Die sechste Woche der Welpenaufzucht: ein müder Frühlingsmorgen und eine ausgeschlafene Entscheidung – und was es über unsere sechs Welpen mehr zu berichten gibt.
Zwei stahlharte Profis
»Ich bin zu alt für diesen Scheiß«, seufze ich am Sonntagabend und stochere lustlos in dem Teller Spaghetti herum, der vor mir auf dem Tisch steht. Auch Dirk, der mir am Esstisch gegenüber sitzt, wirkt eher so, als wolle er seinen Kopf gleich zwischen den dampfenden Fleischbällchen in der Soße ertränken. »War die Welpenaufzucht eigentlich schon immer so anstrengend?«, lautet also die berechtigte Frage.
Ich gähne und lasse sich die Gabel ungeschickt am Tellerrand drehen. Tomatensoße spritzt und gesellt sich zu den noch unbestimmten Flecken auf meinem T-Shirt, die – bei näherem Betrachten – so ziemlich alles zwischen Welpenbrei und Welpenkot sein könnten. »Is’ mir egal«, sage ich, meine aber vor allen Dingen das schmutzige T-Shirt. »Als ich vorhin aus dem Welpenzimmer raus bin, war alles noch sauber«, setze ich deshalb gleich noch ermutigend hinzu, »vielleicht hast du ja Glück und musst heute Abend nicht noch einmal putzen«. Angesichts der bleiernen Müdigkeit ist das für Dirk nur ein schwacher Trost: weil ich früher aufstehe, um die ersten Stunden des Tages zu übernehmen, muss er noch länger aushalten. »Gestern hat es bis halb zwölf gebraucht, bis sich auch die Letzten müde gespielt hatten«, stöhnt er und schiebt sich ein Fleischbällchen in den Mund. Zwischen Kauen und Schmatzen meine ich zu verstehen, dass die Welpen tagsüber viel ruhiger seien, als am Abend. »Wir können gerne tauschen und du stehst stattdessen um vier Uhr morgens auf«, zische ich und lasse die Augen rollen. Dirk schüttelt mit Nachdruck den Kopf.
Weil mir tagsüber selten die Zeit bleibt, um Fotos zu bearbeiten oder das Erlebte für das Wurftagebuch aufzuschreiben, habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, zwei Stunden vor den Welpen aufzustehen. Man kann es mir also vielleicht nachsehen, dass nicht jeder Tagebucheintrag durch besonderen Esprit besticht oder profundes Wissen vermittelt – manchmal ist eben selbst dem härtesten Cop nur nach Jammern zumute. Oder, um es mit den Worten von Sergeant Roger Murtaugh zu sagen: »Ich bin zu alt für diesen Scheiß!«
Bei Sonnenaufgang
Ich sitze schon seit einer Stunde mit den Welpen im Garten, als es die Sonne schließlich über die hohe Tannenhecke schafft, die unseren Garten von dem der Nachbarn trennt. Der Tau glitzert, die Vogel singen – und wären da nicht die lauten Kinderstimmen, die aus dem Nachbargarten herüber klingen, wäre da nicht der Baulärm, der von der anderen Straßenseite herüber schallt, könnte man diesen Morgen beinahe friedlich nennen.
Die Welpen zeigen sich von Geräuschkulisse wenig beeindruckt. Bloß ab und an schaut einer lauschend auf, wenn ein spitzer Schrei an seine Ohren dringt. Von dem Hämmern und Sägen, mit dem gegenüber die Fenster aus den Wänden getrieben werden, nimmt kaum einer Notiz. Viel eher sind es dann noch die beiden Tauben, die sich auch in diesem Jahr wieder eingefunden haben, um hoch oben im Zwetschgenbaum ihr Nest zu bauen, die alle Blicke auf sich ziehen. Mit lautem Flügelschlag fliegen sie über den Welpenauslauf hinweg und kehren wenig später mit Reisig im Schnabel zurück.
