften.
Besuch für die Welpen
Wer hätte im letzten Frühjahr gedacht, dass die Situation, die mit der Pandemie urplötzlich über den Globus geschwappt ist, ein ganzes Jahr anhält? Dass wir auch im folgenden Frühjahr noch gezwungen sind, Abstand zu halten und Maske zu tragen?
Während ich die Brisanz im vergangenen Jahr früh begriffen und mich kaum der Illusion hingegeben hatte, dass sich die Pandemie binnen weniger Monate bewältigen lassen würde, hatte ich für das Frühjahr diesen Jahres immer noch die leise Hoffnung, dass sich manches entspannt haben würde. »In der Welpenzeit ist das Haus immer voll«, habe ich früher ganz selbstverständlich gesagt. Früher, das heißt, vor dem Virus. Und auch vor der dritten Welle.
Die Besuche der Welpeninteressenten zu organisieren und dabei auf die gängigen Abstandsregeln zu achten, stellte ich mir im Vorfeld mindestens so schwierig vor, wie den Verzicht auf ein Kennenlernen untereinander. In der Vergangenheit war es bei uns üblich, dass sich die künftigen Besitzer bereits vor Ort kennenlernen und austauschen konnten. Ich habe das immer sehr genossen – nicht zuletzt, weil dabei auch anhaltende Freundschaften entstanden sind, und sich zu den neuen Welpenbesitzern nicht selten auch die alten gesellten. Die dritte Welle sagte dazu bloß eins: »Is‘ nicht!«
Ganz auf Besuch zu verzichten wäre angesichts der Pandemie wohl die verantwortlichste Entscheidung gewesen, im Hinblick auf die Sozialisierung der Welpen aber ganz sicher nicht die beste. »Wenn das Frühjahr so warm und trocken wird, wie das letzte, dann wird das schon gehen«, dachte ich mir, »dann finden alle Besuche eben nur im Freien statt«. In der vergangenen Woche ist hier dann aber noch einmal Schnee gefallen.
Uns blieb also keine andere Wahl, als uns selbst strenge Regeln aufzuerlegen. Zusätzlich zu den üblichen Vorsichtsmaßnahmen bestehen wir bei allen Beteiligten deshalb auf den Nachweis einen aktuellen, negativen Schnelltests, und limitieren die Besuche auf zwei Personen am Tag. Den Wünschen der Welpeninteressenten – und auch unseren eigenen – können wir so zwar nur ansatzweise gerecht werden. Aber welchen anderen Weg will man gehen, wenn es die Vernunft verlangt?
Nasskaltes Vergnügen
Zwei unserer vorangegangenen Würfe wurden im Februar geboren – der erste und einzige Wurf von Edda sowie der letzte Wurf von Nell. Bei beiden fiel die Abgabe der Welpen in den April – und bei beiden war es bereits Ende März so warm, dass die Welpen den Großteil des Tages im Garten verbringen konnten. Als sich Ende letzten Jahres Heidis Läufigkeit ankündigte, war ich deshalb sehr zuversichtlich, dass auch unsere diesjährigen Welpen in den Genuss kommen würden, das Grün beizeiten zu erobern. Ein wenig früher vielleicht sogar – der Geburtstermin lag schließlich erst im März und damit fast vier Wochen später, als bei den beiden früheren Würfen.
Nachdem sich der Winter mit einem letzten Aufbäumen im Februar verabschiedet hatte, sah es auch erst einmal danach aus, als sollte es ein sonniges Frühjahr werden: überall begannen die Weiden zu blühen, Krokusse und Schneeglöckchen schossen aus dem Boden und auch die beiden alten Kirschbäume in unserem Garten, die sich für gewöhnlich bis in den Mai hinein Zeit lassen, um zu blühen, zeigten schon Anfang April die ersten Knospen.
Nach Ostern fiel dann aber nicht nur die Temperatur rapide ab, sondern auch noch einmal Schnee: bei deutlichen Minusgraden fanden sich dort, wo eine Woche später der Welpenauslauf stehen sollte, fast zwanzig Zentimeter. So unverhofft der Winter zurückgekehrt war, so schnell verschwand er auch wieder. Nass und kalt blieb es trotzdem. Zu nass und zu kalt für die Welpen?
»Und wenn es nur für eine halbe Stunde ist«, sagte ich zu mir selbst, als ich am Montagnachmittag die schweren Gitterelemente des Welpenauslaufs aus dem Geräteschuppen wuppte, »die frühen ersten Eindrücke, die Geräusche und Gerüche, die auf die Welpen an der frischen Luft einströmen, sind durch nichts zu ersetzen«. Also saßen die Welpen kurz darauf ihre erste Zeit im Garten ab: anfangs noch schutzsuchend in der Nähe ihrer Mutter, obsiegte schließlich doch die Neugier. Auf ein Blatt, einen Grashalm, ein feuchtes Stück Holz. Auf all das, was das Draußen zu bieten hat. Wen stört da schon ein bisschen Schneeregen?
Pussy Terror
»Kannste knicken, Carolin«, rufe ich dem Welpen zu, der sich mit den Pfoten am Gitter hochgestemmt hat, »du kommst hier nicht raus!« Auf mein Rufen hin lässt der Welpe tatsächlich von seinem Ausbruchsversuch ab, und steht kurz darauf mit lustig wedelnder Rute vor mir. »Geht doch auch ohne Pussy Terror, oder?« Einen Moment lang scheint der Welpe zu überlegen. Dann aber springt er ganz unvermittelt in meinen Schoß und verbeißt sich in den Kordelzügen meines Kapuzenpullovers. »Ganz ohne dann doch nicht«, erwidere ich auf die Attacke, »oder, Frau Kebekus?«
Die Wenigsten dürfte erstaunen, dass ich die Entscheidung, welcher Welpe zu wem passt, gern möglichst spät treffe, und mich in den Wochen zuvor bemühe, möglichst viel über meine Welpen zu erfahren. In der sechsten Lebenswoche, in der die Entscheidung gemeinhin fällt, sind die Wesenszüge eines Welpen zwar noch nicht so gefestigt, dass sich eine dauerhafte Aussage treffen lässt, die Grundzüge sind aber immerhin erkennbar.
Weil die Welpen bis dahin nicht zugeteilt worden sind, gibt es zwangsläufig auch keine Rufnamen, die sich im Alltag verwenden lassen würden. Statt die Welpen nun mit den Namen anzusprechen, die sie im Papier bekommen haben, oder eine numerische Anrede zu verwenden – »Nummer Fünf, du lässt jetzt sofort deine Schwester in Ruhe!« –, setzen sich situativ oftmals Namen durch, die den Charakter des Welpen zu beschreiben versuchen. Neben Carolin Kebekus finden sich in unserem aktuellen Wurf so auch eine Zimtziege, ein McSpeck, ein Fräulein von Weichpiss – und Prince Charming.
Der Letztgenannte heißt allerdings nicht etwa so, weil er der sprichwörtliche Traumprinz wäre, sondern vielmehr, weil er genau die Allüren an den Tag legt, die nur einem echten Aristokraten gebühren. »Man reiche mir mein Futter auf einem güldenen Teller«, sagt sein angewiderter Blick, wenn man ihn zwingt, mit seinen Geschwistern aus dem gleichen Metallring zu fressen.
»Jetzt halt die Fresse, Carolin«, entfährt es mir schließlich, als Fräulein Pussy Terror sich wieder lautstark am Gitter zu schaffen macht. Diesmal entscheidet sie sich nicht für die Kordelzüge, sondern beißt mir beherzt in den Schritt. Noch Fragen?
© Johannes Willwacher