Während rundherum also geschäftiges Treiben herrscht, ist es der Mutterhündin endlich gelungen, auch den letzten Welpen noch spielerisch abzuwehren und sich auf einer der Decken zusammenzurollen. Auch wenn die Welpen nun schon seit etwas mehr als zwei Wochen zugefüttert werden, geht von dem Gesäuge der Hündin noch immer ein besonders großer Reiz aus – und weil die Hündin besonders duldsam ist, gelingt es auch manchem, sich noch eine Mahlzeit zu erbetteln. Sobald sich aber einer zu fordernd an ihren Zitzen zu schaffen macht, wehrt sie die Zudringlichkeit mit einem sanften Schnauzenbiss ab – und setzt zur Not auch ihre Pfoten ein, um den uneinsichtigen Welpen vom Trinken ab- und am Boden festzuhalten. So wie gerade geschehen.
Lange liegen bleibt die Hündin indessen nicht. Zwischen Welpenhaus und Tunnel haben zwei Welpen ein zerbissenes Zergeltau entdeckt. Mit lautem Knurren wird daran gezogen. Statt das Spiel zu unterbinden, entscheidet die Hündin, sich selbst einzubringen, schnappt sich ihrerseits das Tau und zieht – ganz vorsichtig – mit. Kinderstimmen, Vogelzwitschern, Hämmern, Sägen und Knurren: ein ganz normaler Frühlingsmorgen bei Sonnenaufgang.
Du bist es
Strenggenommen habe ich jeden unserer vergangenen Würfe so geplant, als solle einer der Welpen bei uns bleiben, und deshalb auch mit einem Auge immer auf das große Ganze geschielt: das, was wir Züchter gerne als »in Generationen denken« bezeichnen. Kein Wurf steht nur für sich, jeder ist dem Ziel untergeordnet, die Rasse nachhaltig zu verbessern.
Während es uns bei den früheren Würfen selten möglich war, selbst einen Welpen zu behalten und wir deshalb bei besonders vielversprechenden Hündinnen zumeist versucht haben, eine Mitbesitzregelung mit einem der neuen Besitzer zu finden, stand bei unserem diesjährigen Wurf von vornherein fest, dass eine Hündin unser Rudel ergänzen sollte. Den Weg, all sein Erspartes zusammenzukratzen und Samen aus dem Ausland zu importieren, wählt ein Züchter wohl auch nur dann, wenn er sich davon einen wertvollen Beitrag für das Zuchtgeschehen und die eigene Zukunft verspricht.
Dementsprechend kritisch war der Blick, mit dem ich insbesondere die vier Hündinnen in den vergangenen sechs Wochen beäugt habe. Die Liebe auf den ersten Blick, die nicht wenige meinen Berichten entnommen haben, wollte mir alleine zur Entscheidung aber nicht genügen: wo über eine zukünftige Zuchthündin entschieden wird, ist das Herz selten ein verlässlicher Kompass, und müssen gewichtigere Merkmale mit in die Waagschale geworfen werden. Bei allen Vieren habe ich mir also Notizen zur individuellen Entwicklung gemacht, habe den Kopf und Hals, die Winkel und die obere Linie bewertet, und bei allen auch vermerkt, was mir zur Wesensentwicklung aufgefallen ist. Die Entscheidung, die sechs Wochen lang gereift ist, wird schlussendlich aber dennoch kaum jemanden überraschen. Weil sich das Herz und der Kopf tatsächlich einmal einig sind.
Die Fußstapfen, in die »Halo« treten wird – jene, die Ida in unserem Leben hinterlassen hat – sind groß. Vielleicht aber nicht zu groß für sie. So viele Ähnlichkeiten zu meiner verstorbenen Herzenshündin habe ich in den vergangenen Wochen bei ihr bemerkt – so viel Anmut und Sanftheit, aber auch so viel Neugier und Spielfreude. Deshalb kann ich guten Gewissens sagen: Ja, du bist es. Oder besser noch: Du warst es schon immer.
© Johannes Willwacher